Auch wenn Stephan Eicher in Deutschland nur Geheimtippstatuts hat, so mag ihn zumindest das deutsche Rolling Stone. Wenigstens in der Redaktion des deutschen Ablegers der Rockmagazins schlechthin ist Carcassonne eines der Lieblingsalben. So hiess es im Jahresrückblick, dass es zu schön um traurig zu sein sei. Dem oft missverstandenen Album 1000 vies trat die Redaktion offen entgegen. Und bei Louanges, nachzulesen im aktuellen Juli Heft, übertreffen sich die Kritiker in den hymnischen Beschreibungen, auch ewnn sie es an Sternen mangeln lassen. So schrieb Andreas Borcholte, dass Eichers Talent darin liege, orignär europäische Popmusik aus dem Ärmel zu schütteln, dass man dabei ehrfürchtig erschauder möchte.

1993 erzählte Stephan Eicher in einem Interview, dass er oft Songs noch einmal zurücklege. Mindestens zwei hat er aus alten Tagen hinübergenommen: Hell's Kitchen spielte er während den Soundchecks der Carcassonne Tour anno 1993/94. Zu sehen ist das im Video Non Ci Badar... Guarda E Passa von 1994, der Tourdokumentation. Ebenfalls aus den Carcassonne-Tagen stammt das Titelstück Louanges. Zwei Demoversionen sind auf der zweiten CD von Non Ci Badar Guarda E Passa zu hören.

Stephan Eicher hat Zigeunerblut in sich. Das ist vielleicht auch der Grund, warum er oft herumzieht und immer wieder seinen Wohnsitz wechselt. Seine musikalischen Wurzeln sind in seiner Neuinterpretation von Mani Matters Hemmige spürbar, aber auch in seiner melancholischen Musik, die trotzdem nie traurig wirkt. Doch Eicher, der Weltenbummler hat nicht nur Zigeunerblut in sich, auch der keltische Ursprung der heutigen europäischen Völker, ist auf Louanges hörbar: Ce Peu d'Amour, Louanges und das wunderbare Venez Danser kommt very britisch, mit aeolischen Pfeifen, einer Art Dudelsack, daher. In allen drei Stücken ist auch der sonnige Klang einer Mandoline zu hören. Aber auch die Jazztrompete von Xavier Descarpentruis, die mit einem Filter gedämpft wird, passt bestens in den bretonischen Klang der Songs und verleiht ihnen ihre kühle Atmosphäre, die dennoch Wärme auszustrahlen vermag.

Ausser bei Hell's Kitchen sind keine röhrenden Gitarren zu hören. Stephan Eicher meinte unlängst in einem Interview, dass Rock pubertär sei. Dennoch bildet eigentlich Louanges mit Carcassonne (1993) und Engelberg (1991) eine musikalische Trilogie. Nicht nur wegen den Songs, die teileweise aus der selben Zeit stammen, sondern eher musikalisch. Einzig quer in der Landschaft steht 1000 Vies, Eichers 96er Meisterwerk, das von vielen Leuten nicht verstanden worden war. Si Douces, Sans Vouloir Te Commander oder auch Venez Danser schlagen musikalisch die Brücke in Eichers erfolgreiche Zeit Anfang der 90er Jahre. Die Songs stehen in der Tradition von Rivière, Manteau de Gloire oder Wake Up.

Versöhnliches zum Millennium
Seit 10 Jahren zeichnet Phillippe Djian für die französischen Lyrics verantwortlich. Somit ist Eicher eigentlich zu den literarischen Songwritern zu zählen. Eine Klasse, zu der Kuno Lauener auf nationalem und Leonard Cohen und Nick Cave auf internationalem Parket sich bewegen. Der literarischtste Song ist zugleich auch der stärkste auf dem Album: Venez Danser. Kommt noch ein letzes Mal zum Tanz, nehmt meinen Arm, nehmt mich an der Hand. Kommt noch einmal tanzen, erinnert euch an mich. Gebt mir noch diese letzte Chance, fordert Djian im Text.

Wie kam es zu dieser Situation: Der Song beantwortet sie gleich selbst: «Elle vous dira que je ne suis plus toute à fait l' gars qu'elle a connu.» (Sie wird euch sagen, dass ich überhaupt nicht mehr der Typ bin, den sie einmal gekannt hatte). Und Djian hat einen gekonnten Clou bereit: «Venez Danser, venez à moi, laissez-la dire, croyez en moi. Elle ne sait pas que je ne joue plus, elle ne sait pas que je suis nu.» (Lasst sie nur sprechen, glaubt mit. Sie weiss nicht, dass ich nicht mehr mitspiele. Und das Duo Eicher/Djian lässt am Ende des Songs die Frau ziehen.

Der Song wäre nur halb so gut, wenn er nicht das versöhnliche Ende hätte. Trotz des Scherzes der zu Ende gegangenen Beziehung ziehen sie die Bilanz, dass die Herzensdame ihre Schulden beglichen hat. Und dass sie alles gegeben hat, was sie konnte (elle a payé ce qui est du, elle a été ce qu'elle a pu). Diese Versöhnung, von der auf Carcassonne wenig zu spüren ist, zieht sich durch Louanges hindurch. La fin du monde ist ein Stück, welches sich mit dem Leben nach 30 befasst und feststellt, dass es noch nicht das Ende der Welt sei, und dass man doch auch einmal die Wahrheit akzeptieren solle.

Prinzip Hoffnung und Neuanfang
Altbewährtes hat Eicher mit Campari Soda aufgenommen. Der Song, anno 1977 von der Zürcher Gruppe Taxi in Dieter Yello Meiers Tonstudio aufgenommen, wurde in der 80er Jahre ein Radiohit und zählt zum besten, was die Mundartmusik je hervorgebracht hat. Mit seiner Coverversion wird Eicher den Song definitiv ins kollektive Gedächnis spielen. Nur schade, dass er aus dem Züridialekt ein Bahnhofbuffet Olten Gemisch gemacht hat. Anstelle von Malaga, sieht man durch die Wolken Bälpmoos, die Stimme des Co-Piloten ist Büne Huber von Patent Ochsner. Schliesslich war es Stephan Eicher, welcher Patent Ochsner zum Durchbruch verhalf.

Eicher hat seine Plattenfirma gewechselt und kam von Barclay zu Virgin France und so in den Schoss von EMI Records. Noch sind ihm seine neuen Herausgeber kritisch eingestellt und möchten keine Single veröffentlichen. Eicher hat aber noch immer die Hoffnung, dass Campari Soda ausgekoppelt wird und den selben Weg einschlägt wie Hemmige vor bald zehn Jahren.Wann ist seine Musik eigentlich am besten? Sein erstes Album hiess Les Chansons Bleues, Lieder zur blauen Stunde. Dies ist die Stunde zwischen Tag und Nacht, in welcher der Verstand am klarsten arbeitet. Und genau für diese blaue Stunde ins die unterkühlte Musik von Louanges gedacht.

Stephan Eicher auf dem Foto der - erst - im Jahr 2000 veröffentlichten Single Sans Vouloir Te Commander. Sie wurde erst ein Jahr nach Veröffentlichung des Albums Louanges und nach Beendigung der gleichnamigen Europatour ausgekoppelt.

Stephan Eicher
Louanges
Virgin France 847647-2

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Die weiteren Artikel über Stephan Eicher von Yves Baer:

• Des Hauts Sans Bas (Carcassonne, 1993)
• 1000 Vies (1000 Vies, 1996)
• Eine einfache Frage nebenbei (Stephan Eicher spielt für Kofi Annan, 2001)
• Putain, l'européain chante au DRS 3, (Promokonzert Taxi Europa, 2003)

... und ausserdem:
• Fotostrecke Stephan Eicher live im Radiostudio Zürich, Juni 2003