Artikel - Archiv 1998
Ich war nie eine Quotenfrau
Februar 1998
Interview mit SP Gemeinderäting und Stadtratskandiatin Esther Maurer

yb: Esther Maurer, stell Dich kurz Deinen Wählerinnen und Wählern vor.
em: Ich bin 40 Jahre alt. Ich unterrichte Französisch und Spanisch und bin Prorektorin an der Kantonsschule Zürich Oberland. Seit 1986 bin ich Gemeinderätin für den Kreis 5. Im Gemeinderat habe ich in fast allen wichtigen Kommissionen mitgearbeitet, meine politischen Schwerpunkte sind in die Stadtentwicklung, die Finanzpolitik sowie die Gesundheits- und Sozialpolitik. Zusätzlich bin ich Vizepräsidentin der Pro Juventute Zürich. Über mein Privatleben rede ich so wenig wie möglich: Man braucht einige Winkel fernab der Presse und Öffentlichkeit.

yb: Es wird immer wieder von der Gefahr der Ghettoisierung gesprochen, auch im Kreis 5. Ist dies wirklich eine Gefahr oder ist es nur ein weiteres SVP-Schreckgespenst?
em: Es ist eine Gefahr. In der Zeit nach der Platzspitzschliessung haben wir eine solche Ghettoisierung im Kreis 5 erlebt. Ich bin überzeugt, dass man im Kreis 2 oder 7 nicht so lange zugewartet hätte mit Handeln. Aber im Kreis 5 verlor man ja nicht ein entscheidendes Wählerpotenzialdurch diese unhaltbare Situation, also hat man viel zu lange zugeschaut. Um der Ghettoisierung zu begegnen gibt es nur ein Rezept: Die Bevölkerung zu durchmischen: alle Altersstufen, alle Rassen, aber auch konventionelle Familien mit Singles und so weiter.

yb: Du hast immer betont, dass Du keine Quotenfrau bist. Bist Du zufrieden mit der Nomination der Stadtratskandidatin und den -kandidaten?
em: Ich bin stolz darauf, dass ich als nicht Quotenfrau bei der Nominierung auf Anhieb gleichviele Stimmen erhielt wie Elmar Ledergerber. Allerdings bin ich mir bewusst, dass ein solches Resultat bei den Wahlen kaum zu wiederholen wäre. Ich würde es natürlich sehr bedauern, wenn die SP nach den Stadtratswahlen ausschliesslich mit drei Männern vertreten wäre, aber deswegen eine Frauenquote einzuführen ginge mir gegen den Strich. Die Quotenfrage darf nicht dazu benützt werden, dass man als Frau seine eigene Position verbessern kann, ohne die entsprechenden Vorleistungen zu bringen.

yb: Ist der Frauenbonus 1998 noch aktuell, oder sind die Nachwehen der Bundesrätinnenwahl von 1993 überstanden?
em: Ich weiss nicht, wie es am 1. März sein wird. In parteipolitisch ungebundenen Kreisen ist der Frauenbonus noch stärker als in der SP. Neu ist auch, dass es in der SP noch nie eine Frauenwahl ohne ein eigentliches Frauenkommitee gegeben hat. In diesem Zusammenhang muss ich mir schon einige Fragen stellen!

yb: Welches Amt würde Dich reizen?
em: Dies ist die häufigste Frage im Wahlkampf. Ich antworte jeweils immer , dass mein Wunschdepartement zum Glück frei wird: das Gesundheits- und Umweltdepartement. Hier vereinen sich unternehmerische und betriebswirtschaftliche Überlegungen mit dem sozialen Aspekt, was mich fasziniert.

yb: Was ist Dein Anliegen als Stadträtin?
em: Es gibt verschiedene Aufgaben, die eine Agentur übernehmen kann, wie zum Beispiel für den inhaltlichen Teil, wie die Referate oder die Frage- und Antwortrunde. Dies gilt auch für den ganzen Präsentationsteil, wie man die Botschaften vermittelt. Je grösser die Anzahl der Teilnehmer, je grösser eine Firma ist, desto öfter werden Simultanübersetzungen gebraucht, Telefon- oder Videokonferenzen werden in alle Welt geschaltet, oder die Medienkonferenz wird ins Internet geladen, was alles klassische Agenturaufgaben sind. Beim ganzen technischen und logistischen Apparat mag es sinnvoll sein, einen Spezialisten beizuziehen. Bei allen drei genannten Bereichen kommt es darauf an, welche Lust die Firmen aufbringen, dies in eigener Regie durchzuführen. Es gibt Grossfirmen, bei denen die oberen Kader dies aus dem Stehgreif können. Dort ist der Beizug einer Agentur höchstens im Sinne eines Coachings sinnvoll. Angestellte des unteren und mittleren Kaders, aber auch die höheren Kaderleute, die weniger geübt sind, können diese Leistungen einkaufen.

ybr: Allenfalls auch ein Medientraining?
mmp: Genau. Das ist in der Vorbereitung, besonders zum Fragen- und Antwortkatalog, wichtig. In Medientrainings übt man den Ernstfall, der glücklicherweise selten eintrifft.

ybr: Als Aussenstehender habe ich manchmal das Gefühl, und ich habe es schon so erlebt, dass es für viele Unternehmen oder Institutionen, wie z.B.das Kinderdorf Pestalozzi, immer einen enormen Aufwand bedeutet, Journalisten zur Teilnahme bei einer Medienkonferenz zu bewegen. Täuscht der Eindruck, dass sich Wirtschaftsjournalisten neben den klassischen Unternehmen wie eine UBS lieber auf trendy Branchen wie die Biotech-Branche konzentrieren? Wenn ja, woran liegt das?
mmp: Das Kinderdorf Pestalozzi hat bei vielen Journalisten Sympathien. Ich glaube, dass sie sich die Frage stellen: «Was interessiert unsere Leser?» In der Schweiz besitzt rund ein Drittel der Bevölkerung Aktien und interessiert sich somit auch dafür, was eine Crédit Suisse oder eine Novartis für Erfolge und Misserfolge an der Börse ausweisen. Darum schreiben die Journalisten eher über solche Unternehmen. Beim Kinderdorf Pestalozzi ist es ähnlich wie bei einem Small Cap, eine Firma also, die ausser dem Spezialistentum, meine ich, eher unbekannt ist und in der breiten Bevölkerung kein Reizwort darstellt. Ich glaube nicht, dass es einen Graben zwischen Wirtschaft und «Kultur» mit sozialem Engagement gibt.

ybr: Herrscht eine Übersättigung an Konferenzangeboten?
mmp: Das ist so. Man sieht auch, dass viele Medien mit der Flut von Unternehmensinformationen überfordert sind. Das sind nicht nur Pressekonferenzen, vieles kommt heute in schriftlicher Form. Die regelmässige Berichterstattung hat dramatisch zugenommen, was ein Erfordernis vieler Börsenplätze ist. Auch die Schweizer Börse hat vor einem Jahr von der jährlichen zur halbjährlichen Berichterstattung gewechselt, was das Informationsvolumen de fakto verdoppelte. Im New Market ist gar eine Quartalsberichterstattung verlangt, was eine Vervierfachung bedeutet. Das zwang die Medien, ihre klassische Unternehmensberichterstattung neu zu überdenken. Ein Beispiel ist Cash, das heute überhaupt keine Unternehmensberichterstattung, dafür einen anderen journalistischen Stil hat. Spezialisierte Wirtschaftstitel haben aufgehört, den Puls jeder Medienkonferenz zu fühlen. Für die Firmen heisst das, dass sie neue Wege finden müssen, um ihre Botschaften an den Mann und an die Frau zu bringen – etwa mittels Finanzanzeigen.
Ein Beispiel, das noch weiter geht, ist in Deutschland. Mit der Schwemme von Unternehmen, die sich am Neuen Markt kotieren lassen, haben verschiedene Redaktionen beschlossen, über diese Firmen überhaupt nicht mehr zu berichten, weil sie keinen Überblick mehr haben und deshalb nicht mehr verlässlich aufzeigen können, welche Unternehmen gut und welche schlecht dastehen. Sie haben quasi eine Informationsverweigerung gemacht.

ybr: Gibt es für Dich einen absoluten Albtraum in Bezug auf Pressekonferenzen?
mmp: Es gibt viele Albträume und sie werden immer auch wieder einmal wahr. Die häufigsten sind technische Unzulänglichkeiten. Aber es kommt auch vor, dass man das Gefühl hat, auf ein falsches Datum eingeladen zu haben oder die Referenten erscheinen nicht. Es zahlt sich sicher aus, ein Team von erfahrenen Eventorganisatoren dabeizuhaben, die auch die kleinen Details im Griff haben. Auf diese kommt es ebenso darauf an wie auf die strategisch klugen Botschaften.

ybr: Martin, ich danke Dir für das interessante Gespräch.


 

Nachbetrachtung des Artikels
Die SVP zog 1997/98 u.a. mit Emil Grabherr in den Stadtratswahlkampf. Emil Grabherr gehörte zu denjenigen Politikern der SVP, welche die destruktive Politik der SVP durch ihre oft sinnlosen Vorstösse wehement mittrug. Grabherr, der in der Nähe des Friedhofs in Altstetten wohnte, brachte eine teilweise Öffnung für die Moslems der Stadt Zürich auf diesem Friedhof, zu Fall. Eine Umfrage unter den Schülern von Emil Grabherr hatte ergeben, dass er ein mässiger aber unbeliebter Lehrer war.

Die einzige Art, auf das anbiedernde Porträt, welches im Höngger erschienen war -in welchem Emil Grabherr als armer Politiker dargestellt wurde, der nur das Beste für die Gesellschaft möchte und von den Linken und den Medien zu unrecht als Unmensch geschildert wird - die gehörige Portion Sarkasmus und Zynismus vor der obenstehender Artikel strotzt.

Der Autor hatte noch mit Emil Grabherr eine Begengnung der dritten Art: Am Sylvester 1997 spazierte er per Zufall an Grabherrs Haus vorbei (Unfälle geschehen halt von Zeit zu Zeit). EG wartete in seinem Reiheneinfamilienhäuschen hinter der Türe und passte den Spaziergängern und Friedhofsbesuchern ab. Jedes Mal, wenn er jemand entdeckt hatte, eilte er an den Gartenzaun und wünschte überfreundlich einen guten Tag. Ein Unmensch, wer dabei böses denkt.

Emil Grabherr verpasste die Wahl in den Stadtrat deutlich. Als im Jahr darauf an seiner Strasse, wo er nur etwa zwei bis drei Autos sein Eigen nannte, die Parkplätze in blaue Zone umgewandelt wurden, zügelte er fort.