Schon kleine
Kinder lernen in der Schule, dass Äpfel und Birnen unvergleichbar
sind. Auch die Stones und Beatles lassen sich nicht vergleichen.
Die Wurzel der Musik der Rolling Stones ist der amerikanische
Rhythm & Blues, die Beatles war der Rock n
Roll von Elvis Presleys. Der Liverpooler Sound wurde als Skiffle
und Mersey Beat bezeichnet. Die Beatles und die Stones gehörten
zu den ersten Gruppen der so genannten britischen Invasion,
welche die Rockmusik nach Amerika zurück brachte. Auch
heutzutage läuft die Begegnung mit den Bands über
die seit vier Jahrzehnten festgelegten Strickmuster. So lautet
die klassische Frage der Rockszene noch immer Beatles oder
Stones. Und die Medien lieben es, jeweils die nicht existierende
Rivalität zwischen den Bands bzw. zwischen Mick Jagger
und Paul McCartney zu zelebrieren. Selbst EMI Records, die
mittlerweile die Rolling Stones und McCartney unter Vertrag
hat, konnte der Versuchung nicht widerstehen, zu einer einzigen
Listening Session einzuladen, bei der A Bigger Bang
von den Stones und McCartneys Chaos And Creation In The
Backyard vorgestellt wurden. Weshalb der Autor nun wider
besseren Wissens Steine mit Käfern vergleicht, dies aber
aus der Sicht des nach 1970 Geborenen.
Die Stones enttäuschen klassisch
Ihre beste Zeit hatten die Stones Ende der 60er-, Anfang der
70er-Jahre, in der Alben wie Let It Bleed, Sticky Fingers
oder Exile On Main Street entstanden. Bewusst schürte
das Rolling Stones Lager die Erwartungen hoch, ist doch A
Bigger Bang mit über einer Stunde Spieldauer das
längste Album seit dem 1972er-Exile On Main Street.
Dass die Stones nicht nur die dienstälteste Rockband
sind, sondern ein gut funktionierendes Grossunternehmen, belegt
die Tatsache, dass ihre auf dem Bösebuben-Image aufgebaute
Promotionskampagne eingeschlagen hat. Bereits anno 1991 warfen
die Stones George Bush senior vor, den Golfkrieg bloss des
Erdöls wegen geführt zu haben. Mick Jaggers heiligen
Zorn auf sich gezogen hat nun George Bush junior mit seinem
Irakkrieg. Im Song Sweet Neo Con wirft Jagger Bush
vor, kein richtiger Christ und Patriot, sondern ein Heuchler
und ein Sack Scheisse zu sein. Die ultrakonservativen und
religiösen krochen Jagger auf den Leim und empörten
sich entsprechend lauthals über den Song. Doch nehme
Anstoss, wer sich daran stossen möchte, denn erstens
kommt der Anti-Bushsong mindestens ein Jahr zu spät und
zweitens leben die Herren Jagger und Richards seit bald drei
Jahrzehnten mit ihren Steuertricks und exorbitant hohen Ticketpreisen
bis zu 500 Franken auf der aktuellen Tour den
von ihnen so kritisierten neoliberalen Geist vor. Passend,
dass Jagger im Ausklang des Songs statt ein angewidertes Oh
No ein müdes Yeah Yeah singt.
Das eigentliche Problem von A Bigger Bang ist nicht
die mangelnde Glaubwürdigkeit der Band, sondern schlicht
und einfach, dass die Stones auf die klassische Art versagen.
Mit ihrer im Vergleich zur LP längeren Spielzeit verleitet
die CD dazu, zu viel Material zu verwerten. Man nennt dies
die CD-Falle, in welche die Stones munter musizierend getappt
sind. Der Opener Rough Justice schraubt die Erwartungen
derart hoch, dass sie von den wenigsten Songs erfüllt
werden können. In Rain Fall Down ist die sexgeladene
Luft des Rotlichtmillieus spürbar. Bei Back Of My
Hand scheint Muddy Waters auferstanden zu sein, während
die Disocnummer Laugh I Nearley Died in die Beine geht.
Das von Keith Richards gesungene Infamy erinnert an
Bob Dylan und ist ein letzter Höhepunkt auf dem Album.
Der Rest, wie die Single Streets Of Love, ist B-Seiten
würdig und taugt allenfalls noch in den Senderaster der
Formatradios.
Per se ist A Bigger Bang weder ein gutes noch ein schlechtes
Album, sondern bloss Mittelmass. Die Rolling Stones haben
sich auf ihre musikalischen Stärken konzentriert, Mick
Jagger und Keith Richards gaben sich auch beim Songwriting
Mühe. Selbst, dass sie sich musikalisch nicht weiter
ent-wickelt haben, ist nicht ein Nachteil. Bloss reicht heutzutage
ein mittelmässiges Album nicht aus, um gegen die jungen
Rockbands wie Franz Ferdinand oder The White Stripes bestehen
zu können.
McCartney legt ein beatleswürdiges Album vor
Eine Erfahrung, die Paul McCartney bereits machen musste.
Zwar ist er nach wie vor der erfolgreichste Popmusiker, und
seine beiden letzten Alben Flaming Pie (1997) und Driving
Rain (2001) verkauften sich im angelsächsischen Sprachraum
ordentlich. Dennoch liegt sein letzter Millionenhit, Hope
Of Deliverance, schon 12 Jahre zurück. Ursache des
für seine Verhältnisse kommerziellen Misserfolges
war nicht die Technobewegung sondern die Tatsache, dass McCartneys
Alben der 80er- bis Mitte 90er Jahren zu berechenbar, ohne
überraschende Ideen, geworden waren. Erst nach der Beatles
Anthology kehrte er zum simplen Songwriting zurück
und schrieb mit Calico Skies, Heaven On A Sunday, Spinning
On An Axis oder Riding Into Jaipur Songs, die auch
auf jedem Beatlesalbum ihren Platz gefunden hätten. Und
live gab er dem Publikum, was es wollte, während seiner
letztjährigen 04 Summer Tour bestand seine Setliste
zu 80% aus Beatlessongs. Dass gerade dieser Overkill an Beatlesmaterial
und McCartneys verletzte Eitelkeit, nicht mehr der grösste
Hitlieferant zu sein, sich heilsam auf das neue Album auswirken
sollten, war nicht zu erwarten.
Zumindest mit der Hittauglichkeit hapert es beim neuen Album.
Dies liegt nicht an der Single Fine Line sondern am
Produzenten Nigel Goodrich. Goodrich, bekannt für seine
düsteren Klangbilder bei Radiohead, taugt nicht zu Hitsingles.
Und doch ist die Wahl ein Glücksgriff, denn das Aufeinandertreffen
von Radiohead und den Beatles ist ein stetiger Kampf zwischen
der Sonne und den dunklen Wolken. Goodrich bewahrt McCartney
davor, ins triviale und kitschige abzudriften, während
McCartney mit seinen Melodiebögen Goodrichs Soundlandschaften
konterkariert und die melancholische Stimmung zu durchbrechen
vermag. Chaos And Creation ist ein Album geworden,
das sich nicht mit einem Mal anhören erfassen lässt,
zu breit ist Universum der verwendeten musikalischen Ideen.
Ein ähnlich grosses Spektrum deckten die Beatles auf
dem Weissen Album ab, einem Doppelalbum notabene.
Zu beginn der Sessions forderte Nigel Goodrich McCartney auf,
seine Tourband zu entlassen, weshalb dieser nach seinen selbstbetitelten
Alben von 1970 und 80 wieder alle Instrumente selbst spielt.
Goodrich wollte mit dieser Massnahme McCartney aus den bekannten
Gefilden führen. Lediglich der Ohrwurm Fine Line
und die Ballade Jenny Wren, die McCartney als kleine
Schwester von Blackbird bezeichnet, klingen für
den Hörer vertraut. McCartney verwendet bei Jenny
Wren das Fingerpicking Blackbirds und kombiniert
es mit dem Cello aus Yesterday. Herausgekommen ist
ein Song, der wie Eleanor Rigby unter die Haut geht.
Das melancholische At The Mercy zeigt einen gereiften,
nachdenklichen McCartney, der Ambient-Hiddentrack folgt dem
bombastischen Anyway. Lautmalerisch sind das Xylophon
und das Pianoriff in Riding To Vanity Fair. Die grösste
Veränderung erfuhr Follow Me, letztes Jahr beim
Zürcher Konzert ein sphärischer Song, das auf dem
Album als simples Gitarrenstück daherkommt. Gespickt
mit guten Ideen ist Promise To You Girl, während
English Tea nicht bloss musikalisch daran erinnert,
dass McCartney im nächsten Jahr 64 wird.
Nein, die Rolling Stones und die Beatles miteinander vergleichen
sollte man nicht. Auch nicht, wenn man erst Mitte der 1970er-Jahre
geboren ist und die goldene Zeit der Bands bloss aus den Erzählungen
der Eltern kennt. Man belässt die Rangordnung im Rockolymp
lieber, denn auch die neuen Alben lassen sich schwer miteinander
vergleichen. A Bigger Bang ist ein klassisches Stones
Album, das keine neue Pfade einschlägt und mehr vom Mythos
denn von der Qualität lebt, während sich McCartney
musikalisch weiter entwickelt hat. Mit Chaos And Creation
legt er ein grandioses Album vor, das in derselben Liga
wie Revolver und Sgt. Pepper spielt. Bleibt
der Fairness wegen noch die Frage, ob McCartneys neues Opus
sich mit Franz Ferdinand und den White Stripes messen lässt.
Und auch diese Frage ist zu verneinen, den Kid A von
Radiohead lässt sich genauso wenig mit Franz Ferdinand
vergleichen, wie sich Beethovens 5. Symphonie
mit A Kind Of Blue von Miles Davies messen lässt.
Weshalb man auch als nach den Beatles geborener Journalist
bloss das Spiel mit den Äpfeln und den Birnen, bzw. den
Steinen und Käfern spielen kann.
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Wie
lässt sich das...
...
mit dem vergleichen?
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