Thusis
14. August 2011


Thusis ist in meiner Erinnerung Transitort. Zugleich ist es je nach Fahrtrichtung der erste oder letzte Ort der Zivilisation, da auf dem Talgrund gelegen, wo sich die Breite des Domleschgs wohltuend öffnet oder sich bedrohlich schliesst, die etwas über 100 Höhenmeter Gefälle zwischen Thusis und Reichenau, wo sich Hinter- und Vorderrhein vereinen, nimmt man nicht wahr. Markanteste Landmarke heute ist der moderne Neubau des Coops mit seiner abgerundeten Architektur.

Tief in meiner Erinnerung ist der Bahnhof Thusis zwar auch nicht mehr als eine Station, bei der die Familie auf den Zug gewartet hat, aber immerhin war es der längste Aufenthalt in der Ortschaft und ein Höhepunkt der Kindheit. Mitte der 1980er-Jahre, ich sehe mich noch wirklich als Knaben, warteten wir dort gut 40 Minuten auf den Anschluss. Wobei es auch nur 20 oder zehn gewesen sein können. Es war der alte Bahnhof: ein mit Holz verkleideter Schuppen, worin die Toiletten waren, daran angebaut die weisse eingeschossige Baracke mit Flachdach für den Kiosk, dahinter folgte das dreigeschossige Bahnhofsgebäude mit dem Bahnhofbuffet. Das Vordach schützte den Perron vor Regen. Ich habe das alte Bahnhofsgebäude mit abgeschossener gelber Farbe und hellgrauen Fensterläden in Erinnerung.

Wir sind von einer Wanderung gekommen, wo wir gewandert sind, weiss ich nicht mehr, heutzutage überrascht mich bloss, dass bei uns als automobiler Familie Start und Ziel nicht identisch waren, so dass wir den Zug nahmen. Während wir auf den Zug warteten, wiesen uns die Eltern auf Franz Hohler hin, der mit seiner Frau auf uns zukam. Als er an uns vorüberging, grüssten wir einander. Hohler trug ein rötlich-weisskariertes Hemd. Damals hatte er noch braunes Haar und den langen Bart. Er war vielen meisten Deutschschweizer Kindern ein Begriff, weil er im Fernsehen zusammen mit dem Pantomimen René Quellet in der Sendung «Spielhaus» das Format «Franz und René» betreute. Wobei René Quellet immer sagte:
«I säge nüt» und ihn Franz Hohler dann korrigerte:
«Aber jetzt hesch öppis gseit.» Und René abwinkte und betonte:
«I säge nüt». Alain durfte damals das «Spielhaus» schauen. Manchmal, meistens bei «Franz und René», schaute ich auch mit, wenn ich nicht in der Schule war. Zurück nach Thusis: Ich fragte die Eltern, ob ich Franz Hohler um ein Autogamm bitten dürfe. Sie ermutigten mich zu fragen. Doch ich getraute mich nicht. Franz Hohler und seine Frau taten, was man nach einer Wanderung an einem Bahnhof tut, etwas im Bahnhofbuffet trinken, am Kiosk etwas kaufen und auf die Toilette gehen (Merke: Franz Hohler ist ein Star, der auf die Toilette geht). Die Eltern fragten nach, ob ich nicht ein Autogramm holen wolle, ich druckste herum, war zu scheu. Im Zug, vertröstete ich mich, spreche ich ihn dann an. In der kindlichen Logik wartet Franz Hohler nicht nur am selben Bahnhof, er steigt dann auch in denselben Eisenbahnwagen ein. Die Geschichte endete, wie sie enden musste, am Ende haben wir zwar Franz Hohler gesehen, aber ich blieb ohne Autogramm. Ich bin mir sicher, dass er mir noch so gerne eines gegeben hätte.

Rückblickend frage ich mich, weshalb dann nicht die Eltern mit mir mitgegangen sind? Oder ich nicht mit meinem jüngeren Bruder zu Franz Hohler gegangen bin. Ist der angeborene Schweizer, dass man einander in Ruhe lässt, selbst wenn es der liebe Gott ist, so stark ins uns?

Wie immer, wenn mich mein Weg in Thusis in die Bahnhofregion führt, und das tut er fast immer, staune ich über den Neubau des Bahnhofs und den Coop mit seiner abgerundeten Fassade und dann sehe ich den alten Bahnhof vor mir und erinnere mich an jenen Sommertag vor einem Vierterljahrhundert. So auch heute, beim Vorbeifahren mit Werner. Und wie jedes Mal, wenn ich den Coop sehe, wundere ich mich zunächst über den Neubau und frage mich, wann der Bahnhof neu gebaut wurde, denn bis weit in die 1990er-Jahre und also bis in mein Erwachsenenleben hinein stand in Thusis der Bahnhof aus meiner Erinnerung. Und dann sehe ich Franz Hohler mit seiner Frau an mir vorübergehen.


spielhaus franz hohler rene
René Quellet und Franz Hohler während einer Episode von «Franz und René» im Spielhaus, wie ich sie in Erinnerung habe.




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