Archiv 1993
Wie Zürich auf den Arc de Triomphe kam
Juni 1993
Paris im Frühling - französische Impressionen
 

Aussenminister
Nachdem die MD-80 der Swissair mit einer halben Stunde Verspätung gelandet war, befand sich ihr Standplatz neben dem Rollfelld. Folglich mussten die Passagiere in den wartenden Bus umsteigen. Ich setzte mich, musterte mein Gegenüber und war erstaunt, Bundesrat Cotti am Gründonnerstag zwischen Flugzeug und Zoll anzutreffen und einige Worte mit ihm zu wechseln. Am Zoll stellte sich der frischgebackene Aussenminister brav in die Reihe. Er diskutierte mit einer Gruppe von jungen Appenzellern über das Pariser Nachtleben und ob man einem Bankangestellten seinen Job ansehe. Nach etwa zwei Minuten kam ein scheuer Swissair-Angestellter und führte Herrn Cotti durch den Zoll.

Gegensätze
Die Défense in Neully sur Seine stellt (fast) alle bisher erlebten Architekturschocks in den Schatten. Die futuristische Architektur der Hochhäuser, die Säulenkonstruktion der Grande Arche lassen das nächste Jahrtausend erahnen. Die immense Grösse der Anlage erinnert an die Bauwerke der alten Römer. Unweigerlich zwingt sich mir ein Vergleich zu den Londoner Docklands auf: Die Bauten der Docklands sind gleich Eindrücklich wie diejenigen der Défense. Nur, die Franzosen gingen die Finanzfragen geschickter an als die Engländer. Nach über zehn Jahren Thatcherismus steckt das Land in den roten Zahlen und obwohl mehr als die Hälfte der Baubudgets der Torrie-Regierung in den Bau der Docklands gesteckt wurde, sind die Unternehmer Pleite und der Tower steht leer. Anders dagegen Paris, neben der Défense sind auch der Louvre Neubau, das neue Finanzministerium oder die neue Oper keine billigen Spässe. Und es wird fröhlich weitergebaut.

Métro
Die Métrostationen in Paris sind modern, sauber und werden zu Nichtraucherzonen umfunktioniert. Die Pariser Metro ist die einzige auf der Welt, die auf Gummipneus fährt.
Bei uns in der Schweiz wird in Tram und Bus nicht viel gesprochen. Laut einem Artikel des Tages Anzeigers werden die Benützer von öffentlichen Verkehrsmitteln von Missmut befallen. Wie verhält es sich Paris, der Stadt des Lebens?
Es wir überhaupt nichts gesprochen. Das heisst, die Liebespaare küssen sich lieber und die Touristen studieren den Métroplan. Die Ausnahme bildeten zwei sich streitende Clochards. Sie blieben allerdings beim Wortgefecht. In Zürich artete ein verbaler Streit unter zwei Säufern in eine Schlägerei aus.

Unruhen
Lieg es daran, dass die letzten grosse Unruhen schon 13 Jahre zurückliegen oder einfach an der Machtverschiebung im Parlament? Auf jeden Fall geht (nicht nur) Paris heissen Zeiten entgegen. Kaum waren die Bürgerlichen an der Macht, wurde die Gefangenenbehandlug der Pariser Polizei wieder rabiater: Am Dienstag vor Ostern wurde ein Schwarzer beim Verhör erschossen. Fazit: Tags darauf kam es zu gewalttätigen Demonstrationen. Auch am Ostersonntag wurde demonstriert und die Polizei musste mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern eingreiffen. Ebenfall die sofortige Erschiessung eines Geiselnehmers in Neully zeugt von der Brutalisierung der Polizei.

Alte Bekannte
Auf der Suche nach einer der vielen Bushaltestellen, welch an der Place-Charles-de-Gaulle befinden, schweifte mein Blick über den Arc de Triomphe. Eine dort verewigten Ortschaften, welche auf ihm verewigt sind, ist die Stadt Zürich. Was hat Zürich auf dem Triumphbogen verloren? Napoleon hatte darauf alle Schlachten verewigen lassen, so auch die Schlacht bei Zürich. Die französischen Truppen kämpften gegen jene des russischen Generals Suworow und gewannen. Nebenbei liessen sie noch den Zürcher Staatsschatz mitlaufen.

Von den Hallen zum Sacré Coeur
Gan in der Nähe des ehemaligen Marktes Les Halles verläuft die Rue St. Denis. Sie ist die Hauptstrasse des Pariser Nachtlebens. Es verwundert auch nicht, dass es in mehreren Bars Stripshows und Videokabinen gibt. Doch diese Videokabinen schiessen jeden Vogel ab. Nach den Werbeschildern besagter Bars, kann der Besucher zwischen 24 und 32 Filmen wählen. Doch je langer die Strasse, desto grösser wird das Angebot an Filmen: 40, 64, bis zu unwahrscheinlichen 128. So unwahrscheinlich hoch die Anzahl der Filme ist, so niedrig ist der Preis, für 10 Francs (ca. Fr. 2.50) kann man sich die Filme zu Gemüte führen.
Vor dem Sacré Coeur stehend, kamen mir die ersten Zweifel, ob ich wirklich in Paris sei. Geradesogut hätte ich vor der Sixtinischen Kapelle in Rom oder vor dem Kölner Dom stehen können, es wurde nur deutsch und italienisch gesprochen. Vor dem Eiffelturm, auf der Terrasse des Trocadéros, gesellte sich noch spanisch hinzu. Im Louvre kam dann die ganze Welt zusammen. Eigentlich dachte ich, ich sei in Paris. Doch das Wetter lässt mich schliessen, dass ich in London bin.

Mit Liebesgrüssen aus Moskau

Hier geht es zu Yves Baers Fotos aus Paris, die er in den Jahren 1993 und 2000 aufgenommen hat.

 

Nachbetrachtung des Artikels
Eine wunderbare Reportage aus dem österlichen Paris von anno 1993. Maggie Thatcher, François Mitterand, Helmut Kohl, Flavio Cotti hiessen die politischen Akteure. Der ursrpüngliche Artikel wurde im Occhio 2/93 veröffentlicht, worin (fast) konsequent die gemässigte Kleinschreibung angewendet worden war. Die Liebesgrüsse aus Moskau fielen leider der Kürzung anheim. Was es sonst noch zu sagen gibt? Dass der Autor im Artikel die Tories und die Labour verwechselt hatte. 1993 war links noch links und recht noch rechts. Hier im Internet wurde dieser peinliche Fehler korrigiert.
Der Autor glaubt auch, den Grund für seinen Feministinnenhass gefunden zu haben: Die Chefredaktorin war eine überzeugte Emanze, bei der Form vor Inhalt kam. Sie machte nicht einmal vor Erinnerungen halt und so wurde aus der Gruppe Appenzeller Banker, die sich mit Bundesrat Cotti über das Pariser Nachtleben unterhalten hatten, AppenzellerInnen, obschon keine Frau dabei war.

 

Der Maskulinismus
Der Maskulinismus akzepiert das Recht der Frau auf Gleichberechtigung, genauso wie MigrantInnen, Behinderte und Kinder ihre Reche haben sollen und soweit es geht gleichgestellt werden. Maskulinisten sind Gentlemen alter Schule, die einer Frau - sofern sie es noch möchte - die Türe offen halten. Gleiche wirtschaftliche Leistung soll mit dem selben Lohn entlöhnt werden. Maskulinsiten schämen sich nicht, ihre Wäsche selbst zu waschen oder die Hausarbeit zu übernehmen - Mann ist schliesslich emanzipiert.
Maskulinisten setzen sich aber dagegen zur Wehr, dass überall in der Sprache die weibliche Form angewandt wird, Inhalte sollten nicht verfälscht werden. Ebensowenig sollen falsche Worte wie die Redewendung Liebe MitgliederInnen entstehen. Natürlich haben die Frauen Glieder, aber Mitglied ist ein sächliches Wort und die deutsche Sprache verfügt über drei Geschlechter.

Wer sich mehr mit dem von Yves Baer ins Leben gerufene Maskulinsimus vertraut machen möchte, der oder die sei herzlich eingeladen, diesem Link zu folgen.