abgestempelt, die Max Frisch Gedenkmarke
24. Januar 2011


Zu seinem hundersten Geburtstag ehrt die Post Max Frisch mit einer Sonderbriefmarke. Ist dies der Endpunkt allen künstlerischen Lebens, geehrt zu werden mit einer Briefmarke?

«Wer heute etwas über die Befindlichkeit der Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfahren möchte, kommt nicht darum herum, sich irgendwann auch mit dem Werk von Max Frisch auseinander zu setzen. Wie ein Schatten begleitet dieser Autor das Bild der Schweiz, und wenn das Land den Schatten des Schriftstellers abdecken wollte, dann käme ihr wohl die Identität abhanden.» Dieser relativ intelligente Text steht als Einleitung im Briefmarkenkatalog zur Max Frisch Gedenkmarke. Verfasst hat den Text Frau Doktor Unser, die Leiterin des Max Frisch-Archivs. Und doch strotzt bereits diese Einleitung voller Plattitüden, die im Text nur noch unter- und im Titel überboten werden: Architekt – Schriftsteller – Kritiker – Mensch. Was denn sonst ausser Mensch?

Der Werbetext für die Marke ist, wenn auch aus befliessener Feder, nichts anderes als ein fader Aufguss der Vita Frischs: der Germanistikstudent, der Schriftsteller werden wollte und als Architekt endete, im zweiten Weltkrieg aber nicht vom Schreiben lassen konnte. Bruch mit der bürgerlichen Existenz der Kunst willen, Ruhm für Prosa und Theater, Leben in Rom, New York, Zürich und Berzona. Ruf eines Störenfrieds. Frisch, in der Traditon Gotthelfs stehend, das Innere nach aussen kehrend. Kein Wort über die Beziehung zu Ingeborg Bachmann oder Frischs lebenslangen Schuldgefühlen wegen der Flucht aus der Ehe. «Ein Leben für das Schreiben» als Zwischentitel statt Leiden an der Kunst. Das Freibad Letzigraben sauber renoviert, kein Wort über das Verhältnis zu Bertold Brecht, mit dem Frisch auf die Baustelle ging und über Architektur diskutierte. Aber auch nichts über die Beziehung zum anderen grossen Deutschen, Helmut Schmidt. Wozu auch? Lieber nochmals den Störenfried des helvetischen Kleingeistes hervorholen, der ja nicht auf den Intellektuellen und den kritischen Mitbürger reduziert werden dürfe. Allgemeinplätze und Platitüden, zu mehr reicht es wohl auf dem beschränkten Platz einer Briefmarke nicht. Diese zeigt Frisch politisch korrekt ohne Pfeife, dafür im Profil als Denker mit der Hand am Mund. Dass er verbittert darüber starb, dass ihn der Staat, dem er patriotisch als Soldat und kritischer Bürger gedient hatte, als Staatsfeind taxiert und der Stasi gleich fichiert hatte, bleibt auch ausgeklammert. Selbst eine gut gemachte Gedenkmarke würde hierfür als Wiedergutmachung einer Staatsstelle nicht ausreichen.

Eine verpasste Chance, dass selbst das Max Frisch Archiv anlässlich des Jubiläumsjahres lieber die unangenehmen Punkte der schweizerischen Beziehung zu Frisch ausklammert und ihn dem Zeitgeist gehorchend, ihn im wahrsten Sinne des Wortes zur unbequemen, teils schrulligen Celebrity abstempelt, auf die man stolz zu sein hat und deren 100. Geburtstag in Glanz und Gloria gefeiert wird.



frisch gedenkmarke


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