Artikel - Archiv 2001
Ein Konzert trotz Osama
14. April 2001
Am 11. September wollte Sting sein Livealbum in der Toskana aufnehmen. Dann kamen die Terroranschläge. Nach kurzer Beratschlagung mit seinen Musikern tat er es trotzdem und änderte die Setliste.
Bewertung * * * * 1/2

Traum
«Hi Sting, you owe me a bottle of wine» werden die ersten Worte sein, die ich Sting gegenüber sagen werde. Denn wegen Sting habe ich eine Wette verloren. Die Wette ging folgendermassen: Wenn beim Jazzfestival Montreux am Freitagabend zuerst Jeff Beck und nach ihm Sting auftreten werden, (zumal sting.com das Gerücht protiert hatte, dass die beiden zusammen auftäten) absolut nichts dagegen spräche, dass Jeff Beck am Sonntag in Zürich bei Sting als Überraschungsgast auf die Bühne kommen würde. Ausserdem sollte Jeff Beck noch ein Konzert bei Live at Sunset geben. Weit gefehlt, Sting spielte mit seiner Band solo und die Flasche Wein ging verloren.

Den Traum aber hatte ich im Frühjahr 2001, bevor etwas von Stings Sommertour bekannt war. Ich träumte von einem Konzert von Sting in einem Kreuzgewölbekeller. In der Mitte diseses Kellers war eine Drehbühne, so dass man jeden Musiker einmal sehen konnte. Der Soundtrack des Traumes war das Konzert im Hallenstadion vom vergangen Jahr. Der Eingang in den Kreuzgewölbekeller war, zumindest am Anfang, in Zürich Höngg, bevor er dann plötzlich irgendwo im Flimser Bergsturz war . Träume halt eben.

Sting.com hatte auch darüber informiert, dass Herr Stachel in seinem Haus in der Toskana am 11. September 2001 ein Konzert geben würde, bei dem er viele seine Songs neu arrangiert einspielen würde. Umso gespannter war man bei seiner Sommertour - die Sting ausser ans Jazzfestival Montreux an Orte wie das Live at Sunset Openair im Hof des Landesmuseums in Zürich oder in den Dresdner Zwinger führte - ob er etwas vom neuen Album druchblicken lasse. Hatte Sting nicht. Zwar hatte er in Montreux Big Lie Small World gespielt, bei Live at Sunset dafür I'm So Happy I Can't Stop Crying. Aber eine Idee, wie das Album klingen würde, kriegte man nicht. Und so durfte man weiter Träumen.

Wirklichkeit
Die Wirklichkeit aber war traurig. Sting verbrachte den September in seinem Haus in der Toskana, wo er für das exklusive Konzert vom 11. September, das er vor 200 geladenen Gästen geben wollte, probte. So war die Band beim nachmittäglichen Soundcheck, als die ersten Nachrichten aus den USA eintrafen. Sting und seine Band verfolgten wie der Rest der Welt die Ereignisse. Die Musiker setzen sich zusammen und beratschlagten, ob sie das Konzert verschieben wollten. Stings amerikanische Bandmitglieder antworteten ihm, dass die Telefonleitungen in die USA sowieso zusammengebrochen wären, und sie mit der Musik ihre Sorgen um die Angehörigen zumindest für den Moment vergässen. Sting stellte es aber jedem einzelnen frei, zu spielen. Cheb Mami, der algerische Rai-Sänger, mochte nicht mehr auftreten, Desert Rose fiel aus dem Programm, ebenso Englishman in New York
.

Am Abend trat Sting vor das Publikum und erklärte, dass er angesichts der schrecklichen Ereignisse des Tages das Set umgestellt hatte. Er begann mit Fragile, welches er allen Opfern dieses Tages gewidmet hatte. Sichtlich bewegt eröffnete er das Konzert mit seiner sonst üblichen Schlussnummer. Die Musiker sind alles Profis, von den Ereignissen des Tages zeugt nur die zumeist unterkühlte Stimmung.

Die so genannten All New Versions sind so neu gar nicht. Mit Freude nimmt man zur Kenntnis, dass Sting endlich, endlich wieder jazziger wurde. Etwas, was man sich bei seiner Brand New Day Tour und der Sommer Tour dieses Jahres schon gewünscht, sich aber auch angekündigt hatte. So spielte Sting bei beiden Zürcher Konzerten (2000/resp. 2001) Bring On The Night wie es auf dem gleichnamigen Livealbum von 1986 zu hören war, mit einer groovigen Jazzimprovisation. Perfect Love Gone Wrong, All This Time und Brand New Day erhielten ein Jazzarrangement, während Mad About You, Moon Over Burbon Street ihre Jazzphrasierungen behielten. Dienda, ein Instrumentalstück des kürzlich verstorbenen Kenny Kirkland, welcher Sting so oft begleitet hatte, erhielt vom Maestro Summner einen Text verpasst.

Das seltsamste Stück auf All This Time ist und bleibt Fragile. Klammert man den tragischen Hintergrund von 9/11 aus, so hat man ein langsames Stück mit viel Keyboardfanfaren, das im Mittelteil in ein verklemmtes Latinstück übergeht. Für einmal ist Sting der Stilmix gründlich misslungen. Ebenfalls nichts auf dem Album zu suchen hätte The Hounds Of Winter, das live gleich schwach ist wie auf Mercury Falling. I'm So Happy I Can't Stop Crying oder Let Your Soul Be Your Pilot wären aber angesichts der eben durch Flugzeuge zum Einsturz gebrachten Zwillingstürme zynisch gewesen.

Sich die Aufnahmen des Konzertes anzusehen, sei es das TV Special oder als Video, lohnt sich. Die Band spielt auf einer kleinen Bühne. Die Beleuchtung kommt von farbigen Glühbirnen. Das ganze ist filmisch sehr schön aufgenommen. Veröffentlicht wird All This Time als CD sowie DVD und Video und wurde als TV Special ausgestrahlt. Promotet wird das Album mit Your Favourite Sting & The Police Tracks, die alle neu eingespielt wurden. Woher zum Geier will Vivendi Universal meine liebsten Sting & The Police Songs kennen, wenn Desert Rose, Sister Moon oder I Miss You Kate fehlen? Aber das ist eine andere Geschichte.


Sting bei Live At Sunset im Hof des Zürcher Landesmuesums am 22. Juli 2001, Foto: sting.com



Tracklisting

Fragile
A Thousand Years
Perfect Love...Gone Wrong
All This Time
The Hounds Of Winter
Mad About You
Don't Stand So Close To Me
When We Dance
D ienda
Roxanne
If You Love Somebody (Set Them Free)
Brand New Day
Fields Of Gold
Moon Over Bourbon Street
If I Ever Lose My Faith In You
Every Breath You Take

 
Sting
All This Time
A&M (Universal) 493 156-2

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
http://www.sting.com
 

 

 

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Stachelfrei (Mercury Falling, 1996)
Die Kraft der Wüstenrose (Brand New Day, 1999)
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