Brooklyn, Zigarren, Brillen und Geschichten
25. Juni 2011
Auggie Wrens Brooklyn Cigar Company, wo sich Harvey Keitel, Forest Whitaker, Jim Jarmusch, Lou Reed, Madonna, Roseanne und Michael J. Fox die Klinke in die Hand geben, ist eine Liebeserklärung vom Kino an die Kinoliebhaber.
 


Im November 1990 klingelte beim New Yorker Schriftsteller Paul Auster das Telefon. Es war Mike Levitas vom Feuilleton der New York Times, der eine Weihnachtsgeschichte bestellte. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit verfasste Auster «Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte». Beim Öffnen einer Dose Schimmelpennicks, die holländischen Zigarillos sind seine Lieblingsmarke, dachte Auster an seinen Zigarrenhändler in Brooklyn, was ihn zur Geschichte inspirierte. Regisseur Wayne Wang musste sich seine Weihnachtsausgabe der New York Times am Kiosk kaufen, da sein Exemplar ihm aus dem Briefkasten gestohlen wurde. Ausser «Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte» las er nicht sehr viel, diese gefiel ihm aber so gut, dass er im Januar 1991 mit Paul Auster Kontakt aufnahm.

Immer wieder Schimmelpennicks
Im Mai 1991 besuchte Wang Auster in Brooklyn. Gemeinsam gingen sie Schimmelpennicks kaufen und Auster zeigte die Originalschauplätze aus der Weihnachtgeschichte. Während dieses Spaziergangs entwickelte sich bereits der Plot des nachmaligen Films. Bis dass der Film schlussendlich gedreht werden konnte, gingen drei Jahre ins Land. Wayne Wang behielt Auster als Drehbuchautor. Es war das erste Skript, das Auster schrieb. In «Smoke» verweben sich fünf Handlungsstränge, die sich gegenseitig beeinflussen. Der Schriftsteller Paul Benjamin (William Hurt) wird von einem Jungen namens Rashid davor gerettet, überfahren zu werden. Jener befindet sich, nachdem er Räubern ihr Diebesgut gestohlen hat, auf der Suche nach einem Versteck und wohnt ein paar Tage bei Paul Benjamin, der ihm eine Anstellung in der Brooklyn Cigar Company bei Auggie Wren (Harvey Keitel) verschafft. Auggie hat ein Geschäft mit kubanischen Zigarren laufen. Dann tritt Auggies ehemalige Geliebte Ruby auf den Plan. Und immer wieder kauft Paul Benjamin zwei Pack Schimmelpennicks. «Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte» beendet «Smoke». Paul Benjamin ist auf der Suche nach einer Weihnachtsgeschichte und Auggie erzählt ihm eine. Die Szene beginnt in einer Imbisbude in der Totalen, wo Auggie und Paul an einem Tisch sitzen. Während Auggie die Geschichte erzählt, zoomt die Kamera während Minuten unmerklich auf Harvey Keitel und endet am Schluss in einer Grossaufnahme seines Mundes. Mehr Action muss nicht sein.

Lous Brille
Während den Dreharbeiten verselbständigte sich «Smoke». Gedacht war eine Rückkehr in Auggies Zigarrenladen. Auster skizzierte die meisten Szenen bloss, die Schauspieler sollten improvisieren. Gedreht wurden während fünf Tagen. Es gab kein Drehbuch und keine Handlung. Mit Schnitten und Kapiteln wurde diese erzeugt: Die Brooklyn Cigar Company soll verkauft und in ein Rohkostgeschäft umgewandelt werden. Aus «Smoke» wurden fast keine Figuren übernommen, neue kamen hinzu, wie Madonna als singendes Telegramm, Michael J. Fox als Aussendienstmitarbeiter eines Umfrageinstituts oder Roseanne als Dot, der Frau von Vinnie (Victor Argo) des Ladenbesitzers, die nichts anderes als nach Las Vegas möchte, um endlich Spass zu haben. Lou Reeds Auftritt als hauseigener Philosoph gehört zu den Höhepunkten. Hinter dem Tresen schwadroniert er, dass er nie anderswo als in Brooklyn leben könne – in Schweden beispielsweise würde er Angst kriegen. Später im Film erklärt seine Erfindung: Eine Brille, deren Gläser man hochklappen kann. Damit hätte er die Wissenschafter in Cape Canaveral verblüfft. Die Brille stellt heute ein italienischer Hersteller her und kann auf Lous Webseite bezogen werden.

Unsterblich ist «Blue In The Face» wegen Jim Jarmusch, der als Fotograf Bob seine letzte Zigarette mit Auggie rauchen möchte. In der Länge einer Zigarette wird über die Welt des Rauchens philosophiert und dann sagt Bob: «Sex und Zigaretten, das werde ich vermissen.» Worauf Auggie fragt: «Sex willst du auch aufgeben?». Schöner wurde das Rauchen selten zelebriert. Wayne Wang ist stolz auf die Filme. Er erklärt sie zu Weihnachtsgeschenken von ihm und Paul Auster an alle, die gerne ins Kino gehen. Das Geschenk wurde angenommen, «Smoke» gewann 1995 den Silbernen Bären an der Berlinale. Für den Soundtrack von «Smoke» zeichnete Tom Waits verantwortlich, denjenigen von «Blue In The Face» David Byrne.

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Harvey Keitel und Jim Jarmusch. Archiv Baer.


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