il Spir

Conn, Anfang September 1632, später Nachmittag
Ein furchterregender Schrei und das angsterfüllte Wiehern eines Pferdes bemächtigten sich des nasskalten Septembernachmittages, ehe sie immer leiser wurden und verstummten.
«Das ist das Ende des berüchtigten Raubmörders Benedetg Caflisch, auch bekannt als il Spir!», sprach Hauptmann Catomas zu Leutnant Ragettli.
«Wenn er den Sturz in die ruinaulta überleben sollte, muss er mit dem Teufel im Bunde sein», sagte Ragettli. Sie schauten dem Fallenden und seinem Tier zu, wie sie sich in der Ruina überschlugen, den Geröllhang hinabschlitterten und schlussendlich von den tosenden hellgrauen Fluten des Vorderrheins verschlungen wurden.
«Schade um das Ross!», bedauerte Ragettli.
«Mit Verlusten ist zu rechnen, Leutnant. Ist die Kiste mitsamt Ross und Reiter in die Tiefe gestürzt?» Leutnant Ragettli schaute sich nach seinen Männern um, die allesamt schockiert über den tragischen Ausgang der Verfolgungsjagd in die Tiefe starrten. «Ich fürchte ja, Herr Hauptmann.»
«Hai nomal!», fluchte Catomas und klatschte danach in die Hände. «Na los! Worauf wartet ihr noch? Wir müssen hinab, die Truhe sicherstellen.»
«Ich widerspreche Ihnen ungern, Hauptmann. Wir brauchen sicher zwei Stunden für den Abstieg. In einer Stunde dunkelt es aber.»
«Tami nomal!», fluchte Catomas erneut, blickte zum Flimserstein hinüber, kratzte sich an seinem Bart und schaute danach Ragettli ernst an: «Wir reiten unverzüglich weiter nach Reichenau und stellen noch heute Nacht einen Suchtrupp zusammen! Bei Tagesanbruch brechen wir auf. Wir müssen die Leiche dieses Bastards und seine Truhe finden.»

Trin Mulin, 18. Juni 2013, 9.45 Uhr
Miraget bog bei Reichenau auf die Kantonsstrasse in die Surselva ein. Neben ihm sass Frank Zürcher, der wie der jüngere Bruder des deutschen Sängers Frank Zander aussah.
«Bitte erinnere mich heute Abend daran, dass ich hier Ferien buche. Hier ist es so schön!», schwärmte er begeistert, als sie den Viadukt bei Tamins überquerten und nach dem Dorf die ersten Kurven in Richtung Flims nahmen. Zu ihrer Linken konnten sie zwischen den Gipfeln des Dreibündensteins und der Signinagruppe dem Hinterrhein entlang ins Domleschg sehen, vor ihnen öffnete sich der Blick ins Bündner Oberland.
«Warte ab, bis du heute Nachmittag die beiden Seen sehen wirst. Der Caumasee erinnert seiner Farbe wegen an ein Südseeatoll, während der Crestasee inmitten des Flimserwaldes auch in Kanada gelegen sein könnte», prophezeite Miraget.
«Lag la Cauma, das bedeutet auf rätoromanisch See der Mittagsruhe.»
«Am Mittag werden wir aber in der Rheinschlucht sein…»
«Ruinaulta», sagte Zürcher, «die muss auch sehr schön sein.»
Miraget nickte und schüttelte danach den Kopf, als er in der nächsten Kurve von einem Einheimischen in einem Subaru Legacy mit überhöhter Geschwindigkeit überholt wurde.

Kommissar Raggenbass hatte im Vorjahr seinem Team nach drei erfolgreich aufgeklärten Fällen sowohl zur Belohnung als auch als Teambildungsmassnahme einen besonderen Betriebsausflug versprochen. Wie Recht er mit seinem Versprechen haben würde, konnte er damals noch nicht wissen. Miraget fand, dass sie sich die Belohnung verdient hätten, schliesslich haben sie den fast perfekten Mord am Neftenbacher Weinhändler Kurt Mattmüller aufgeklärt, mit der erfolgreichen «Operation Pablo» den internationalen Kunstdiebering um Pierpaolo Spelterini und dessen Hehler Lucien Navarre ausgehoben, und nach den tragischen Ereignissen bei der Verhaftung des Immobilienmagnaten Volker Eikelt in Zollikon war ein Tapetenwechsel, der nichts mit Mord und Totschlag zu tun hatte, ideal. Nach den Zolliker Ereignissen war Lili Webers Rückkehr ins Team lange unsicher gewesen. Da sie nun wieder arbeitete und der Sommer gekommen war, stand dem Ausflug nichts mehr im Wege.

Sie wollten sich beim Parkplatz des Sportzentrums Prau in Trin Mulin am Fuss des Crap Sogn Bargazi treffen. Miraget und Frank Zürcher kamen als erste an.
«Dieser Berg erinnert mich an einen Elefantenkopf», sagte Zürcher, nachdem sie ausgestiegen waren.
«Das ist der Bargazi. Oben findest du die Reste einer Burgruine aus dem Mittelalter. Im Innern hast du ein Fort, das während des Zweiten Weltkrieges als letzter Stützpunkt vor dem Gotthard gebaut worden war, um die Deutschen aufzuhalten, falls sie die Schweiz über das Rheintal hätten einnehmen wollen. Während des gesamten Kalten Krieges war die Festung weiter betrieben worden. Heute kümmert sich ein privater Verein um deren Erhalt.», erläuterte Miraget.
«Festung?», fragte Frank Zürcher.
«Mit Kanonen und allem drum und dran. Hier im Wald hat es noch eine Panzersperre.»
«Ich liebe Toblerone-Stücke aus Beton, die mitten in der Landschaft stehen», grinste Frank Zürcher und blickte über die gräserne Ebene, die hinter den Tennisplätzen begann und den Abschluss des Flimser Bergsturzgebietes bildete. «Wenn ich mir die Ebene anschaue, hätte man doch einfach mit Fallschirmtruppen im Rücken unserer tapferen Soldaten landen können…», sinnierte er ob der Landschaft.
«Glaub mir, die Armee hat das auch bemerkt und – Irrtum vorbehalten – in Ilanz eine grössere Kaserne gebaut.»
«Das waren noch Zeiten…», lachte Frank Zürcher und zückte sein iPhone. Nach zwei Minuten rief er entzückt: «Ich glaube es nicht, heute findet Google in null Komma nichts in den unendlichen Tiefen des Internets die Baupläne der Festung Trin…»
«So ändern sich die Zeiten», grinste Miraget. Unterdessen fuhr Raggenbass mit seinem moosgrünen Toyota Avensis Kombi auf den Parkplatz und parkierte neben Miragets dun-
kelblauen Citroën C4.
«Raggenbass hat die Familienkutsche genommen», bemerkte Miraget.
«Die Kinder sind aber schnell gross geworden», nahm Frank Zürcher den Faden auf, als Lili Weber und Inspektor Steger aus dem Auto stiegen. Sie begrüssten einander herzlich. Raggenbass erläuterte das Tagesprogramm, das mit einem Spaziergang über die Prada, der gräsernen Ebene, begann und zum Stausee und Elektrizitätswerk in Pintrun führte, von wo aus der Abstieg in Richtung Versam Station in die imposante Rheinschlucht begann. Bei Versam würden sie eine Stunde Rast machen, bevor sie die Rheinschlucht durch die Auenwälder nach Sagogn durchqueren würden. Nach einer Kaffeepause würden sie mit dem Bus nach Laax fahren und durch den grossen Flimserwald und dem Caumasee entlang auf der Senda Sursilvana nach Conn wandern, wo sie den Tag gemütlich ausklingen lassen wollten, ehe sie nach Trin Mulin zurückkehren würden.

Ruinaulta, Krumme Waage, 18. Juni 2013, gegen Mittag
Nach gut anderthalb Stunden führte das letzte Wegstück Raggenbass’ Team über eine metallene Brücke der Rhätischen Bahn, es die bewaldete Halbinsel Krumme Waage erreichte, wo es mehrere Feuerstellen gab. Bei einem solchen Rastplatz, der neben Felsbrocken direkt am Fluss gelegen war, legten sie Rast ein.
«Nun stellt sich heraus, wer in der Pfadi gewesen ist und es schafft, ein Feuer zu machen», scherzte Miraget. Die Gruppe suchte Fallholz, das Miraget pyramidenförmig aufschichtete. Nach zehn Minuten brannte ein munteres Feuer.
«Warst du Pfadfinder?», fragte Lili Weber.
«Nein, ich bin bloss ein heimlicher Pyromane», grinste Miraget. Während das Feuer knisterte, bat Lili Weber um Aufmerksamkeit: «Ich möchte euch kurz etwas über die Landschaft erzählen. Wir befinden uns in der Rheinschlucht, durch die der Vorderrhein fliesst. Am Ende der letzten Eiszeit ereignete sich hier der grösste Bergsturz der Alpen. Der Flimser Bergsturz hat elf Mal die Masse des Matterhorns. Der Fluss staute sich am Schuttkegel zum Ilanzer See auf. Mit der Zeit aber frass sich der Rhein durch die steinerene Talbarriere und schuf diese markante Erosionslandschaft, die oft auch als Schweizer Grand Canyon bezeichnet wird. Vorhin sind wir der Bahnlinie entlang gewandert. Mit ihrem Bau vor einhundert Jahren hat sich das Ökosystem verändert, wodurch eine Landschaft mit seltenen Orchideen, Schmetterlingen und Vögeln entstanden ist. Diese imposanten Steinspitzen, die überall aus den Geröllhalden aufragen, nennt man Ruinas. Die Ruina uns gegenüber hat eine Höhe von über 300 Metern. Wenn ihr genau hinschaut, seht ihr dort oben die Aussichtsplattform il Spir bei Conn. Sie heisst so, weil sie mit ihrer Form an einen Mauersegler erinnert. Wir werden sie heute Abend vor dem Nachtessen noch besichtigen.»
«Vielen Dank, Lili. Mit diesen Ausführungen hast du dir den ersten Platz auf dem Grill verdient», lächelte Raggenbass.
«Kommt gar nicht in Frage, dass sie mit ihrem Gemüsespiess den Rost verunreinigt!», frotzelte Miraget.
«Dreh lieber den Rost über die Glut, damit ich mein Kotelett darauf legen kann!» antwortete Raggenbass.
«Aye aye, Sir!», kommentierte Miraget und drehte den quietschenden Metallrost über die Glut.
«Der harte Winter und die Regenfälle haben wohl das Gewinde rosten lassen», sagte er entschuldigend.
«Schon gut, schliesslich ist es ein Grill-Rost», feixte Lili Weber.
Miraget blickte auf seine verschmutzten Hände und wischte sie sich an seiner Jeans ab.
«Lasst mir noch einen Platz auf dem Grill frei», sagte er und entfernte sich in Richtung in der Felsen.

«Das hätte ich auch gerne gemacht, aber Raggenbass wollte nicht», schmollte kurz darauf Lili Weber, als ein Gummiboot mit einem halben Dutzend Riverraftern an ihnen vorbeifuhr.
«Was denn?», fragte Frank Zürcher.
«Riverrafting durch die Rheinschlucht. Absolut ungefährlich, aber spektakulär. Doch man könne dem Steuerzahler nicht zumuten, dass sich seine Kriminalpolizei auf diese Art und Weise vergnügt, hat der Chef bestimmt…»
«Ich habe etwas gefunden, das müsst ihr euch unbedingt ansehen!», rief Miraget aufgeregt, und kehrte zur Feuerstelle zurück.
«Eine Leiche?, unkte Lili Weber.
«Vielleicht ein verunfallter Riverrafter», doppelte Frank Zürcher nach.
«Einen Schatz?», scherzte Inspektor Steger.
«Kann sein. Die Truhe ist noch halb vergraben.»
«Mach bitte keine Scherze, ich habe Hunger!», knurrte Raggenbass.
«Das ist kein Witz, ich kenne diesen Blick», sagte Frank Zürcher.
«Wo denn?», fragte Lili Weber.
«Da, hinter den Felsen», antwortete Miraget und zeigte über seine Schulter. Neugierig folgten sie ihm und standen kurz darauf staunend am Wasser und blickten auf eine verwitterte Truhe, von der bloss eine Ecke aus dem Kiesboden herausschaute, die vom klaren Rheinwasser um- und überspült wurde.
«Das ist unglaublich», murmelte Raggenbass.
«Ich wusste ja, dass man in der Surselva Gold findet. Es aber gleich truhenweise zu finden, habe ich nicht erwartet», sagte Miraget ebenso ungläubig.
«Lasst uns kurz überlegen, was zu tun ist», meinte Inspektor Steger.
«Schätze, die gefunden werden, gehören dem Staat», dachte Raggenbass laut nach.
«Sehr gut, wir sind vom Staat», entgegnete Lili Weber.
«In diesem Fall gehört er dem Kanton Graubünden», antwortete Inspektor Steger.
«Kann mir jemand die Nummer des archäologischen Dienstes geben», fragte Raggenbass und zückte sein bald zehn Jahre altes Handy.

Zwei Stunden später führte Miraget die beiden schwerbepackten Archäologen Jon Fontana und seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Peidr Capaul von der Station Versam zur Fundstelle. Fontana fotografierte die Truhe, die nach wie vor aus dem Wasser starrte, während Capaul sich Notizen machte. Danach gruben sie die Truhe aus und trugen sie ans Ufer, wo sie diese sorgfältig untersuchten, während Raggenbass und sein Team ihnen zuschaute.
«Ich liebe es, anderen Leuten beim Arbeiten zuzuschauen. Das hat etwas Meditatives an sich», scherzte Miraget.
Nach einer kurzen Diskussion beschlossen die beiden Archäologen schlussendlich, die Truhe für weitere Abklärungen ins Labor nach Chur zu schaffen. Und sie auch erst dort zu öffnen.
«Haben wir einen Goldschatz gefunden?», erkundigte sich Miraget eine halbe Stunde später auf dem Rückweg zur Station Versam. Die Archäologen haben die Truhe in eine Plasticbox verpackt und schleppten diese zu zweit zum Auto, während Miraget ihnen das Werkzeug nachtrug.
«Die Truhe sieht aus, als ob sie zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges hergestellt worden war. Was sie enthält, kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir sie näher untersucht haben. Sollte sie enthalten, was ich vermute, dann haben wir eine kleine historische Sensation», antwortete Jon Fontana.

eine verwitterte Scheune im Domleschg, Ende August 1632, früher Nachmittag
Mit gezückter Waffe betrat il Spir einen leer stehenden Stall am Fusse des Heinzenbergs. Vor drei Tagen hatte man ihm eine Botschaft zukommen lassen, dass er sich um die Mittagszeit in ebendiesem Stall einzufinden habe und alleine kommen solle. Weil auf seinen Kopf eine Prämie ausgesetzt war, misstraute er der Botschaft und hatte seine Männer in der Hecke hin-
ter der Scheune versteckt.
«Sie können die Waffe einstecken, il Spir. Ich gebe Ihnen das Geld auch so!», herrschte ihn eine kräftige Stimme an. Nachdem sich il Spirs Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, erkannte er einen maskierten Mann.
«Wer sind Sie?»
«Mein Name tut nichts zur Sache. Wenn Sie wollen, nennen Sie mich la Mascra.»
«Die Maske?», fragte il Spir. Er versuchte den Dialekt des Maskierten einzuordnen. Er schien aus einem deutschsprachigen Tal der Drei Bünde zu stammen. Es schwang eine Unterländer Klangfarbe mit.
«Ebenso ein Übername wie Ihrer, Mauersegler
«Was wollen Sie von mir?»
«In zehn Tagen wird Alvaro Gomez di Valdepeñas alleine vom Veltin her über den Julierpass reiten und durch das Domleschg und die Surselva in Richtung Frankreich weiterziehen. Gomez ist ein französischer Spion in spanisch-österreichischen Diensten und heisst eigentlich Jean Duffy de Rohan.»
«Ihr wisst, dass mich Politik nicht interessiert! Ich raube jeden aus, ob er nun katholisch oder reformiert ist, ein Säumer oder Adeliger oder ob er aus den drei Bünden, aus Frankreich-Venezien, Österreich-Spanien oder der Eidgenossenschaft stammt.»
La Mascra hielt il Spir einen ledernen Beutel hin: «Hier drin sind dreitausend Gulden. De Rohan wird eine Truhe transportieren, die voll von weiteren Gulden sein wird. Ich möchte von Euch, dass Ihr ihm diese Truhe abnehmt, das Geld könnt Ihr behalten. Sollte de Rohan dabei ums Leben kommen, ist mir das auch Recht.»
«Weshalb bezahlt Ihr mich, dass ich einen französischen Agenten ausraube und töte? Was ist noch in der Truhe?»
«Papiere, die für den Kardinal bestimmt sind. Sie enthalten Pläne für einen weiteren Feldzug im Veltlin.»
«Ich verstehe nicht ganz. Unser Bischof residiert doch in Chur?»
«Der Bischof in Chur weiss nichts von de Rohans Mission, weil die Dokumente für Kardinal Richelieu bestimmt sind, der mächtiger als der König von Frankreich ist.» Il Spir pfiff leise durch die Zähne und sagte: «Ich soll Euch die Papiere bringen und darf das Gold aus der Truhe behalten?»
«Genau. Alles ausser die Papiere soll Euer Lohn sein. Die Übergabe der Dokumente erfolgt in zwölf Tagen um dieselbe Zeit, wieder hier. In der Zwischenzeit werden Sie weder von mir hören noch eine weitere Nachricht erhalten. Und wenn man sie nach diesem Treffen fragen sollte, so hat es nie statt gefunden.»
«Seid Ihr Pfarrer Jenatsch?»
La Mascra ignorierte il Spirs Frage und warf den Geldbeutel aus der Scheune und verschwand im Dunkel der Holztenne. Aus seinem dunklen Winkel beobachtete er, wie der Räuber ins Freie trat und den Beutel aufhob und danach im Dickicht verschwand.
«Mammon…», sagte la Mascra verächtlich und schlüpfte durch einen Spalt.

Conn, 18. Juni 2013, 18.30 Uhr
«Was ist in der Truhe», fragte Lili Weber neugierig, als sie am Abend wieder vereint unter der Birke auf der Terrasse des Restaurants Conn bei einem Glas Blauburgunder aus der Bündner Herrschaft sassen, auf eine Portion Capuns warteten und in der Zwischenzeit ihren Betriebsausflug Revue passieren liessen.
«Ich konnte bei der Öffnung nicht dabei sein. Die Ergebnisse wollen sie erst in ein paar Wochen der Öffentlichkeit präsentieren.»
«Ich kenn’ dich. Du sagst noch nicht alles», sagte Frank Zürcher. «Ist etwas Wertvolles in der Truhe oder handelt es sich bloss um ein Überbleibsel von einem Pfadfinder-Pfingstlager der letzten Jahre?»
Miraget schüttelte den Kopf. «Ich weiss es nicht. Ich habe die Archäologen zu ihrem Auto bei der Bahnstation in Versam begleitet. Sie waren danach so freundlich und haben mich nach Trin Mulin gefahren, so dass ich hier wieder zu euch stossen konnte. Natürlich haben wir über den Fund gesprochen. Und was ich euch nun erzähle, darf unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen: Weil sie durch die Ausgrabung so durstig geworden sind, haben sie ihr Auto einfach auf dem Parkplatz des Ustria Parlatsch in der Nähe des Sportzentrums geparkt und die Plasticbox mitsamt der Schatzkiste ins Restaurant mitgenommen, wo wir zusammen noch ein Bier getrunken haben – die Platsicbox unter dem Tisch…»
«Das erinnert mich an die Zustände in der ehemaligen DDR», bemerkte Raggenbass. «Ich war einmal für den Transport von Kunstwerken von Zürich nach Dresden verantwortlich. Doch das ist eine andere Geschichte…» Da Miraget die Geschichte auswendig kannte, überhörte den Einwand und fuhr fort: «Fontana vermutet, dass die Truhe nicht nur aus der Zeit des Dreissigjährigen Krieges stammt, sondern dass sie gar eines der letzten regionalen Rätsel aus dieser Zeit lösen könnte. Habt ihr schon von il Spir gehört?»
«Na klar, das ist die Aussichtsplattform hier in Conn, auf der du dreihundert Meter über dem Vorderrhein zu schweben scheinst», sagte Inspektor Steger.
«Wirklich eindrücklich – sofern du schwindelfrei bist», ergänzte Lili Weber.
«Die Plattform hat aber nichts mit dem historischen il Spir zu tun, der zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges ein berüchtigter Raubmörder war, der vor allem auf den Bündner Alpenübergängen sein Unwesen getrieben hat. Alles was reiche Beute versprochen hatte, wurde von ihm überfallen.»
«Warum benennt man einen gewöhnlichen Wegelagerer nach dem Mauersegler?», erkundigte sich Raggenbass?
«Weil keine Mauer zu stark und kein Turm zu hoch war, um ihn von seinen Überfällen abzuhalten. Es gibt einen einzigen historischen Bericht von einem Pater Gion Cavelty aus Disentis, der il Spir bei einem Überfall gesehen haben wollte. Benedetg Caflisch, wie il Spir eigentlich hiess, soll gemäss Cavelty mit der Eleganz eines Mauerseglers über die Klostermauern geklettert sein.»
«Ein Pater? Ist das so eine Art Bündner Friar Tuck, der mit Robin Hood unterwegs war?», hakte Frank Zürcher nach.
«Das haben mir die beiden Archäologen nicht gesagt. Aber il Spir war kein Robin Hood gewesen, der die Reichen bestohlen und seine Beute den Armen weitergegeben hat. Benedetg Caflisch hat sich nur für seinen eigenen Benefit interessiert. Auch wenn dies bedeutete, dass er sich von den gnädigen Herren kaufen lassen musste. Hier erinnert er mich denn auch an die Schweizer Banker unserer Tage, die bloss auf ihre Boni aus sind und den Reichen aller Länder helfen, ihr Vermögen dem Fiskus ihrer Heimatstaaten zu verheimlichen. Was die Epoche von il Spir von der heutigen Zeit unterscheidet ist, dass Graubünden damals noch nicht zur Schweiz gehört hat und das Veltlin ein Untertanengebiet der Bündner gewesen ist. Die katholischen Gebiete Europas waren im Dreissigjährigen Krieg hauptsächlich darum besorgt, über die Bündner Pässe frische Truppen und Gelder vom heutigen Italien ins heutige Deutschland zu befördern. Und die Eidgenossen unter der Führung Zürichs wollten sich aus dem Religionskrieg raushalten. Was ihnen schlussendlich gelungen war. Der Dreissigjährige Krieg war der erste Krieg, der die Schweiz verschont hatte.»
«Welches waren die weiteren Kriege?», erkundigte sich Inspektor Steger.
«Die beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert», antwortete Miraget.
«Und was hat die Aussichtsplattform mit diesen Kriegen zu tun?», fasste Lili Weber nach.
«Gar nichts», erörtete Miraget, «die heisst nur so, weil sich ihre Architektin, Corina Menn, vom Mauersegler inspirieren liess. Was Frau Menn wohl nicht wusste, war dass Conn tatsächlich untrennbar mit dem historischen il Spir verbunden ist, denn er hat hier 1632 auf der Flucht vor den Behörden sein tragisches Ende gefunden, als er mitsamt seines Pferdes in die Rheinschlucht gestürzt war. Mit ihm abgestürzt ist eine Truhe mit einem Goldschatz und Dokumenten, die für den französischen König bestimmt gewesen sein sollten. Die Leiche von il Spir und seinem Pferd hat man Fluss abwärts gefunden, die Truhe ist bis heute ver-
schollen geblieben.»
«Bis heute…», sagte Raggenbass bedeutungsvoll.

Disentis, Anfang September 1632
Il Spir wusste nicht, ob er seinem rätselhaften Auftraggeber glauben konnte. Genauso wie der Krieg zwischen dem alten und neuen Glauben, der in Europa wütete und auch im Gebiet der Drei Bünde immer wieder für Wirren sorgte, hat auch er als berüchtigter Räuber beiden Seiten mehr als genug Schaden zugefügt. Seit einige der gnädige Herren ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben, musste er besonders vorsichtig sein. Sollte dieser Auftrag eine Falle sein, um seiner habhaft zu werden, dann war sie raffiniert genug, um von Pfarrer Jenatsch zu stammen, der in diesen unsicheren Tagen mit jedem paktierte, um ihn danach wieder zu verraten. Momentan durchlebten die Bündner eine ruhige Zeit, und il Spir wollte nicht neue Auseinandersetzungen provozieren. Obwohl er, solange Krieg herrschte, in Sicherheit sein würde, war der Krieg am Ende seinem Geschäft abträglich. Vielleicht war es also besser, den politischen Auftrag von la Mascra zu erfüllen, um sein Scherflein ins Trockene zu bringen? Nach zwei Tagen des Nachdenkens in seinem Schlupfwinkel am Crestasee, befand il Spir, dass er das Risiko eingehen wollte. Einen französischen Doppelagenten abzufangen, verhiesse den Drei Bünden weiterhin Frieden. Und Frieden war bekanntlich förderlich fürs Geschäft…

Behände und elegant wie ein Mauersegler war il Spir über die hohen Mauern in den Stiftsbezirk des Klosters Disentis eingedrungen, das er von Kindsbeinen an kannte. Hier hatte er zwei lange Jahre lang Unterricht geniessen müssen. Zuerst schlich er sich in die Stallungen. Die Pferde waren alle ohne Sattel in ihren Boxen. Danach schlich sich il Spir in die Kapelle und mimte den frommen Pilger, der um Schutz für die bevorstehende Reise und Aufgaben betete, dabei aber die anderen Reisenden beobachtete. Hernach erkundete er das Gästehaus, worin die über den Oberalppass Fahrenden ein Obdach und eine warme Mahlzeit fanden. Kein Zweifel, de Rohan befand sich unter der Hand voll Gäste, die eine Gerstensuppe mit frischen Brot verspiesen. Wie man bloss so leichtsinnig sein könne, fragte sich il Spir, als er de Rohans Zimmer ausfindig machte, worin die Truhe unbeaufsichtigt neben dem Bett stand. Es wäre ihm ein Einfaches gewesen, die Truhe zu nehmen und aus dem Kloster zu tragen. Doch la Mascra, der geheimnisvolle Auftraggeber, wünschte sich de Rohans Tod. Wenn es il Spir schon egal war, wen er ausraubte, so zählte es für ihn noch weniger, ob seine Opfer das Zusammentreffen mit ihm überleben würden. Wünschte sich ein Auftraggeber den Tod eines Opfers, kriegte er diesen gegen einen Aufpreis. Il Spir zog sich in die Kirche zurück und versteckte sich im Beichtstuhl.

Die Nacht fiel über die Klosteranlage. Nach der Vigil, an der il Spir nochmals als frommer Pilger teilnahm, begab er sich von der Kirche ins Gästehaus und schlich sich in das Zimmer de Rohans. Er fand diesen vor seinem Bett kniend im Gebet versunken.
«Qui êtes-vous?», fragte der französische Spion erschocken, als er den bewaffneten Räuber in seiner Kammer vor sich stehen sah. Bevor er eine Antwort erhielt, hatte ihm il Spir mit einem gezielten Schwerthieb den Schädel gespalten. Eilig nahm der Bündner die Truhe an sich, vergewisserte sich, dass sich niemand mehr in den Gängen aufhielt und eilte zu einer dunklen Ecke an der Aussenmauer des Klosters. Zweimal pfiff er einen Dreiklang. Nach wenigen Augenblicken wurde ein Seil über die Mauer hinabgelassen. Als ob er als Mauersegler zu Welt gekommen wäre, überquerte il Spir im Nu die Klostermauer und fand sich auf der anderen Seite im Kreise seiner Männer wieder. Er wies zwei seiner Gefolgseute an, in Richtung Oberalppass nach Andermatt, zwei weitere Männer über den Lukmanierpass nach Bellinzona zu reiten. Mit dem Rest, einer Hand voll seiner tapfersten Männer, wollte er dem Vorderrhein entlang zu seinem Schlupfwinkel beim Crestasee zurückkehren.

Conn, 16. Juli 2013, 14.00 Uhr
Die Medienkonferenz des Archäologischen Dienstes Graubünden fand im Saal des Restaurants Conn statt, so dass der alltägliche Tourismusbetrieb nicht gestört wurde. Jon Fontana begrüsste die anwesenden Journalisten der Schweizerischen Depeschenagentur, der Bündner Zeitungen sowie von Radio und Fernsehen.
«Ich weiss, dass die Anreise alles andere mediengerecht ist», lächelte der Bündner Chefarchäologe. «Ich bin mir aber sicher, dass Sie mir in ein paar Minuten zustimmen werden, dass wir unsere Funde an keinem anderen Ort hätten besser präsentieren können.» Fontana stellte den Ablauf der Medienkonferenz vor, bei der er zur Beginn den sensationellen Fund präsentieren würde und eine kurze wissenschaftliche Auslegeordnung folgen liesse. Im Anschluss daran sollte Miraget schildern, wie er die Truhe gefunden hat.

«Wir befinden uns hier in Conn mit der berühmten Aussichtsplattform il Spir. Vor 370 Jahren fand hier der berüchtigte Räuber Benedetg Caflisch, der in der Zeit der Bündner Wirren sein Unwesen im gesamten Kantonsgebiet getrieben hatte, seinen Tod. Sein Übername war il Spir, sein Versteck befand sich irgendwo im Flimser Wald. Die einen sagen, es wäre im Fels-
bachtobel beim Crestasee gewesen, andere vermuten die Gegend zwischen dem Caumasee und Conn.» Fontana zeichnete kurz das Leben il Spirs nach und beleuchtete die Umstände seines Todes.
«Gerüchten zufolge waren in der Truhe, die il Spir bei sich hatte, Dokumente für Karidnal Richelieu in Frankreich.» Nun war es soweit, Fontana zeigte auf die geöffnete Schatztruhe, die auf einem Tisch präsentiert wurde. «Wir haben in dieser Truhe neben wenigen Gulden Dokumente gefunden. Obwohl sie fast vier Jahrhunderte im Wasser gelegen haben, waren sie noch nicht ganz zerstört. Auf der nächsten Folie können Sie sehen, dass die Dokumente kaum mehr lesbar sind. Immerhin können wir nun belegen, dass diese Schreiben tatsächlich an Kardinal Richelieu adressiert waren. Aufgrund dieser Erkenntnis erachten wir es als historische Tatsache, dass die Legenden um il Spirs Tod zu einem grossen Teil den Tatsachen entsprechen und dass diese Truhe dem französischen Spion de Rohan gehört hat. Wo il Spir de Rohan überfallen hat, ob er ihn zufällig ausgeraubt hat oder ob seine Auftraggeber aus dem Umkreis von Jörg Jenatsch stammen, wie seit Jahrhunderten kolportiert wird, können wir jedoch auch mit diesem Fund nicht nachvollziehen. Es sei denn, man würde irgendwo hier im Bergsturzgebiet il Spirs Schatz finden.»

Disentis, Anfang September 1642, später Nachmittag
Gegen Abend führte Abt Suger Hauptmann Catomas in die blutverschmierte Kammer de Rohans. Den Leichnahm haben die Mönche, nachdem sie ihn am Vormittag gefunden hatten, gewaschen und in einer Nebenkapelle in der Klosterkirche aufgebahrt.
«Wir haben Sie unmittelbar nach Entdecken der Leiche rufen lassen, Hauptmann.»
«Das haben Sie gut gemacht, Vater.»
«Es gibt Brüder, die gestern Nachmittag und Abend il Spir in der Kirche beten gesehen haben.»
«Vater, ich glaube Ihren Brüdern, denn ich kenne nur eine einzige Person, die ohne eine Spur zu hinterlassen Mauern überwindet. Dass er sich dabei zeigt, ist aussergewöhnlich.»
«Oder auch nicht, schliesslich lebt er von seinem furchterregenden Ruf», gab Abt Suger zu bedenken.
«Wissen wir schon, wer der Getötete ist?»
«Nein. Er hatte eine Truhe bei sich und hat Spanisch gesprochen. Allerdings mit einem französischen Akzent. Vielen fällt das nicht auf, aber meinen geübten Ohren schon. Ich habe mich kurz mit ihm im Kreuzgang unterhalten können. Er war vom Veltlin gekommen und wollte nach Frankreich weiterreisen.»
«Ein Spanier, der nach Frankreich reist? Weshalb nimmt er den beschwerlichen Weg über all die Pässe auf sich und reist gegen den Rhein anstatt mit ihm?»
«Das ist wirklich sonderbar, Hauptmann. Spanien befindet sich mittlerweile mit Frankreich im Krieg.»
Hauptmann Catomas kratze seinen Bart und dachte nach. Schlussendlich wandte er sich an den Abt: «Lassen Sie die Leiche verschwinden. Und beruhigen Sie Ihre Brüder, dass dieser Fremde keinesfalls il Spir gewesen sein kann. Dieser Mord hat nie stattgefunden.»
«Warum dieser plötzliche Sinneswandel?», fragte Abt Suger verblüfft.
«Ihr habt es vorhin selber gesagt, Vater, Spanien ist mit Frankreich im Krieg. Der Getötete scheint ein Spion zu sein, der in dieser Truhe etwas transportierte, was nicht auf den üblichen Pfaden zum Empfänger gelangen sollte. Deswegen hat es diesen Mord nie gegeben. Nicht, dass die Franzosen einen Grund erhalten, um wieder bei uns einzumarschieren. Die Reise vom Veltlin nach Frankreich ist lange und gefährlich, wenn da ein Reiter nicht ans Ziel kommt, so ist das so alltäglich als ob ein Huhn ein Ei legen würde.»
«Ich verstehe Sie, Hauptmann. Sie können sich auf mich verlassen. Ich segne den Leichnahm ein und wir verscharren ihn ohne Kreuz und Grabstein hinter dem Kloster.»
«Wissen wir, was er in der Truhe mit sich geführt hat?»
«Ich weiss es nicht. Sie schien aber recht schwer zu sein. Möglicherweise Geld.»
«Womit sonst lockt man il Spir an, wenn nicht mit Geld?», fragte Hauptmann Catomas.
«Mir ist nicht bekannt, dass sich il Spir auch politisch betätigt», erwiderte Abt Suger.
«Mir auch nicht. Wenn dies nun sein erster politischer Mord gewesen sein sollte, so ist es höchste Zeit, dass wir seiner endlich habhaft werden.»

Hauptmann Catomas kehrte zu seinen Soldaten zurück, die bereits vor der Pforte auf ihn warteten.
«Habt ihr Spuren gefunden?», fragte er.
«Keine eindeutigen. Einige führen über den Oberalppass, die meisten aber Tal abwärts», rapportierte Leutant Ragettli.
«Wohin würden Sie fliehen, Leutnant, wenn Sie il Spir wären?»
«Über den Pass, sofern ich meinen Kopf auf dem Hals behalten möchte.»
«Danke Leutnant. Genau das sollten wir wohl auch denken. Wir kehren nach Ilanz zurück. Ab morgen durchkämmen wir den Uaul Grond bei Flims!» Die Truppe schwang sich in ihre Sättel und hatte schon bald Disentis hinter sich gelassen.
«Weshalb reiten wir zurück, Hauptmann?»
«Nach allem, was ich weiss, hält sich il Spir noch in den Drei Bünden auf. Und hier werden wir ihn fassen.»

Conn, 15. Juli 2013, 14.30 Uhr
«Wie ist es möglich, dass die Truhe nach 370 Jahren auftaucht, nachdem es verschiedene Suchexpeditionen danach gegeben hat?», erkundigte sich ein Journalist.
«Als il Spir vor seinen Häschern fliehen musste, war es ein nasskalter Tag. Der Rhein war damals ein ungezähmter Fluss», erläuterte Fontana. «Die Truhe muss sich beim Sturz vom Sattel gelöst haben und im Rhein verschwunden sein. Der Fundort bei der Krummen Waage lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass Ross und Reiter von den Fluten mitgerissen worden waren, während die Truhe auf dem Grund des Rheins gesunken war und mit der Zeit vom Geschiebe im Fluss zugedeckt wurde. Durch die Unwetter und Hochwasser in diesem Frühjahr wird sie wieder freigespült worden sein.»

Conn, Anfang September 1632, nachmittags
Der Ritt von Disentis zurück zu seinem Versteck beim Cresatsee im Uaul Grond , dem grossen Flimser Wald, war gut gegangen. Sie hatten bloss wenige Leute gekreuzt. Dennoch war il Spir auf der Hut. Und er schien recht zu haben, als sie Hundegebell vernahmen, das immer lauter wurde.
«Soldaten! Sie nähern sich schnell!», berichtete einer seiner Männer aufgeregt. Il Spir nahm die Truhe und befestigte sie am Sattel seines Pferdes Die Münzen hatte er im üblichen Versteck bei den drei grossen Tannen vergraben. Kaum sass er im Sattel, fielen die ersten Schüsse, einige seiner Männer fielen verwundet von ihren Tieren oder brachen getroffen zusammen. Aus dem Wald sah er Reiter auftauchen. Il Spir gab seinem Pferd die Sporen und jagte durch den Uaul Grond. Die Soldaten waren ihm dicht auf den Fersen. Ihm gefiel nicht, dass sie ihn in Richtung Conn trieben. Auf der Lichtung oberhalb der Rheinschlucht wäre es ihnen ein Leichtes, ihn zu fassen. So sehr sich il Spir dagegen wehrte, die Soldaten trieben ihn nach Conn.
«Wenn ich die Lichtung im Gallopp überquere und wieder im Wald verschwinde, kann ich meinen Häschern entkommen.» Erneut gab er seinem Pferd die Sporen, als er den Waldrand erreichte. Er hatte die Lichtung schon fast überquert, als aus dem Wald ihm gegenüber eine zweite Reitergruppe, die vom Caumasee kam, auftauchte.
«Wir haben ihn! Vorwärts Männer!», trieb Hauptmann Catomas seine Soldaten an, als il Spir vor ihnen sein Pferd herumriss und auf die Rheinschlucht zu ritt.
«Glücklicherweise kenne ich die Gegend besser als ihr. Mal schauen, ob ihr mir hier entlang noch folgen werdet.»
Il Spir ritt hart an der Kante, zu seiner Rechten fiel es steil zum Vorderrhein hinab, zu seiner Linken war die Lichtung von Conn, über der sich ihm zwei Reitergruppen näherten. Bis zum rettenden Wald war es nicht mehr weit. Il Spir konnte schon fast den den Atem der Pferde seiner Häscher im Nacken spüren. Ein Fehltritt seines Rosses und er würde die Ruinaulta in den sicheren Tod stürzen, dachte er. Da gab der Boden unter seinem Pferd nach.



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il Spir – 2013  


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