Ich laufe
durch den Zürcher Hauptbahnhof. Die grosse Halle, die
für Ausstellungen alle Art und jeglicher Zwecke genutzt
wird, ist leergeräumt. Das heisst, fast leergeräumt,
zwischen Rolltreppe und Warenausgabe steht Michael Jackson.
Nicht der Leibhaftige, sondern sein Statuettenbild, frisch
vom Videoclip entstiegen. In seiner Erlöserpose zeigt
er auf die Uhr, welche die Tage vomj Jahr 2000 her rückwarts
bis heute zählt, doch wovon will er uns, die Reisenden,
erlösen? Von der Strapazen einer gewöhnlichen Schulwoche
oder von den angenehmen Ferienerinnerungen? Wohl kaum. Die
Soldaten, die vorbeimarschieren, sind auf dem Nachhauseweg,
nicht aber wegen Messias Jackson, sondern weil die Schweizer
Armee am Wochenende frei hat. Und die Jungen - Verzeihung
- Halbwüchsigenscharen welche «Michael, Michael»
rufen, fehlen auch. Die Halle ist leerer als sonst. Weisse
Seile verhindern, dass jemand der Säule zu nahe tritt
und dem Arg gebeutelten Idol auf den Füssen rumtrappt
oder sie gar zu sich nach Hause mit sich mitnimmt; trotzdem
hinterliess ein Hund seine Reviermarkierung an einer Ecke
des Sockels. Mein Blick wandert der Statue entlang nach oben
und ich habe den Eindruck, dass ihre Nase etwas zu rund geworden
ist. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen, überlasse
ich lieber den Jackoholics.
Die Zürcher
Plattenläden unterbieten sich gegenseitig mit Hitangeboten,
so dass möglichst viele Alben verkauft werden, am besten
so viele wie noch nie in Past, Present and Future. Doch
eine Doppel-CD für nur achtzehn Franken bringt weder
den Händlern noch Plattenfirma noch Star etwas ein. Bei
nur zwanzig Millionen Exemplaren, die verkauft werden müssen,
um alle Kosten zu decken, ist ein solcher Preiskrieg idiotisch.
Andererseits: Thriller verkaufte sich ünber 40
Mio. mal (Weltrekord), Bad kam auch über die 30
Mio. grenzen, doch Dangerous stagniert bei rund 25
Mio. verkauften Exemplaren. Was aber, wenn sich History,
etc. nur 19. Mio. mal verkaufen lässt? Freilich ein Albtraum!
Zum Vergleich: Eric Claptons Unplugged verkaufte sich
14 Mio. mal, Beatles Live At The BBC 7 Mio. Mal, Stephan
Eichers Engelberg verkaufte sich über 1 Mio. mal.
Und dies sind alles Spitzenwerte.
Warum also
kam HiStory so teuer? Jackson wollte nur gerade das
Beste und Teuerste an digitaler Aufnahmetechnik verwenden,
so zum Beispiel ein 96 Spuren Aufnahmegerät, also 96
Stimmen zum übereinandermischen, dazu kommen Videoclips
voller Technogags und eine immense Werbekampagne, zu der die
Statue im Hauptbahnhof gehört. Verteuert wurde das Ganze,
weil Jacko einen seinerTherapiesongs zweimal aufnehmen musste,
weil jüdische Verbände die Ausasge Jew Me
zu recht als beleidigend empfanden. Wer sein Leiden in einer
Prozessuntersuchung mit dem Leiden des jüdischen Volkes
vergleicht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er, gelinde
gesagt als naiv bezeichnet wird, auch für Leute, die
in einer Märchenwelt leben, sollte es Grenzen geben.
Einen anderen Prozess wendete Jackson durch eine Summe ab,
was ja auf einiges schliessen lässt. Oder kann man den
Beatlesklassiker Come Together als Einladung des Meisters
an seine Kritiker verstanden werden, sich mit ihm zusammenzusetzen
und reinen Tisch zu machen? Diese und weitere unbeantwortete
Fragen werden es wohl auch bleiben. So auch meine zu Beginn
gestellte Frage, wovon wir Bahnreisenden vom König des
Pop mit seinem albernen Statuen - und Soldatengetue - was
zu Zeiten des Bosniendebakel sicher deplaziert ist - erlöst
werden sollen. Aber wahrscheinlich ist es nichts weiter als
eine stumpfsinnige Werbekampagne à la Benneton.
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Tracklisting
CD1:
Billie Jean
The Way You Make Me Feel
Black Or White
Rock With You
She's Out Of My Life
Bad
I Just Can't Stop Loving You
Man In The Mirror
Thriller
Beat It
The Girl Is Mine
Remember The Time
Don't Stop Till You Get Enough
Wanne Be Startin' Something
Heal The World
CD
2:
Scream
They Don't Care About Us
Stranger In Moscow
This Time Around
Earth Song
D.S.
Money
Come Together
You Are Not Alone
Childhood
Tabloid Junkie
2 Bad
History
Little Susie
Smile
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Nachbetrachtung
des Artikels
Dieser Artikel heimste dem Autor am meisten Lob ein. Als besonders
schön wurde der erste Abschnitt empfunden, mit der Beschreibung
des Hauptbahnhofs. Dieser Artikel ist einer der seltenen Verisse
welche der Autor geschrieben hat. Bemängeln kann man,
dass Reportage und Kommentar vermengt wurde. Gutes Tages Anzeiger
Niveau also, dort wird häufig Bericht und Kommentar miteinander
vermischt. Sicher hat Michael Jackson die Häme nicht
verdient, die er von den Medien erhält, denn über
Behinderte soll man bekanntlicherweise nicht lachen. Allerdings
bleibt die Kernaussage bestehen, dass auch für Leute,
die in einem Märchenland leben, Grenzen gibt.
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