So long, Leonard
Leonard Cohen war der Literat unter den Songwritern. Eine Würdigung.


Leonard Cohens lapidare Reaktion auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan war die Feststellung: «Das ist, als ob man vor dem Mount Everest ein Schild mit der Aufschrift ‹Höchster Berg der Welt› anbringen würde.» Dylan verschlug es ob er Auszeichnung die Sprache. Als er sie wieder gefunden hatte, war Cohen endgültig verstummt. Neben Dylan war Cohen der andere Singer/Songwriter, der die höchsten literarischen Meriten verdient hätte.

Der Literat
Leonard Cohen wurde in eine wohlhabende jüdische Familie, die in der Nähe von Montreal lebte, geboren. Sein Grossvater mütterlicherseits war Rabbiner. Mit 13 Jahren lernte Cohen Gitarre zu spielen, um ein Mädchen zu beeindrucken. 1955 schloss er sein Studium der englischen Literatur an der McGill University ab. Anfang der 60er-Jahre lebte er auf der griechischen Insel Hydra, zusammen mit der Norwegerin Marianne Ihlen. Sie war seine grosse Liebe und Muse zugleich. Nach dem Studium war Cohen bei der Literatur geblieben und veröffentlichte die Lyrikbände «Let Us Compare Mythologies» (1956), «The Spice Box Of Earth» (1961) und «Flowers For Hitler» (1964). Er verfasste auf Hydra auch seine beiden Romane «The Favourite Game» (zu deutsch «Lieblingsspiel») von 1963 und «Beautiful Losers» von 1966, der zum internationalen Bestseller avancierte. 1967 erschien mit «The Songs Of Leonard Cohen» sein erstes Album, er war damals bereits 33-jährig. Neben seiner dunklen Bassstimme überzeugten auch die Texte. Cohen feilte an seinen Songtexten, bis sie aus seiner Sicht perfekt waren, das konnte Monate, wenn nicht gar Jahre dauern.


leonard cohen 1974
Leonard Cohen 1974 in London
Foto Billboard.

der Musiker
Auf seinen ersten Alben war Cohen Folksänger, der sich auf der Gitarre begleitete. Aus dieser Zeit stammen die Klassiker «Suzanne», «Bird On A Wire» und «So Long, Marianne». Nach einem kurzfristigen ersten Rückzug aus der Musik (1972) kehrte er 1974 mit dem reich instrumentierten Album «New Skin For The Old Ceremony» zurück. «Who By Fire» und «Chelsea Hotel No. 2», ein Song über seine Beziehung zu Janis Joplin, sind die Klassiker. 1977 produzierte Phil Spector «Death Of A Ladies Man» und pflasterte es mit seinem Wall Of Sound zu. Cohen bezeichnete das Album rückblickend als eine Katastrophe. Auf «Recent Songs» (1979) wandte er sich ein letztes Mal der Folkmusik zu, seine Lieder wurden spiritueller.

1984 kehrte Cohen auf «Various Positions» als Popstar mit Synthesizern zurück. Von «Hallelujah», das verschiedene alttestamentliche Bezüge enthält, schrieb er als Getriebener in einer einzigen Session 80 Versionen, nur in der Unterhose gekleidet und den Kopf auf den Boden seines Zimmers im New Yorker Royalton Hotel hämmernd. Das Gebet «If It Will Be Your Will» bezeichnete er als seinen besten Song. Diesen sollte er vier Jahre später mit «I’m Your Man» auf dem gleichnamigen Album veröffentlichen. Auf «The Future» (1992) wurden Cohens Songs politisch: «Democracy is coming to the USA» singt er in «Democracy» und «Give me back the Berlin wall (…) because I have seen the future. It is murder.»

Mitte der 90er-Jahre zog er sich, von seinen Depressionen und vom Drogenmissbrauch ausgelaugt, in das Zen-Kloster Mount Baldy bei Los Angeles zurück. 2001 kehrte er mit «Ten New Songs» zurück. 2004 stellte sich heraus, dass seine Managerin Kelley Linch sein gesamtes Vermögen von mehreren Millionen veruntreut hatte. Cohen musste mit 70 nochmals seinen Lebensunterhalt neu verdienen. Sein Alterswerk ist durchzogen mit Songperlen wie «Boogie Street» und einigen Belanglosigkeiten.

leonard cohen montreux 2008
Leonard Cohen 2008 am Jazzfestival Montreux.

das Vermächtnis
In Erinnerung bleiben wird aus der letzten Schaffensperiode der demütige alte Gentleman auf der Bühne, bei dessen Konzerten nie ganz klar wurde, ob das Publikum ihm oder er dem Publikum huldigte. Leonard Cohen ist nach den Beatles der meistgecoverste Musiker. Sein Vermächtnis sind seine Texte, denen es oft nicht an der nötigen Portion Schalk fehlte, so schreibt er 2012 in «Going Home» aus der Sicht von Gott, der auf Cohens Heimkehr wartet und zieht eine erste Bilanz über sein Leben. Mit «I’m Your Man» hat Leonard Cohen eines der grössten Liebesgedichte der Literatur verfasst. Die gemeinsame Version von «Tower Of Song» mit U2 mit der schneidenden Gitarre von The Edge, die Cohens dunkle Stimme konterkariert, ist die definitive Version dieses Songs. «Suzanne» und «First We Take Manhattan (Then We Take Berlin)» sind die erstgenannten Songs, wenn man die Leute auf Leonard Cohen anspricht.

Abgetreten ist Cohen mit einem letzten Meisterwerk, dem Song «You Want It Darker» auf dem gleichnamigen Album, worin sich er in Form eines jüdischen Gebets (und mit einem Synagogenchor eingespielt) vor seinen Schöpfer stellt: «Hineni (Hier bin ich) singt der Chor, «I’m ready» entgegnet der lebenssatte Cohen seinem Schöpfer. Das ganze Gefühlsspektrum des Sterbens liegt in der Musik. Drei Wochen nach Veröffentlichung des Albums verstarb Leonard Cohen am 7. November im 83. Lebensjahr im Schlaf.


leonard cohen 2016 you want it darker promo
Pressefoto von 2016 anlässlich der Veröffentlichung von «You Want It Darker».



leonard cohen 1988

Leonard Cohen (1934-2016). Aufgenommen 1988, als er mit «I'm Your Man» unterwegs war.

Special Edition
Denim Box mit Fotos und USB Stick
+ 2 Bonus Tracks



 

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Leonard Cohen



Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

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