Feind im Kopf

Neulich traf ich mein künftiges Ich. Es lächelte mich an und streckte mir seine Hand entgegen.
«Komm schon», sagte er. «Willst du noch lange in diesem lauen Bad liegen?» Er schwieg laut und schaute mich an, wie ich es von nun an vor dem Spiegel üben werde, und prüfte, ob ich seine Metapher verstanden hätte. Tat ich, schliesslich handelte es sich um mich. Bloss ein paar Jahre älter. Fragen Sie nicht, wie ich ausgesehen habe, so genau habe ich nicht hingeschaut. Oder gehören Sie zu der Sorte Mensch, die sich am Morgen im Spiegel ansieht und womöglich noch stylt? Natürlich hatte er recht, so wie bisher konnte es nicht weitergehen.
«Komm schon», sagte er, «es ist nur ein kleiner Schritt…»
«…für die Menschheit. Aber ein grosser für mich», beendete ich stumm den Satz.
«Komm schon», sagte er, «nimm meine Hand und lass uns den Feind im Kopf bekämpfen!» Er begann zu grinsen, was mich furchtbar an mich in meinen scheinbar originellen Momenten erinnerte.
«Hab keine Angst, du wirst gewinnen!», meinte er.
«Lass mich darüber nachdenken», brummte ich. Wirklich, das wollte ich tun. Auch wenn es in der Regel nicht gut kommt, wenn ich mit Denken beginne.

Und so tat ich das, was ich üblicherweise tue, wenn ich nachdenke: Ich beschäftige mich mit Dingen, die ich ganz instinktiv tun kann, also beispielsweise ziellos in der Landschaft herumirren, in der Glotze Actionfilme schauen oder mich mit Bier und Chips vollstopfen. Je simpler die Tätigkeiten werden, desto intensiver denke ich nach.

Wirklich, der hat gut Reden, der Junge aus Ich-in-ein-paar-Jahren. Einfach so in die Gegenwart latschen und mich in meinem knapp arrangierten Burgfrieden zu stören. Als ob ich so mir nichts, dir nichts in die Zukunft hüpfen könnte und ihm sagen, er solle gefälligst sein Leben geniessen. Oder ihn anflehen, dass er mir helfe. So weit kommt’s noch! Sicher hat er sich heute Morgen auf die andere Seite gedreht, als seine Frau aufgestanden ist, Frühstück gemacht hat und zur Arbeit gegangen ist. Genau so wird es gewesen sein: Er hat seine verschlafene Rübe in die vorgewärmte Kuhle in ihrem Kissen gelegt und ihren Geruch eingeatmet. Und dann wird er mit ihrem süssen Duft in der Nase nochmals ins Traumland gegleitet sein. Muss wohl zuviel davon inhaliert haben. Wie sonst wäre er auf die Schnapsidee gekommen, mich in seiner Vergangenheit zu besuchen. Also ehrlich… Einfälle haben die Leute manchmal!

Aber unter uns gesagt, die Sache mit dem Gewinnen, die klingt doch nicht so übel. Wenn es wirklich so einfach ist, wie er sagt: also quasi meinem Typ die Hand zu geben und… Mann, ich wär ja blöd gewesen, wenn ich es nicht versucht hätte.

Und wie auf Kommando stand er wieder da und streckte mir seine Hand entgegen.
«Komm schon», sagte er, «nimm meine Hand und lass uns den Feind im Kopf bekämpfen.» Er begann zu grinsen. «Hab keine Angst, du wirst gewinnen!» Ich gab mir einen Schubs und nahm seine Hand. Es fühlte sich irgendwie vertraut an, so wie damals, als ich als Kind meinen Eltern die Hand gab. Wir setzten uns in Bewegung. Er lächelte mich an und begann zu singen:
«Komm schon, nimm meine Hand und lass uns den Feind im Kopf bekämpfen.» Er begann zu grinsen. «Hab keine Angst, du wirst gewinnen!»
Immer wieder.

 


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Feind im Kopf – 2007  

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