Musicus - Archiv 1995
Vom deplatzierten Versuch, einen Imageschaden auszubessern
September1995
Gedanken zur Michael Jackson Promostatue im Zürcher Hauptbahnhof
Bewertung: *

Ich laufe durch den Zürcher Hauptbahnhof. Die grosse Halle, die für Ausstellungen alle Art und jeglicher Zwecke genutzt wird, ist leergeräumt. Das heisst, fast leergeräumt, zwischen Rolltreppe und Warenausgabe steht Michael Jackson. Nicht der Leibhaftige, sondern sein Statuettenbild, frisch vom Videoclip entstiegen. In seiner Erlöserpose zeigt er auf die Uhr, welche die Tage vomj Jahr 2000 her rückwarts bis heute zählt, doch wovon will er uns, die Reisenden, erlösen? Von der Strapazen einer gewöhnlichen Schulwoche oder von den angenehmen Ferienerinnerungen? Wohl kaum. Die Soldaten, die vorbeimarschieren, sind auf dem Nachhauseweg, nicht aber wegen Messias Jackson, sondern weil die Schweizer Armee am Wochenende frei hat. Und die Jungen - Verzeihung - Halbwüchsigenscharen welche «Michael, Michael» rufen, fehlen auch. Die Halle ist leerer als sonst. Weisse Seile verhindern, dass jemand der Säule zu nahe tritt und dem Arg gebeutelten Idol auf den Füssen rumtrappt oder sie gar zu sich nach Hause mit sich mitnimmt; trotzdem hinterliess ein Hund seine Reviermarkierung an einer Ecke des Sockels. Mein Blick wandert der Statue entlang nach oben und ich habe den Eindruck, dass ihre Nase etwas zu rund geworden ist. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen, überlasse ich lieber den Jackoholics.

Die Zürcher Plattenläden unterbieten sich gegenseitig mit Hitangeboten, so dass möglichst viele Alben verkauft werden, am besten so viele wie noch nie in Past, Present and Future. Doch eine Doppel-CD für nur achtzehn Franken bringt weder den Händlern noch Plattenfirma noch Star etwas ein. Bei nur zwanzig Millionen Exemplaren, die verkauft werden müssen, um alle Kosten zu decken, ist ein solcher Preiskrieg idiotisch. Andererseits: Thriller verkaufte sich ünber 40 Mio. mal (Weltrekord), Bad kam auch über die 30 Mio. grenzen, doch Dangerous stagniert bei rund 25 Mio. verkauften Exemplaren. Was aber, wenn sich History, etc. nur 19. Mio. mal verkaufen lässt? Freilich ein Albtraum! Zum Vergleich: Eric Claptons Unplugged verkaufte sich 14 Mio. mal, Beatles Live At The BBC 7 Mio. Mal, Stephan Eichers Engelberg verkaufte sich über 1 Mio. mal. Und dies sind alles Spitzenwerte.

Warum also kam HiStory so teuer? Jackson wollte nur gerade das Beste und Teuerste an digitaler Aufnahmetechnik verwenden, so zum Beispiel ein 96 Spuren Aufnahmegerät, also 96 Stimmen zum übereinandermischen, dazu kommen Videoclips voller Technogags und eine immense Werbekampagne, zu der die Statue im Hauptbahnhof gehört. Verteuert wurde das Ganze, weil Jacko einen seinerTherapiesongs zweimal aufnehmen musste, weil jüdische Verbände die Ausasge Jew Me zu recht als beleidigend empfanden. Wer sein Leiden in einer Prozessuntersuchung mit dem Leiden des jüdischen Volkes vergleicht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er, gelinde gesagt als naiv bezeichnet wird, auch für Leute, die in einer Märchenwelt leben, sollte es Grenzen geben. Einen anderen Prozess wendete Jackson durch eine Summe ab, was ja auf einiges schliessen lässt. Oder kann man den Beatlesklassiker Come Together als Einladung des Meisters an seine Kritiker verstanden werden, sich mit ihm zusammenzusetzen und reinen Tisch zu machen? Diese und weitere unbeantwortete Fragen werden es wohl auch bleiben. So auch meine zu Beginn gestellte Frage, wovon wir Bahnreisenden vom König des Pop mit seinem albernen Statuen - und Soldatengetue - was zu Zeiten des Bosniendebakel sicher deplaziert ist - erlöst werden sollen. Aber wahrscheinlich ist es nichts weiter als eine stumpfsinnige Werbekampagne à la Benneton.

Tracklisting

CD1:
Billie Jean
The Way You Make Me Feel
Black Or White
Rock With You
She's Out Of My Life
Bad
I Just Can't Stop Loving You
Man In The Mirror
Thriller
Beat It
The Girl Is Mine
Remember The Time
Don't Stop Till You Get Enough
Wanne Be Startin' Something
Heal The World

CD 2:
Scream
They Don't Care About Us
Stranger In Moscow
This Time Around
Earth Song
D.S.
Money
Come Together
You Are Not Alone
Childhood
Tabloid Junkie
2 Bad
History
Little Susie
Smile


 

Michael Jackson
HiStory Past, Present & Future Book 1
EPIC 9362-45535-2

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
http://www.michaeljackson.com
Die Best-of CD (CD1 wurde nicht bewertet)

Nachbetrachtung des Artikels
Dieser Artikel heimste dem Autor am meisten Lob ein. Als besonders schön wurde der erste Abschnitt empfunden, mit der Beschreibung des Hauptbahnhofs. Dieser Artikel ist einer der seltenen Verisse welche der Autor geschrieben hat. Bemängeln kann man, dass Reportage und Kommentar vermengt wurde. Gutes Tages Anzeiger Niveau also, dort wird häufig Bericht und Kommentar miteinander vermischt. Sicher hat Michael Jackson die Häme nicht verdient, die er von den Medien erhält, denn über Behinderte soll man bekanntlicherweise nicht lachen. Allerdings bleibt die Kernaussage bestehen, dass auch für Leute, die in einem Märchenland leben, Grenzen gibt.

 

Was aus dem Album wurde
Michael Jacksons Niedergang hatte schon mit Dangerous begonnen. Die Vorwürfe der Kinderschändung, welche diesem Album vorgingen, erledigten ihn komplett. Zwar hatte er noch einige Hits wie der Earth Song oder You Are Not Alone auf dem Album. Doch den Abstieg konnte er nicht aufhalten. Invincible sein Album von 2002 floppte komplett. Seine Demontage führte Jacko mit seinem 2003 im TV gezeigten Portrait.