Artikel - Archiv 2001
Communication Breakdown
19. Januar 2001
Für viele Unternehmen ist die Medienkonferenz der wichtigste Event. Obwohl Bilanzpressekonferenzen von ihrer Natur her eine trockene Angelegenheit sind, hat die Anzahl zugenommen. Kein Wunder, stieg während der letzten Jahren das Informationsvolumen dramatisch an. Yves Baer sprach mit Martin Meier-Pfister, Geschäftsführer Wirz Investor Relations AG, über die Auswirkungen der Informationsschwemme.

ybr: Sind Pressekonferenzen Events?
mmp: Ja, das sind sie ganz sicher. Sie sind sogar einer der wenigen Unternehmensanlässe, bei dem sich eine Firma auf höchster Ebene institutionalisiert mit wichtigen Anspruchsgruppen trifft, seien dies Medienvertreter oder so genannte Analystenkonferenzen, was oft gekoppelt wird. Beide Zielgruppen sind wichtige Multiplikatoren, welche die Leistungen des Managements bewerten.
Pressekonferenzen sind auch deshalb zentrale Events, weil die Kommunikationsleistung per se einen immer wichtigeren Faktor in der Beurteilung von Unternehmen und Managern darstellt. An Pressekonferenzen zeigt sich, wie geübt und kunstfertig ein Management die zentralen Botschaften der Firma kommunizieren kann.

ybr: Wie sieht der Ablauf einer «normalen» Bilanzpressekonferenz aus?
mmp: Möglichst kurz sollte er aussehen. Die zu vermittelnde Botschaft sollte kompakt verpackt werden. Man muss sich die Bedürfnisse der anvisierten Zielgruppen vor Augen halten. Die Journalisten, die an einem Anlass teilnehmen, absolvieren jeweils ein Mammutprogramm. Im Frühjahr nehmen sie an etwa 300 bis 400 Medienkonferenzen teil. Es gibt 300 kotierte Firmen in der Schweiz, wobei noch weitere Unternehmen Bilanzpressekonferenzen geben. Die Journalisten wollen darum ganz kurz und kompakt die wichtigsten Informationen vermittelt bekommen. Wenige Referenten, die in geraffter Form rapportieren, was geschehen ist. Besonders wichtig ist eine klare Aussage über die weitere «Reise» zu machen und eine Standortbestimmung in der quantitativen und qualitativen Zielerreichung vorzunehmen.

ybr: Was ist die durchschnittliche Anzahl von Journalisten an Bilanzpressekonferenzen?
mmp: Es gibt drei Gruppen von Konferenzen. Erstens diejenigen der grossen Multis wie Novartis, Nestlé oder die UBS, die sicher eine Anzahl von 50 Journalisten ausweisen. Hinzukommen eine Anzahl von interessanten Wachstumsgesellschaften wie Phonak oder Jomed, die es vielleicht auf 15 bis 25 Journalisten, vielleicht gar etwas mehr, schaffen. Zuletzt kommen die vielen kleinen Gesellschaften, die sogenannten Small Caps, die ohne spektakuläre Resultate ihr Leben fristen, bei denen sich Null bis zehn Journalisten an die Medienkonferenz verirren. Deshalb ist es schwierig, einen Durchschnittswert zu nennen.

ybr: Welche Erwartungen stellen die Medien an die Unternehmen und was bedeutet dies für uns auf Agenturseite?
mmp: Das Wichtigste ist das Bedürfnis nach geraffter Information, aber auch der Wunsch nach gleichzeitiger Information darf nicht vernachlässigt werden. Mit der grossen Anzahl von Informationen, welche für Börsenkurse relevant sein können, kann man nicht mehr wie früher die Journalisten, die an eine Medienkonferenz kommen, bevorzugt behandeln und denen, die nicht teilgenommen haben, die Dokumentation im Nachhinein per Fax oder Kurier zukommen lassen. Heute ist es so, dass man vor Beginn einer Medienkonferenz gleichzeitig allen Medien die wichtigsten Informationen, zukommen lassen muss. Dies ist insbesondere ein Bedürfnis der Nachrichtenagenturen, die in einem harten Konkurrenzkampf stehen. Nur so kann man gewollte oder ungewollte Bevorzugungen vermeiden. Dies gilt auch für Vertrauensjournalisten, die gerne gewisse Informationen vorab hätten. Unsere Politik ist die Gleichbehandlung, um allen gleichlange Spiesse zur Verfügung zu stellen.

ybr: Was ist das häufigste «Do» und «Don’t» bei Bilanzmedienkonferenzen?
mmp: Das häufigste «Don’t» das mir begegnet ist, dass man zu viel möchte: zu viel Informationen, zu viele Referenten und in der Masse geht die wichtige Botschaft unter. Ein wichtiges «Do» ist, dass man sich speziell auf den Fragenteil vorbereitet. Je kürzer man die Präsentation hält, desto wichtiger wird die Diskussion danach. Viele Fragen können nicht durch die erste Präsentation beantwortet werden. Ein kompakter Fragenteil ist wichtiger als ein glänzendes Referat. Mit einer guten Vorbereitung dieses Teiles holt man sich viele Punkte. Dies bedeutet, dass man sich die kritischen Fragen nicht nur semantisch, sondern auch mit Zahlenmaterial vorbereitet. Vielleicht produziert man für die zehn, zwanzig wichtigsten Fragen Folien. Und man sollte sich im Management absprechen, wer zu welchen Fragen spricht.
Noch eine Seitenbemerkung: Mir hat einmal ein Analyst gesagt, dass er bei Konferenzen vor allem auf das Verhältnis des CEOs und des CFOs während des Fragen- und Antwortteils achtet. Ein kompakter Eindruck sei ein Indiz dafür, dass das Unternehmen gut geführt würde.

ybr: Wann ist der Beizug einer Agentur sinnvoll? Gibt es Unterschiede von Kleinunternehmen zu Grossfirmen à la UBS?
mmp: Es gibt verschiedene Aufgaben, die eine Agentur übernehmen kann, wie zum Beispiel für den inhaltlichen Teil, wie die Referate oder die Frage- und Antwortrunde. Dies gilt auch für den ganzen Präsentationsteil, wie man die Botschaften vermittelt. Je grösser die Anzahl der Teilnehmer, je grösser eine Firma ist, desto öfter werden Simultanübersetzungen gebraucht, Telefon- oder Videokonferenzen werden in alle Welt geschaltet, oder die Medienkonferenz wird ins Internet geladen, was alles klassische Agenturaufgaben sind. Beim ganzen technischen und logistischen Apparat mag es sinnvoll sein, einen Spezialisten beizuziehen. Bei allen drei genannten Bereichen kommt es darauf an, welche Lust die Firmen aufbringen, dies in eigener Regie durchzuführen. Es gibt Grossfirmen, bei denen die oberen Kader dies aus dem Stehgreif können. Dort ist der Beizug einer Agentur höchstens im Sinne eines Coachings sinnvoll. Angestellte des unteren und mittleren Kaders, aber auch die höheren Kaderleute, die weniger geübt sind, können diese Leistungen einkaufen.

ybr: Allenfalls auch ein Medientraining?
mmp: Genau. Das ist in der Vorbereitung, besonders zum Fragen- und Antwortkatalog, wichtig. In Medientrainings übt man den Ernstfall, der glücklicherweise selten eintrifft.

ybr: Als Aussenstehender habe ich manchmal das Gefühl, und ich habe es schon so erlebt, dass es für viele Unternehmen oder Institutionen, wie z.B.das Kinderdorf Pestalozzi, immer einen enormen Aufwand bedeutet, Journalisten zur Teilnahme bei einer Medienkonferenz zu bewegen. Täuscht der Eindruck, dass sich Wirtschaftsjournalisten neben den klassischen Unternehmen wie eine UBS lieber auf trendy Branchen wie die Biotech-Branche konzentrieren? Wenn ja, woran liegt das?
mmp: Das Kinderdorf Pestalozzi hat bei vielen Journalisten Sympathien. Ich glaube, dass sie sich die Frage stellen: «Was interessiert unsere Leser?» In der Schweiz besitzt rund ein Drittel der Bevölkerung Aktien und interessiert sich somit auch dafür, was eine Crédit Suisse oder eine Novartis für Erfolge und Misserfolge an der Börse ausweisen. Darum schreiben die Journalisten eher über solche Unternehmen. Beim Kinderdorf Pestalozzi ist es ähnlich wie bei einem Small Cap, eine Firma also, die ausser dem Spezialistentum, meine ich, eher unbekannt ist und in der breiten Bevölkerung kein Reizwort darstellt. Ich glaube nicht, dass es einen Graben zwischen Wirtschaft und «Kultur» mit sozialem Engagement gibt.

ybr: Herrscht eine Übersättigung an Konferenzangeboten?
mmp: Das ist so. Man sieht auch, dass viele Medien mit der Flut von Unternehmensinformationen überfordert sind. Das sind nicht nur Pressekonferenzen, vieles kommt heute in schriftlicher Form. Die regelmässige Berichterstattung hat dramatisch zugenommen, was ein Erfordernis vieler Börsenplätze ist. Auch die Schweizer Börse hat vor einem Jahr von der jährlichen zur halbjährlichen Berichterstattung gewechselt, was das Informationsvolumen de fakto verdoppelte. Im New Market ist gar eine Quartalsberichterstattung verlangt, was eine Vervierfachung bedeutet. Das zwang die Medien, ihre klassische Unternehmensberichterstattung neu zu überdenken. Ein Beispiel ist Cash, das heute überhaupt keine Unternehmensberichterstattung, dafür einen anderen journalistischen Stil hat. Spezialisierte Wirtschaftstitel haben aufgehört, den Puls jeder Medienkonferenz zu fühlen. Für die Firmen heisst das, dass sie neue Wege finden müssen, um ihre Botschaften an den Mann und an die Frau zu bringen – etwa mittels Finanzanzeigen.
Ein Beispiel, das noch weiter geht, ist in Deutschland. Mit der Schwemme von Unternehmen, die sich am Neuen Markt kotieren lassen, haben verschiedene Redaktionen beschlossen, über diese Firmen überhaupt nicht mehr zu berichten, weil sie keinen Überblick mehr haben und deshalb nicht mehr verlässlich aufzeigen können, welche Unternehmen gut und welche schlecht dastehen. Sie haben quasi eine Informationsverweigerung gemacht.

ybr: Gibt es für Dich einen absoluten Albtraum in Bezug auf Pressekonferenzen?
mmp: Es gibt viele Albträume und sie werden immer auch wieder einmal wahr. Die häufigsten sind technische Unzulänglichkeiten. Aber es kommt auch vor, dass man das Gefühl hat, auf ein falsches Datum eingeladen zu haben oder die Referenten erscheinen nicht. Es zahlt sich sicher aus, ein Team von erfahrenen Eventorganisatoren dabeizuhaben, die auch die kleinen Details im Griff haben. Auf diese kommt es ebenso darauf an wie auf die strategisch klugen Botschaften.

ybr: Martin, ich danke Dir für das interessante Gespräch.

Martin Meier-Pfister
Er schloss 1992 sein Studium in Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität St. Gallen ab. Er sammelte erste Erfahrungen als Redaktor bei einem Schweizer Wirtschaftsmagazin und als Junior-Berater bei einer Zürcher Public Relations-Agentur. 1994 wechselte er zur Wirz-Gruppe in Zürich, wo er als Berater vorab in der Finanzkommunikation tätig war. Martin Meier-Pfister wurde Anfang Januar 2000 Geschäftsführender Partner von Wirz Investor Relations AG. Nebenstehendes Gesrpräch führte Yves Baer mit Martin Meier-Pfister Ende 2000 im Rahmen des Online Dossiers Events , welches auf der Website der Wirz-Gruppe abrufbar ist.

 
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