an’n Strann


«Jüffel schullt man sien», dachte Tommeke und schaute seinem Golden Retriever Jiffer nach, der tillernd die steinerne Treppe zum Havelaarder Strand nadaal snitterde und sich seines Blickes entzog. Tommeke folgte seinem Hund entlang der nassen Kaimauer henaf. Eine deftige Bö erwischte ihn und er zog den Reissverschluss seines Parkas wieder etwas höher. Tommeke war kein Klammbuedel, aber an den windgeschützten Stellen zwischen den roten und weissen Häusern des Fischerdorfes war es ihm in der Jacke zu heiss. An’n Strann traf der Westwind nach seinem kandidelten Wellenspiel erstmals auf das Festland und musste zunächst sein Mütchen kühlen. Tommeke schritt die letzten glittschigen Stufen zum Strand hinab und schaute sich nach Jiffer um, der bestimmt schon fast bei den iedeln Villen von Rosenstedt war. Doch er erblickte seinen Hund keine zwanzig Meter entfernt in der anderen Richtung vor einer Pfütze oder einem Sandloch mit angespanntem Rücken stehend, die Nase am oder im Boden und die Rute oprecht as een Antenn. Tommeke pfiff und als dies nichts nützte, rief er Jiffer. Doch der flappig Hund wollte nicht hören. Erst als er ihm einen kräftigen Klaps auf den linken Batzen der Hinterhand gab, schaute ihn Jiffer splitterdull an und zottelte, die Krabbe nicht bemerkend, die ihn von Weitem Scheren klappernd bedrohte, davon. «Lorbass, dat is nixnich!», rief ihm Tommeke hinterher und blickte aufs Meer. Ein vollbeladenes Containerschiff stampfte durch die rauhe See dem Horizont entgegen.

Die ganze Nacht über bis weit in den Mittag hatte ein grausiges Schietwetter geherrscht. Gegen Abend liess nun der Wind nach und es gab wieder eine Linie am Horizont. Während des Schietwetters war keine Kimm mehr gewesen, nur noch Wind und Wasser und vor allem Grau. Kullersk rauschende Wellen mit düllen Schaumkronen zerbrachen an der Kaimauer und verendeten schwallweise auf der Promenade. Der peitschende Regen war ein eiserner Vorhang, dessen Tropfen wie glühende Nadeln in die Haut und Augen stachen. Jede Bö hatte die Kraft eines himmlischen Kinnhakens, erbarmungslos rüttelte der Wind an allem, was ihm in seine luftigen Finger kam, bevor er die nächste Backpfeife austeilte. Selbst Jiffer, alles andere als waterschu, hatte nur sein Geschäft verrichtet und war kladdernatt ins Haus zurückgekehrt. Beinahe so zufällig wie leere Muschelschalen waren die bunten Strandkörbe beim alten Grand Hotel über den Strand verteilt. Das Schietwetter hatte die Markise der Strandbar zum «Aule Admirol» wüst zerzaust. Während Jiffer auf dem Weg zum alten Hafen nöölte, setzte sich Tommeke in einen grünen Strandkorb mit der blauen Nummer 160 und zündete sich eine Zigarette an. Er blies den Rauch in die Höhe, sodass ihn der Wind wegtragen konnte. Über den Strand verteilt lagen Drievsel, Pasen und leere Plastikflaschen jeglicher Form und Farbe sowie dunkles Schwemmholz. Es schien, als ob das Schietwetter den menschlichen Muddelkraam aus den Fluten gefischt und wütend auf den Haveelarder Strand geknallt hätte. Eine schmutzige, gewellete Linie zog sich am Flutsaum über den Strand.

Das Containerschiff schob sich als schwimmender Kinkel der Kimm entgegen. Jiffer kämpfte heroisch mit einem Stück Dreivholt. Tommeke kiekte zu den geduckten Häusern von Fiskerstedt und zum Windpark vor der Küste hinüber. Schattengleich drehten die weissen Rotoren der einzelnen Anlagen vor dem graublauen Horizont. «Dat Schietwetter wird woll wedder Überkapazitäten int europeesch Stromnet produziert hebben», dachte er und folgte mit dem Blick einer Möwe, die über dem Strand segelte. Eine Bö erwischte sie und wie von unsichtbarer Hand geworfen, fand sie sich im nächsten Augenblick schreiend über den Masten der im Hafen von Fiskerstedt vertauten Fischerboote wieder. Schadenfreudig grinste Tommeke, als ihn die nächste Bö erwischte und eine Haarsträhne scheibenwischergleich vor seinen Augen hin und her bewegte. Er strich sich das Haar aus dem Gesicht und schaute rauchend der Möwe nach. Der deegt Vogel liess sich nicht unterkriegen und flog mit wenigen Flügelschlägen zurück zum Strand, um dort auf einer Thermikströmung gleitend seine Runden über den Strandkörben zu drehen. Etwas nasses berührte Tommekes linke Hand, es war Jiffers Schnauze. Offensichtlich hatte er das Treibholz niedergerungen und wollte sich bei seinem Meister ein Kookje als Belohnung abholen. «Sitz, du Schojer», sagte er, während er aus der rechten Tasche seines Parkas eine kleine Plastiktüte herausholte. Jiffer gehorchte. «Fien!», kommandierte er, als seinem Hund das Möpken hinhielt. «Au… Dösbaddel!», rief Tommeke seine rechte Hand schüttelnd. Jiffer hatte mit einem herzhaften Biss nach dem Plätzchen auch Tommekes Finger erwischt. Doch das focht den Jüffel nicht an. Schlabbernd kaute er sein Kookje und verlangte danach wedelnd Nachschub. Sein Meister aber schüttelte den Kopf und rönschte die Tüte wieder. Stattdessen nahm er das Pack mit den Glimmstojke hervor und zündete sich einen weiteren an. Wer nöölte nun? So ein Hundeleben war doch alles andere als fair…Jiffer legte sich vor Tommekes Füsse und blickte gelangweilt über den Strand. «Ja, ja, Hund sollte man sein», sagte Tommeke schmäustert und kraulte Jiffers Nacken. Das Containerschiff wurde trotz seiner wuchtigen Grösse immer kleiner, je näher es der Kimm kam. Hinter dem Windpark schob sich ein Tanker in die Szenerie. Seine quastigen Gastanks kontrastierten mit den filigranen Rotoren der Windkraftanlage. Tommeke blickte auf Jiffer, der zu seinen Füssen zu schlafen schien und lehnte sich in seinem Strandkorb zurück. Er nahm einen deepen Zug an seiner Zigarette. Genussvoll atmete er den Rauch ringförmig aus und folgte dem tänzelnden Spiel der Rauchringe im Wind. Danach blieb sein Blick auf dem Containerschiff hängen. Tommeke klassierte es in die Post-Panamax-Plus-Klasse, die weder von der Länge noch der Breite in die Schleusen des Panamakanales passten und deswegen entweder für den transpazifischen Handel oder im Europa-Fernost-Dienst eingesetzt wurden. Tommeke kniff seine Augen zusammen, um seinen Blick auf die Containerreihen zu fokussieren. Doch das Licht war zu trübe, als dass er hätte einzelne Reihen erkennen und zählen können. Zu einförmig, zu massig, erschienen ihm die Container. Die ersten Post-Panamax-Schiffe waren um die Jahrtausendwende gebaut worden. Heutige Superfrachter, wie jenes sich der Kimm entgegenschiebende Ungedööm, waren gegen vierhundert Meter lang und deren fünfzig breit. Beinahe sööt hingegen nahm sich der Tanker mit seinen vier kugelförmigen Gastanks aus, der eben die Windfarm hinter sich gelassen hatte. Tommeke schnippte dat Stummelke aus seinen Fingern, Jiffer hob sluff ein Ooglidd und liess sich nicht weiter in sien Rüst beirren. Obwohl das Schietwetter abgeklungen war, herrschte noch immer starker Bulgenslag. Tommeke betrachtete nadenkelk die hibbeligen Wellen und die stete Fahrt des Containerschiffes. Die Ruhe und Gelassenheit, die der stählerne Bellmer verbreitete, erinnerte ihn an Jiffer, der noch immer zu seinen Füssen lag.

Ein Sonnenstrahl brach gleissend durch die dunkle Wolkendecke, sein weisses Licht schickte er gefächert über die Wellenkämme. «Aye!», rief Tommeke, als ihn der Strahl blendete. Er kniff schützend die Ogen zusammen und hielt sich de Hannen davor. Doch anstatt Dunkerheid sah er eine weisse Flaag mit bunten, auf und ab tanzenden Punkten. Langsam verdunkelte sich die Szenerie und nach einem Swupp von wohltuendem Schwarz umgeben, öffnete er die Augen und blickte vorsichtig zwischen seinen Fingern hindurch. «Alles fein in de Reech, ole Jung», sagte er und strich Jiffer über de Koop, der ihn neugierig anschaute. Tommeke blickte wieder auf die See. Gemächlich entfernte sich der Tanker von der Windkraftanlage in Richtung des tänzelndgleissenden Lichtstrahles auf dem Wasser. Doch wo war das Containerschiff geblieben? Tommeke schüttelte den Kopf und rieb sich seine noch immer leicht schmerzenden Augen. Dort wo das Containerschiff gewesen war, befand sich der glennende Sonnenstrahl und gegen die Kimm eine Rauchfahne. «Moderne Frachter roken doch nicht mehr?», wunderte er sich. «Aber so mir nichts dir nichts wird er auch nicht gesunken sein.» Tommeke schaute über die See, de Frachter bleev swunnen. Auch der Rook bei de Kimm verflüchtigte sich immer mehr. Während Tommeke de See beoogte, schob sich der Tanker in das gleissende Meer und fuhr hindurch, ohne das etwas geschah. Schulterzuckend erhob sich Tommeke, Jiffer linste zu ihm hoch und war dann mit einem Satz auf den Beinen und begann vor ihm zu hüppen. «Jiffer, tohuus», sagte er, was der Hund zu verstehen schien und noch aufgeregter hüfpen liess. Jiffer bellte und rannte in Richtung Steintreppe beim Havelaarder Strand los. «Hund sollte man sein», dachte Tommeke erneut und schaute ein letztes Mal aufs Meer. De Frachter swumm tomööt de Kimm und hatte die Stelle, wo Tommeke das Containerschiff zum letzten Mal gesehen hatte, überquert.



zurück zur Story-Sélection
zurück zur Belletristik
VzfB-Home



strandstuhl
Ausschnitt aus «Strandkorb in Westerland, Sylt», von Magnus Manske.
Foto: Wikimedia Commons, CC 1.0



Glossar:

Panamakanalschleusen
Länge x Breite: 1075 x 110 Fuss (327,66 x 33,53 Meter).
Maximal zugelassene Schiffsgrösse:
965 x 106 Fuss (289,6 x 32,6 Meter) mit 37 Fuss (11,3 Meter) Tiefgang.

Die hochdeutschen Bedeutungen sämtlicher plattdeutschen Ausdrücke finden sich hier im Glossar wieder

Glossar.

an’n Stran – 2015  


© 2015 by VzfB | alle Rechte vorbehalten