Musicus
Dem Unbill der Welt mit Liebe begegnen
23. September 2003
Sting fühlte sich nach dem 11. September 2001 verunsichert und zerrissen. Die tragischen Ereignisse und deren Folgen repolitisierten den öffentlichen Sting. Auf Sacred Love bringt er seine Gefühle und Gedanken auf den Punkt und verleiht der Linken wieder eine Stimme.
Bewertung: * * * *1/2

Sting, einer der profiliertesten Stars im sonst eher apolitischen Showbusiness, Sohn eines Milchmannes, ist seiner linken Überzeugung treu geblieben. Neben U2 und Peter Gabriel ist er wohl die Ikone des Polit-Pops der 80er Jahre und kritisierte in seinen Songs die südamerikanischen Militärjuntas. Wie U2 engagierte er sich während der 90er Jahre weniger kameraträchtig im Hintergrund. Neben seinem Einsatz für Amnesty International ist vor allem sein Engagement für den tropischen Regenwald bekannt - auch wenn ihn Angus Young von AC/DC dafür verlogen schimpfen mag, weil seine Bassgitarre aus Mahagoni sei. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die darauffolgenden Kriege der Bush-Administration repolitisierten den öffentlichen Sting und hinterlassen auf Sacred Love, seinem am 29. September erschienenen Album eindeutig ihre Spuren.

This War, ein Song mit zu freundlich in den Hintergrund gemischten, heulenden Gitarren, widerspiegelt musikalisch die klinische Kriegsberichterstattung der embedded journlists von CNN und Fox News. Im Text greift Sting die Feldherren Bush und Blair frontal an: «Ihr mögt den Krieg gewonnen haben, doch akzeptiert ihr den Frieden», fragt er. In Forget About The Future analysiert er die Rolle des gefallenen und noch fallenden Empires östlich und westlich des Atlantiks: «Sie öffneten die all die Wunden der Vergangheit, da sie versagten ihren Weg in die Zukunft zu finden.» Mit der Metapher einer Beziehunskrise skizziert er die Beweggründe er Bush-Administration: weil es schwierig sei, über die Zukunft nachzudenken, soll man mit der Vergangenheit weiterfahren.

Vom Irakkrieg schlägt er in This War elegant den Bogen zum amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus: «Es gibt einen Krieg gegen unsere Demokratie, ein Krieg gegen unsere andere Meinung. Es ist ein Krieg innerhalb der Religion (...) Es ist ein Krieg gegen Mutter Natur, auf den Meeren, gegen die Wälder, Vögel und Bienen. Es ist ein Krieg gegen die Erziehung, ein Krieg gegen die Information, ein Kampf zwischen den Geschlechtern und den Nationen.» Seine nüchtern düstere Analyse beendet er mit der Feststellung, dass dieser Krieg gegen die Liebe und das Leben an und für sich gerichtet sei. Und dass sie - Namen muss Sting keine nennen - diesen Krieg verlangen.

Auf Brand New Day, dem Vorgängeralbum von 1999, forderte Sting dazu auf, die Uhren zurückzudrehen und noch einmal von vorne zu beginnen. Wie damals packte er auch Sacred Love die vorherrschende gesellschaftliche Grundstimmung in seine Musik. Trotz der Terroristen Bin Laden und Bush gelingt es Sting zu vermitteln, dass es noch immer Hoffnung gibt, er hat seine optimistische Stimmung noch nicht verloren. Sting, katholisch erzogen, bezeichnete sich im Interview mit dem Spiegel keiner Religon zugehörig. Dennoch verwendet in seinen Texten biblische Bilder, und dass die Religionen einem Halt bieten können. So fragt er in This War, was es nütze die ganze Welt zu gewinnen, wenn man dabei seine Seele verlöre. In Dead Man's Rope zeigt ihm ein Engel den Weg in eine bessere Zukunft auf: «In der Güte meiner Erinnerung ist der süsse Regen des Vergebens. Und so folge ich nun in seinen Fussstapfen und gehe in seine Gnade ein.» Etwas weniger biblisch, dennoch unmissverständlich, ist die Botschaft des Albums, zu finden im Song This War: Begegne dem Unbill der Welt mit Liebe. Lehne nicht zurück, sondern engagiere dich. Womit sich der Titel des Albums, Sacred Love - heilige Liebe - selbst erklärt.

Send Your Love
, die irreführende Single

In einem Rock-Lexikon von Mitte der 90er Jahre ist unter dem Eintrag Sting zu lesen, dass seine Singles keine Hitparadenstürmer seien. Sting möchte, dass man seine Alben kauft. Anhand dieser These lässt erklären, warum bei Sting regelmässig schwache Stücke wie After The Rain Has Fallen, You Still Touch Me oder Fortress Around Your Heart auf Singles landen. Auch Send Your Love, die Vorabauskoppelung aus dem aktuellen Album Sacred Love, scheint nach dem Hören des leidigen Radio-Edits in obengenanntes Kapitel zu gehören. Dass die Bemerkung des Rocklexikons wahr sein könnte, erklärt sich damit, dass auf Send Your Love arabische und westliche Musik vermengt sind. Sting legt Wert darauf, dass dies seine Form von Protest gegen George Bush sei.

Für manch gestandenen Sting-Fan klingt der Maestro bei diesem Song zu stark nach Ricky Martin. Eine bewusste Irreführung der Käufer - die Albumversion ist ausgewogener und präsentiert ein weiteres Muster von Stings genialer Manie, differente Stile miteinander zu mischen: Ein Flamenco-Intro wird von einem westlichen Popsong abgelöst, und schlussendlich mischen sich Technorhytmen und orientalische Klänge. Und dennoch liegt in der Singleversion, in der Reduktion des Songs auf massentauglichen Radiopop, sein Hitpotenzial, nicht zuletzt weil auf dem Album der grosse musikalische Wurf fehlt. Dennoch kann man sich getrost fragen, ob nun die Ricky-Martin- Allüren mehr nerven als das moderne Bazargewand.

Reflexionen der Moderne und der Vergangenheit
Seine Ricky-Martin-Allüren sind nicht die einzigen Reflexionen der musikalischen Moderne. Im wunderbaren Duett Whenever I Say Your Name mit Mary J. Blige kriegt Sting gerade noch einmal die Kurve, die melancholische Melodie der Strophe und der R&B-lastige Chorus harmonieren miteinander, wenn auch schlecht. Schon das 96er Album Mercury Falling folgte in der Produktion dem damaligen Trend der Zeit zu pampigen, in der Mitte abgemischten Sounds. Bei Sacred Love, welches wieder in aktuellster Manier abgemischt ist - mit zuvielen Bässen und sonstigen Störenfriede drin, ist das Resultat zwar geniessbar, aber nur in dosierten Mengen. So scheitert auch Book Of My Life nach einem Hühnerhaut erregenden Intro, weil der Song zu westlich wurde. Die Sitar von Anushka Shankar hätte sich bestens in die keltische Melodie, welche entfernt ans Guggisberglied erinnert, eingepasst.

Sting ist einer der meistgesampeltsten Musiker überhaupt. Diddy Sean Puffy Combs, oder wie er auch immer gerade aktuell heissen mag, sampelte in seinem Tribut an Notorious Big - I'll Be Missing You - Stings Klassiker Every Breath You Take. Auch Sting zitiert sich gerne selbst: In Love Is The Seventh Wave rezitiert er aus Every Breath You Take, in 7 Days spielte er auf Every Little Thing She Does Is Magic an. Warum also sollte er sich nicht selbst samplen dürfen? Die Coda von Dead Man's Rope ist das Zitat von Walking In Your Footsteps ab dem legendären Synchronicity-Album. Der Song ist eine wunderbar zurückgenommene Ballade und wohl der beste Song des Albums, weil Sting nicht zuviel miteinander vermischt hatte. Never Coming Home ist nicht anders als eine Reminiszenz an Liveversion von Bring On The Night: Die Gitarrenbegleitung ist die selbe wie anno 86 und auch Jason Rebellos Klaviersolo am Ende erinnert stark an jenes, welches er bei Bring On The Night während der letzten Tour gespielt hatte.

Kein Album von Sting ist gleich wie sein Vorgänger: The Dream of The Blue Turtles ist das jazzige, Nothing Like The Sun das politische, The Soul Cages das düstere, Ten Sumoner Tales das verspielte Album, Mercury Falling spiegelt Stings Midlife Crisis, Brand New Day war das optimistische Album vor dem Millennium. Und Sacred Love? Inhaltich ist es ein Meisterwerk: Sting spricht mit einer unverhohlenen Deutlichkeit, welche Bono gut anstehen würde. Doch musikalisch zerreist das Album keine Stricke und ist wie The Soul Cages und Mercury Falling schwer verdaulich. Ganz so wie die heutige Zeit.


Sting hat lachen gelernt. Foto: sting.com/members

Tracklisting:

Inside
Send Your Love
Whenever I Say Your Name
Dead Man's Rope
Never Coming Home
Stolen Car
Forget About The Future
This War
Book Of My Life
Sacred Love

Bonus Tracks auf SACD

Send Your Love - Dave Aude Remix
Shape Of My Heart - Live

 


Tracklisting
Send Your Love
Moon Over Bourbon Street- Cornelius Mix
Send Your Love - Dave Audé Remix
Send Your Love - The Video

 

Sting
Sacred love
A&M 062498 60618 6 (Super Audio CD)

Send Your Love - Limited Edition Maxi Single
A&M 060249810103-2

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

   
Links:
www.sting.com
 
   

 Weitere Artikel von Yves Baer über Sting im VzfB-Archiv:

Stachelfrei (Mercury Falling, 1996)
Die Kraft der Wüstenrose (Brand New Day 1999)
Ein Konzert trotz Osama (All This Time, 2001)