Bellinzona
8. Oktober 2011


In Zürich morgendlicher Regen. Auf der ganzen Alpennordseite soll es trüb und nass sein, während im Tessin der Nordföhn bläst. Entlang des Zugersees hängt der Himmel noch tiefer und es ist trotz später werdenden Vormittags dunkler als in Zürich. Während sich der Zug das Reusstal hochwindet, wechselseitig freie Sicht auf den Stau vor dem Gotthard Nordportal. Vor Göschenen dann der erste Schnee, nicht mehr als ein Schäumchen. Der Kondukteur möchte die Tickets sehen, doch sein Handy klingelt, er entschuldigt sich und eilt davon, im Gotthard Tunnel hat er bis etwas über das erste Drittel Empfang, dann folgt bis er ins Einzugsgebiet der Tessiner Antennen gerät, Funkstille. Auch in Airolo liegt Schnee, der schon bald wieder in Regen übergeht. Die Wolken hängen tief in der Leventina, Richtung Bellinzona klart es auf. Ankunft nach 10 Uhr, in Bellinzona ist es leicht bewölkt, die Sonne sendet ihre wärmenden Strahlen durch vereinzelte Wolken hindurch. Der Föhn bläst nicht zu knapp, so dass er am Mittag auf dem Parkplatz des Tessingrottos ein Vogelnest auf einen Smart hinunterbläst.

bellinzona


Am Nachmittag im Staatsarchiv. Dort liegt der Protokollband des Kleinen Rates des Staates Tessin auf der ersten Seite geöffnet und zeigt das Protokoll der allerersten Sitzung nach Kantonsgründung vom 24. Mai 1803 auf. Beeindruckend, mit welch geschwungener und dennoch klarer und gut lesbarer Handschrift der Aktuar seinerzeit das Geschehen mit der Feder rapportiert hat. Etwas später eine Kiste mit der Aufschrift Mussolini in der Hand, worin acht Bücher von ihm lagern. Nehme eines in die Hand, blättere darin und lese einige Zeilen. Ein ähnlicher Schauer als ob ich mit ätzendgiftigen Chemikalien hantieren würde, beschleicht mich. Die Abscheu, mit der ich vor drei Jahren in einem PDF von «Mein Kampf» schmökerte fehlt – in beiden Fällen steckte ich meine Nase in reine ideologische Pestilenz. Den historischen Fehler, Mussolini im Vergleich zu Hitler als harmlos zu taxieren, begehe ich nicht. Was die beiden Diktatoren neben der Sprache ihrer gedruckten Werke noch unterscheidet: Nachgeborene können ohne Anstrengung in Mussolinis Schriften lesen, «Mein Kampf» war in Fraktur…

Packe den Duce wieder in die Archivschachtel und stelle ihn ins Regal zurück. Zwei Tablare darüber fällt mein Blick auf ein weiteres Buch, erschienen 1951 in der Reihe «Documenti segreti della diplomazia vaticana» und trägt den Titel: «Il Vaticano contro la pace mondiale» – Kann mir eine zwinglianische gefärbte ironische Bemerkung über eine Frühform von Wikileaks nicht verkneifen. Und erhalte in Kurzform die Umstände des Buches zusammengefasst. Bei der ersten Wahlen nach dem 2. Weltkrieg erreichte die Kommunistische Partei Italiens 18,9 Prozent der Wählerstimmen, in vielen Städten, vor allem den Industrie Metropolen stellte die KPI die Bürgermeister. Obwohl die von Palmiro Togliatti geführte Partei sich mit ihrem Polyzentrismus klar von Moskau und der KPDSU distanzierte, bekämpfte der Vatikan die neuen Machthaber. Die Kulisse der «Don Camillo und Peppone»-Romane von Giovannino Guareschi, bemerkte ich.

Auf der Rückfahrt erneut Blick auf den Gotthardstau. Auf beiden Seiten des Tunnels rollt auf der Strasse nichts mehr, in Göschenen liegen etwa zehn Zentimeter Neuschnee, die Schneeräumungsfahrzeuge sind noch nicht durchgekommen. Tiefe Wolken und Schnee sind die Begleiter das Reusstal hinab. Bei klarem Wetter an einem Berg betrachtet, ist die Schneefallgrenze von weitem eine klare Trennlinie zwischen Weiss und dem Darunter. Das Bild, dass sich im Reusstal bietet, entspricht wohl mehr den vorherrschenden Verhältnissen, zwischen der Höhe wo der Schnee definitv ansetzt und der Tiefe, wo es bloss noch regnet, überzieht ein Streifen von ein paar Metern, der einen Farbverlauf von grün über türkis ins Weiss bildet die Landschaft.


protokoll




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