Reportage
«Jeden
Tag um dieselbe Zeit tauchen diese drei Alten oben an der
Mauer auf und schauen auf das spiegelglatte Meer. Lange bleiben
sie in der Regel nicht, denn viel ist auf dem Wasser nicht
los. Und ihren bissigen Kommentaren nach zu urteilen, interessieren
sie sich auch nicht gross für die halbnackten, in der
Sonne bratenden Körper, die zu weisshäutigen Menschen
aus dem Norden gehören, die jedes Jahr nach dem weltbekannten
Festival im Ort einfallen. Jeden Tag um die selbe Zeit am
selben Ort und die scheinbare Ruhe der Alten, die mit der
täuschenden Ruhe des Meeres zu harmonieren scheint...»
Irgend etwas daran begann mein Interesse zu wecken.
Ein deutsches Reisemagazin hatte mich im letzten November
gebeten, ihm monatlich eine kurze Reportage von der Riviera
zu schreiben. Ich schaute von meinen Notizen auf und trank
noch einen Schluck Kaffee. Ich war schon längst wieder
nach Zürich zurückgekehrt und der Text sollte in
den nächsten zwei Tagen in Hamburg bei der Redaktion
sein. In meinem Kopf schwirrten Fragen und Satzfragmente herum,
doch die Croisette ist zwischen dem Festival und den grossen
Ferien so spannend wie Davos in der Zwischensaison. Immer
wieder kamen mir die drei Alten in den Sinn. Warum sollte
ich die Reportage nicht über sie schreiben?
Die Einleitung übernahm ich Wort für Wort aus meinen
Notizen. Danach zündete ich mir einen Cigarillo an, legte
eine McCartney-Scheibe in den CD-Player und liess mir nochmals
den Nachmittag Revue passieren, an dem ich ihnen gefolgt war.
In der Tat waren es zwei Nachmittage gewesen. Am ersten legte
ich mich unter der Mauer an die Sonne, damit ich die Gespräche
der Alten mitbekommen konnte. Hinter meiner dunklen Sonnenbrille
beobachtete ich die drei. Die beiden Frauen sprachen über
das Wetter, über ihre Alltagbobos, über ihre Enkelkinder
und über die schmerzenden Krampfadern. War nicht gerade
sehr ergiebig, was ich verstehen konnte. Der Alte schaute
wie ein Kapitän von der Brücke auf das Meer. Er
verfolgte die Wellen, die Segelschiffe und die Jachten. Ein
leises Lächeln huschte über seine Lippen, wenn eine
barbusige Schönheit vorbeistolzierte. Ihn interessierte
also doch das Strandleben und nicht nur Nachbars Lumpi. Ich
vertiefte mich in mein Buch und als ich wieder aufschaute,
waren sie gegangen.
Am nächsten Tag folgte ich ihnen. Hier fielen mir zum
ersten Mal ihre weissen Plastiktüten auf. Ich dachte
an meinen Sekundarschullehrer, der nie ohne Plastiksack unterwegs
war. Die Alten standen an der Mauer bis unten der Magrebiner
mit seinen Badehosen, gebrannten Mandeln und Sonnenbrillen
vorbeikam. Die Alten gingen davon. Etwa fünf Minuten
später machten sie vor einem Papierkorb halt und begannen
den Inhalt zu entsorgen: Haushaltkehricht.
Ich setzte mich an meine «Apfelmaschine» und begann
den Tag der Alten zu reportieren. Ich bin bis zur Entsorgungsaktion
gekommen. Mir fehlte noch ein passender Schluss. Weil es schon
sehr spät geworden war, beschloss ich, darüber zu
schlafen. Ich fragte mich noch, wieviele Reisende nun nach
den drei Alten Ausschau halten würden.
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