Sprachbetrachtung: Ich, der Nihilist
11. Januar 2010


Gemäss dem Fremdwörterbuch bedeutet Nihilismus Anschauung, Überzeugung von der Nichtigkeit alles Bestehenden, Seienden. Zweitens: weltanschauliche Haltung, die alle positiven Zielsetzungen, Ideale, Werte ablehnt; völlige Verneinung aller Normen, Werte, Ziele.

Die wohl für eine ganze Generation prägenden Nihilisten sind die zwei schrulligen Blondiepornopunkneonazinihilisten in «The Big Lebowsky» von Joel und Ethan Coen von 1998, einem Film, der alleine seines schrägen Humors wegen Kult wurde. Dringen die als Schläger fungierenden Nihilisten in Jeff Lebowskys – genannt el duderino oder kurz the dude – Wohnung ein, schlagen alles kurz und klein und tunken den Dude in seiner Kloschüssel, ehe sie den alles entscheidenden Satz sprechen: «Where is the fucking money Lebowsky? We are nihilists!» — «Wir sind Nihilsten, Lebowsky! Und wir glauben an nichts!», der Zweite sogleich ergänzt und auf den Stubenteppich uriniert. Tags darauf spricht der Dude beim Big Lebowsky, dem beinamputierten Millardär Jeffery Lebowsky vor und bittet um Schadenersatz für den Teppich, da dieser seine Wohnung erst gemütlich gemacht hätte. Womit die Geschichte ihren Lauf nimmt…

Die Nihilisten der Gebrüder Coen passen genausowenig in die Duden’sche Definition des Nihilismus wie diejenige von Max Frisch: In seinen Notizen zu «Don Juan oder die Liebe zur Geometrie» schreibt er folgenden bemerkenswerten Satz: «Don Juan (…). Ein Nihilist? Innerhalb einer Gesellschaft von durchschnittlicher Verlogenheit wird nun einmal (wenigstens in unseren Tagen) jeder so genannt, der erfahren will, was stimmt.»

Das sitzt –

Nein, als Nihilisten habe ich mich noch nie betrachtet. Vielleicht ist es meine Rock’n’Roll-Attitüde, dass es mir egal ist, ob Don Juan ein Nihilist, Groupievernaschender Rockstar oder Schwerenöter ist. Aber deswegen gleich Nihilist? Ich glaube an das Gute im Menschen, an die Vernunft, an Gott und die Liebe und gehe den Dingen gern auf den Grund, ich möchte sämtliche Zusammenhänge kennen, ehe ich mich festlege. Getreu meinem Lebensmotto «remember to be cosmically conscious…»

Ich, der Nihilist! Und doch fällt mir der Widerspruch äusserst schwer, denn in einem Punkt hat Max Frisch Recht: Seit er diesen Satz 1952 oder 61 geschrieben hat, besserte sich unsere Gesellschaft nicht zum besseren, noch immer ist sie von durchschnittlicher Verlogenheit, dennoch habe ich meine Lebenshaltung, den Dingen auf den Grund zu gehen, noch nicht mit der Brille Frischs betrachtet. Bisher gründete meine Lebenshaltung in den Idealen der 68er und der damaligen Rockszene mit ihrem üblichen Ablehnen des bürgerlichen Establishments. Doch wenn der Feuilletonist, der Frisch unlängst mit den flapsigen Worten «Frisch ist in der modernen Literatur bloss noch relevant, weil er mich mir erklärt» beschrieben hatte, ebenso Recht haben sollte, dann werde ich wohl ein Nihlist sein. Obwohl ich bisher Menschen mit einem gesunden, kritsischen Geist und Ideen für eine bessere Welt als Sozialdemokraten, Visionäre, Utopisten sowie die Künstler als Hofnarren bezeichnet habe.

Das heisst aber folgedessen, dass in einer durchschnittlich verlogenen Gesellschaft, die den Bau von Minaretten untersagt und sich dabei auf christliche und aufklärerische Werte beruft, beide aber längstens vergessen hat und comfortably numb, also bequem betäubt, ums goldene Kalb tanzt – ich mich aber in meiner (durchaus beschränkten) Sichtweise als das Mass der Dinge nehme und weder die herrschenden Zustände akzeptiere noch mich mit ihnen arrangieren möchte – dass es in einer solchen Gesellschaft dringend mehr Leute wie mich braucht.

Kurz: Nihilisten an die Macht. –



 

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