Musicus
Rockende Literatur
Januar/Februar 2003
Lou Reed hat das Leben Edgar Allan Poes vertont und sein vielgelobtes Alterswerk um einen weitern Höhepunkt bereichert.
Bewertung: * * * * * *


Lou Reed hat Edgar Allan Poes Leben vertont. Die Obsessionen Poes sind Reeds Themen: Verlust, Gewalt, Schuld, Selbstzerstörung. Es scheinen sich die beiden richtigen gefunden zu haben. Oder wie Anthony Decurties im amerikanischen Rolling Stone schrieb: «Eine Beziehung, die kaum im Himmel geschlossen werden konnte, die teuflische Kraft des Albums strahlt ganz klar von den unterirdischen Feuern.» Mit The Raven fügt Lou Reed seinem vielgelobten Alterswerk (das nach gängiger Zeitrechnung mit dem 89er-Album New York beginnt) einen weiteren Höhepunkt zu.

Von POEtry zu Raven
1999 wurde POEtry, ein Musical über Edgar Allan Poes Leben, das er mit Robert Wilson schrieb, uraufgeführt. Einige Songs aus POEtry finden sich auf dem 2000er Album Ecstasy wieder. Es ist möglich, dass aus POEtry schlussendlich The Raven wurde. Gewisse Songs von The Raven hatte Lou Reed auch schon während der Ecstasy Tour im Millennium im Repertoire: So eröffnete er sein Konzert bei Live at Sunset im Zürcher Landesmuseum mit der Ouverture.

Während der ersten Hälfte der Songs beschleicht einem das Gefühl, einige irgendwie schon einmal gehört zu haben: The Bells von 1979 winkt einmal aus der Ferne, festnageln lassen sich nur zwei Songs: Edgar Allan Poe ist der Zwillingsbruder von Future Farmes Of America und Call On Me ist mit Talking Books verwandt. Beide Songs stammen von POEtry und sind auf Ecstasy sowie Perfect Night (Talking Books) zu hören. Dennoch überrascht Lou Reed mit einer noch selten gekannten Verspieltheit: Broadway Song swingt und boppt und lässt einem das Rock Album vergessen. Operettenhafter Gesang (bei der Neuinterpretation von Perfect Day) wechselt sich mit Saxofonen ab. Jazz und Funk sowie Musical und Heavy Metall sind die musikalischen Antipoden des Albums.

Das Rock n’Roll Animal transformiert zur Metal Machine
Im Jahr 2001 erwähnte Lou Reed in einem Interview, dass er sich musikalisch mit den Metal Bands wie Slayer oder Sepultura beschäftige, da ihn diese amüsierten. Lou Reed, the godfather of Rock und Zögling Andy Warhols, gilt längst als der wichtigste lebende Gitarrist. Keine zeitgenössische Band, die sich nicht auf Lou Reed bezieht. Was also können Kerry King & Co. Onkel Lou noch beibringen? Seit seinem 96er Album Set The Twillight Reeling wird Reeds Musik metalliger, der Rock hört auf zu rollen, das Rock n’Roll Animal der 70er Jahre transformiert zur Metal Machine. Die Antwort auf die vorhin gestellte Frage lautet Blind Rage. Das einzige an dem Song, was nicht an Slayer erinnert ist Lou Reeds dünne Stimme.

König der Rückkoppelung
Dass Lou Reed ein ganzes Album nur mit Rückkoppelungen aufgenommen hatte und damit beinahe seine Karriere ruinierte, scheint nur noch eine Episode aus seinen drogenumnachteten 70er Jahren zu sein. Dennoch wurde Metal Machine Music vor zwei Jahren als CD neu aufgelegt. Lou Reed wird recht behalten mit seiner Aussage, dass er der einzige Mensch auf Erden sei, der Metal Machine Music ganz gehört hat. Denn sich während einer Stunde reine Rückkoppelungen anzuhören sind auch nach 25 Jahren des Guten zuviel.

Geradezu als niedlich nehmen sich Versuche von REM und U2 aus, Songs mit elektronischen Feedbacks zu schreiben. Während REMs Leave noch gehen mag, ist Gone nicht mehr als eine schlechte Single B-Seite. Der sonst immer lästernde Nick Joyce vom Tages Anzeiger schrieb einmal, dass Lou Reed die Rückkoppelung zur Kunstform erhoben hat. Was bei Riptide und Egg Cream auf Set The Twillight Reeling schon phänomenal ist, lässt sich auf The Raven nicht mehr beschreiben. Auf Burning Embers spielt Lou Reed die zweite Gitarrenstimme mittels Rückkoppelung. Eine waschechte Melodie! Reed hat den unkontrollierbaren Lärm in den Griff bekommen.


Foto: rollingstone.com


Tracklisting:

Ouverture
Edgar Allan Poe
Call On Me
Valley of Unrest
A Thousand Departed Friends
Change
The Bed
Perfect Day
The Raven
Balloon
Broadway Song
Blind Rage
Burnig Embers
Vanishing Act
Guilty
I Wanna Know (The Pit And The Pendulum)
Science Of Minds
Hop Frog
Tripitena's Speech
Who Am I? (Tripitena's Song)

Doppel-CD
CD 1
The Conqueror Worm
Ouverture
Old Poe
Prologue (Ligiea)
Edgar AllenPoe
The Valley Of Unrest
Call On Me
The City In The Sea/Shadow
A Thousand Departed Friends
Change
The Fall Of The House Of Usher
The Bed
Perfect Day
The Raven
Balloon

CD 2

Broadway Song
The Tell-Tale Herat Pt.1
Blind Rage
The Tell-Tale Heart Pt.2
Burning Embers
Imp Of The Perverse
Vanishing Act
The Cask
Guilty - Spoken
Guilty - Song
A Wild Being Form Birth
I Wanna Know (The Pit And The Pendulum)
Science Of Mind
Annabell Lee/The Bells
Hop Frog
Every Frog Has His Day
Tripitena's Speech
Who Am I? Tripitena's Song
Courtly Orangutans
Fire Music
Guardian Angel

Lou Reed
The Raven
Warner Reprise 9862 48382 2 (2 CD)

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
http://www.loureed.org