Europa
19. August 2015


Auszug aus der Rede zur Generalversammlung der NEBS Zürich,
gehalten am 19. August 2015.


Am 18. September im vergangenen Jahr hat in Schottland das Referendum über den Austritt aus dem vereinigten Königreich stattgefunden. Die Schotten haben Nein gesagt. Nein zu einem souveränen Staat. Vor der Abstimmung lag gemäss Umfragen ein schottischer Abschied im Bereich des Möglichen. Weitgehende Zugeständnisse von Premierminister David Cameron im Hinblick auf eine schottische Autonomie innerhalb des Vereinigten Königreichs haben wohl denn Ausschlag für den schottischen Verbleib gegeben.

Als Schweizer, dessen Nationalverständnis auf den erfolgreichen Schlachten gegen die Habsburger und Burgunder fusst und dessen Urgrossväter sich 1291 mit dem Rütlischwur bis in alle Ewigkeit zu einem freien Volk von Brüdern erklärt haben, hat man natürlich jegliche Sympathie für eine schottische Unabhängigkeit. Dennoch haben sich die Schotten aus heutigem Blickwinkel mit ihrem Nein richtig entschieden. Wie unser Gast an der letzten Generalversammlung, Richard Jones, EU-Botschafter in der Schweiz und Liechtenstein, selbst ein Schotte, ausgeführt hat, sind in ganz Europa die nationalistischen Kräfte auf dem Vormarsch: Schwedendemokraten, AFD, UKIP, Front National oder die SVP. Sie alle sind gegen die EU. Respektive – so spitzfindig formulieren hierzulande Dr. Blocher und Roger Köppel – sie wären nicht gegen die EU. Sie lehnen bloss diese EU ab. –

Natürlich kann man gegen diese EU sein, das sind die Jungsozialisten auch, weil sie in dieser EU ein neoliberales Monster sehen. Doch was soll die Formulierung mit dieser EU? Es gibt nur diese eine und nicht noch jene EU, irgendwo weit weg von der Schweiz. Und ja, in der EU liegt einiges, vieles und wohl noch mehr im Argen, wie auch die Diskussionen der vergangenen Wochen um einen Grexit gezeigt haben. Jedoch verteufeln die obengenannten nationalkonservativen Gruppierungen nicht nur die EU, sondern europäische Einigung an sich und pochen stattdessen auf mehr nationalstaatliche Autonomie. Sie streben gar offen einen Austritt ihrer Länder aus der EU. Diese Kreise möchten weg von der abstrakten Staaten-Union zum nicht minder abstrakten Nationalstaat. Botschafter Jones sagte: «Was jedoch das Europa der Nationalstaaten zustande gebracht hat, ist hinlänglich bekannt.» Diesen Gedanken aufnehmend, kann man als Schweizer kaum ernsthaft an einem neuen, nationalistisch begründeten Krieg in unserer Nachbarschaft interessiert sein.

Natürlich sind Dr. Blocher oder Nigel Farage von der UKIP keine Kriegstreiber. Dennoch bekämpfen ihre Parteien und Bewegungen die Immigration. Sie gehen so weit und sprechen von echten und unechten Flüchtlingen. Falsche Flüchtlinge sind diejenigen, die nicht an Leib und Leben bedroht sind, also beispielsweise Leute aus Eritrea, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen. Dabei geht vergessen, dass die Schweiz lange froh gewesen war, dass die USA vor allem Wirtschaftsflüchtlinge aufgenommen haben. Echte Flüchtlinge sind an Leib und Leben bedroht. Und dennoch wehrt sich die SVP gegen die Flüchtlinge aus Syrien und die Weltwoche schreibt vom Asylwahn von Bundesrätin Sommaruga, die 3000 syrische Flüchtlinge aufnehmen möchte. Doch was, Herr Köppel, herrscht denn in Syrien, wenn nicht Krieg?

Deshalb teile ich die Einschätzung von Botschafter Richard Jones, dass es keine Alternative zur europäischen Einigung geben kann. Denn das Gegenteil ist nicht ein bunter Teppich friedlicher Nationalstaaten. Die Asyldebatte zeigt, wohin uns der Weg des erneuten Nationalismus führen wird. Und deshalb haben die Schotten mit ihrem Nein zum eigenen Nationalstaat mehr als nur ein Ja zum Vereinigten Königreich gesprochen. Sie haben ein deutliches Signal nach Europa ausgesendet und dem Spaltpilz des Nationalismus eine Abfuhr erteilt und haben die Idee der europäischen Einheit, wenn auch nur im kleinen, bestätigt.




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