Musicus
In die klassische Falle getappt
5. September 2005
A Bigger Bang ist ein klassisches Stones Album, das keine neue Pfade einschlägt und mehr vom Mythos denn von der Qualität lebt. Bewertung * * * 1/2

Ihre beste Zeit hatten die Stones Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, in der Alben wie Let It Bleed, Sticky Fingers oder Exile On Main Street entstanden. Bewusst schürte das Rolling Stones Lager die Erwartungen hoch, ist doch A Bigger Bang mit über einer Stunde Spieldauer das längste Album seit dem 1972er-Exile On Main Street. Dass die Stones nicht nur die dienstälteste Rockband sind, sondern ein gut funktionierendes Grossunternehmen, belegt die Tatsache, dass ihre auf dem Bösebuben-Image aufgebaute Promotionskampagne eingeschlagen hat. Bereits anno 1991 warfen die Stones George Bush senior vor, den Golfkrieg bloss des Erdöls wegen geführt zu haben. Mick Jaggers heiligen Zorn auf sich gezogen hat nun George Bush junior mit seinem Irakkrieg. Im Song Sweet Neo Con wirft Jagger Bush vor, kein richtiger Christ und Patriot, sondern ein Heuchler und ein Sack Scheisse zu sein. Die ultrakonservativen und religiösen krochen Jagger auf den Leim und empörten sich entsprechend lauthals über den Song. Doch nehme Anstoss, wer sich daran stossen möchte, denn erstens kommt der Anti-Bushsong mindestens ein Jahr zu spät und zweitens leben die Herren Jagger und Richards seit bald drei Jahrzehnten mit ihren Steuertricks und exorbitant hohen Ticketpreisen – bis zu 500 Franken auf der aktuellen Tour – den von ihnen so kritisierten neoliberalen Geist vor. Passend, dass Jagger im Ausklang des Songs statt ein angewidertes Oh No ein müdes Yeah Yeah singt.

Das eigentliche Problem von A Bigger Bang ist nicht die mangelnde Glaubwürdigkeit der Band, sondern schlicht und einfach, dass die Stones auf die klassische Art versagen. Mit ihrer im Vergleich zur LP längeren Spielzeit verleitet die CD dazu, zu viel Material zu verwerten. Man nennt dies die CD-Falle, in welche die Stones munter musizierend getappt sind. Der Opener Rough Justice schraubt die Er-wartungen derart hoch, dass sie von den wenigsten Songs erfüllt werden können. In Rain Fall Down ist die sexgeladene Luft des Rotlichtmillieus spürbar. Bei Back Of My Hand scheint Muddy Waters auferstanden zu sein, während die Disocnummer Laugh I Nearley Died in die Beine geht. Das von Keith Richards gesungene Infamy erinnert an Bob Dylan und ist ein letzter Höhepunkt auf dem Album. Der Rest, wie die Single Streets Of Love, ist B-Seiten würdig und taugt allenfalls noch in den Senderaster der Formatradios.

Per se ist A Bigger Bang weder ein gutes noch ein schlechtes Album, sondern bloss Mittelmass. Die Rolling Stones haben sich auf ihre musikalischen Stärken konzentriert, Mick Jagger und Keith Richards gaben sich auch beim Songwriting Mühe. Selbst, dass sie sich musikalisch nicht weiter entwickelt haben, ist nicht ein Nachteil. Bloss reicht heutzutage ein mittelmässiges Album nicht aus, um gegen die jungen Rockbands wie Franz Ferdinand oder The White Stripes bestehen zu können.

Seht Euch bloss Ron Woods Smile an. (Bild: Rollingstones.com)

Tracklisting:

Rough Justice
Let Me Down Slow
It Won't Take Long
Rain Fall Down
Streets Of Love
Back Of My Hand
She Saw Me Coming
Biggest Mistake
This Place Is Empty
Oh No, Not You Again
Dangerous Beauty
Laugh I Nearly Died
Sweet Neo Con
Look What The Cat Dragged In
Driving Too Fast
Infamy

 

Rolling Stones
A Bigger Bang
Virgin 0094 633799424

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
www.rollingstones.com

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