im Kantorat
8. März 2016


Mittagspause, Sabine verabschiedet sich und holt etwas zu essen. Eine Viertelstunde später hat sie in ihrem Büro Platz genommen, da klingelt das Telefon. Trotz Pause nimmt Sabine den Anruf entgegen, es entsteht ein längeres Gespräch. Danach geht sie zu Daniel, weil es die Polizei gewesen ist: An einem Turm wurde ein Transparent aufgehängt. Daniel sagt ihr, wen sie von der Kirchenpflege und vom Pfarramt informieren solle. Schon nach dem ersten erfolglosen Telefonat ruft erneut die Polizei an. Sabine beschliesst daraufhin, den Einsatzleiter persönlich zu sprechen. Ein paar Minuten später schauen Daniel und ich aus der Bullingerstube, ob wir das Transparent sehen können, doch dieses hängt von uns abgewandt zur Limmat hin.

Kurz danach verabschiede ich mich in den Mittag, Sabine und Franco, der Siegrist, sprechen mit zwei Polizisten. «Es ist ärgerlich, vor allem weil das Personal an der Turmkasse die Anweisung hat, niemand mit Rucksack auf den Turm zu lassen. Ich hätte mich in der Diskussion nicht erweichen lassen», enerviert sich Franco. Sabine sagt mir unterdessen, dass das Transparent am Karlsturm hängt. Obwohl der Grossmünsterplatz von der Polizei abgesperrt wurde, könne man es sehen. Mische mich unter die wenigen Passanten, die vom Wettingerhaus zum Karlsturm hochschauen. Dort hängt ein Transparent mit der Aufschrift «Gott ist eine Frau» und eine Internetadresse. Unter dem Transparent sind in Greenpeace-Manier zwei Frauen angeseilt und frieren sich im Winterwetter ihre Allerwerteste ab.
«Ha, ha, lustig», denke ich. Und: «Schade, erzählt ihr nur die halbe Wahrheit.» Als Kommunikationsberater hätte ich dieser feministischen Gruppe geraten, anstatt die naheliegende Provokation zu wählen, das korrekte Bibelzitat aufzuhängen. Die Wirkung wäre um einiges grösser gewesen:

«Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er sie: als Mann und Frau schuf er sie.»

Kehre zu Sabine und Franco zurück, dieser sagt zum leitenden Beamten:
«Ich bin seit sieben Jahren hier. Ein Transparent kann man wegnehmen. Als ich begonnen habe, hatten wir an jedem Tag der Frau Sprayereien an der Fassade. Das hat zum Glück aufgehört.» Während Franco spricht, beobachte ich eine etwa dreissigjährige braunhaarige Frau in grüner Jacke, offenbar die Aktionsverantwortliche. Diese gibt mit tränengeröteten Augen ihre Personalien der Polizei an. Hat sie nicht mit der Polizei gerechnet oder befürchtet sie nun, als Vandalin vorbestraft zu sein?

Am Nachmittag lässt sich Christoph, die eine Hälfte des Pfarrteams am Grossmünster, über den Vorfall informieren. Die Kirchgemeinde hat unterdessen ein offizielles Statement verfasst. Christoph ist eine der Auskunftspersonen. Bereue es, nicht selber als Mediensprecher für das Grossmünster zur Verfügung stehen zu können und geniesse es zugleich, nur als Stiller Beobachter am Rande zuzuschauen. Sabine sucht ihm alle Angaben über das Aktionskomitee zusammen. Nachdem er diese studiert hat, meint er:
«Eigentlich sollte man den Verantwortlichen gratulieren, so erzielt man Aufmerksamkeit». Und fügt kurz darauf mir gegenüber augenzwinkernd an:
«Zudem gibt das doch etwas Abwechslung in den Alltag.» Als ihm Sabine mitteilt, dass die Person vom Präsenzdienst, die an der Turmkasse gewesen war, sich Vorwürfe mache, meint Christoph:
«Das muss er nicht. Ich gehe rüber und spreche mit ihm.» Ein paar Minuten später verabschiedet er sich und ruft im Korridor:
«Für mich ist Gott ein Mann!» Er klopft bei Daniel und möchte sich verabschieden, fügt aber zuvor an: «Nein, eigentlich ist Gott ein Hermaphrodit.» Er verabschiedet sich von Daniel und geht die Treppe in Richtung Hauseingang zum Zwingliplatz hinab. Er winkt zum Abschied und skandiert neben dem Bild von Johannes Bullinger:
«Gott ist ein Hermaphrodit!»





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