Artikel - Archiv 2001
Maccas Freiheit
November 2001
Er wurde am 11. September in New York Augenzeuge der tragischen Ereignisse und schrieb am folgenden Tag Freedom, den Song, der von vielen fälschlicherweise als Kriegshymne interpretiert wird. Aber auch sonst lässt sich Driving Rain hören. Wenn strömender Regen nur immer so toll wäre wie bei Paul McCartney.
Bewertung * * * * * *

Eines Vornweg: Die SonntagsZeitung hat wohl das Album nicht gehört. Denn nur so lässt sich der Satz erklären, dass Paul McCartney keine genialen Melodien mehr einfallen. Keine genialen Melodien mehr? Ein Gedanke, der einem bei Songs wie Flaming Pie kommen kann. Aber Flaming Pie befindet sich auf dem gleichnamigen Album von 1997. From A Lover To A Friend, Tiny Bubble, Spinning on An Axis oder Back In The Sunshine Again sprechen hier eine andere Sprache. Wohl recht haben die Kritiker, welche bei Run Devil Run anno 99 noch Milde walten liessen und beim Hören vom Driving Rain feststellen, dass Macca neu verliebt ist, und dieser neue Elan ihn ein Album aufnehmen liess, welches in den meisten Kritiken als das beste seit über 20 Jahren wegkommt.

Paul McCartney ist definitiv in der musikalischen Moderne gelandet. Eine der Hauptkritiken dem 93er Album Off The Ground gegenüber war, dass Sir Paul nicht mehr zeitgemäss wäre. Etwas Mitleidig belächelte man seine Techno- und Ambientversuche mit den Firemen. Doch spätestens beim dritten Song, She's Given Up Talking, klingen die Gitarren wie sie ums Millennium geklungen haben. Überhaupt ist She's Given Up Talking ein famoser Song. Das Rolling Stone Magazin schrieb, dass man sich in McCartneys Bassspiel eine Villa einrichten könne. Das Ambient-ähnliche Ende von She's Given Up Talking mit dem wohl melodiösesten Bassspiel McCartneys seiner Karriere war wohl der Auslöser für diese Beschreibung.

Der Reiz des Skizzenbuchhaften
Das Weisse Album der Beatles wird oft als Skizzenbuchhaft beschrieben. Pauls Solowerk wird oft als überproduziert tituliert. Nicht so bei Driving Rain, bei dem alle Ecken und Kanten gelassen wurden. Das Demo von From A Lover To A Friend hatte Macca Morgens um zwei aufgenommen. Der Song klingt während den Middle Eight, die in einer Demo-Ambient-Atmosphäre sind, wirklich recht verschlafen. Eine noch eigentliche Skizze ist das zehnminütige Rinse The Raindrops, welches sich nach zwei Minuten in eine Jamsession auflöst. Wohl schrieb der Tages Anzeiger, dass sich das Album steigert um in seinem Höhepunkt Rinse The Raindrops zu enden, ein Urteil, das übernommen werden kann.

Kritiker sind McCartney gegenüber freundlich gestimmt, wenn er nach sich selbst, das heisst nach den Beatles klingt. Wie schon auf dem Vorgänger Flaming Pie hat es auf Driving Rain nicht nur Reminiszenzen an die Fab Four sondern auch Songs, die gut aus dieser Zeit stammen könnten. I Do weckt Erinnerungen ans Weisse Album, nur dass die erwartete akkustische Gitarre elektronisch ist. Magic erinnert mit seinem wilden Schlagzeugsolo am Ende an Strawberry Fields Forever. Riding Into Jaipur ist eine indische Ballade, bei der man sich fragt, ob nicht George Harrison im Studio vorbeigeschaut hat.

McCartney ist dann am besten, wenn er sich auf die Musik und nicht auf die Texte konzentriert. So geschehen bei all seinen hoch gelobten Alben. Auch auf Driving Rain sind die Texte oft noch Skizzen: «Riding into Jaipur/Riding through the night/Riding with my baby/Oh what a delight, oh what a delight it is» oder« I'm gonna fly to the moon, checking outta/Find me a suitable plot, build myself a place/There I will stay for a year and a day/Until the cares of my life blow away/And I will dance to a runcible tune/With a queen, of my heart/Heather» sind die Lyrics der Songs Heather respektive Riding Into Jaipur.

9/11
Am 11. September befand sich Paul McCartney in New York und wurde Augenzeuge des Falls der Türme. Sofort wusste er, dass er das Erlebte in einem Song verarbeiten muss. Am Folgetag schrieb er noch unter den Eindrücken des Tages den Song Freedom. Schon bald konnte man auf paulmccartney.com Rehearsals hören. Seine Weltpremiere erlebte Freedom beim Concert for New York City, welches Paul McCartney für die Rettungsleute auf Ground Zero veranstaltete. An dem Konzert traten unter anderem The Who, Eric Clapton, Mick Jagger und Keith Richards auf. Die Liveversion von Freedom, bei welcher Eric Clapton sein feurigstes Gitarrensolo seit Jahren spielte, wurde vier Tage später im Studio nachbearbeitet und auf das Album Driving Rain gepresst. Bei der CD als Hiddentrack, beim Doppelvinyl fein säuberlich als 16. Track mit den Credits aufgeführt.

Verwundert nahmen gewisse Medien zur Kenntnis, dass McCartney sich politisch äussert. Paul McCartney schreibt einen Kriegssong titelten die Sonntags Zeitung und die Weltwoche. Beide Medien haben wohl etwas missverstanden. Klar war McCartney ein Hippie und gegen Vietnamkrieg. Freedom, in welchem McCartney schreibt, dass er für die Freiheit kämpfen wird, weil dies sein Gott gegebenes Recht sei, als Kriegsong abzutun ist falsch. In den 60er Jahren erkämpften sich die Hippies mehr Freiheiten. Und diese Freiheiten gilt es vor religiösem Fanatismus zu verteidigen. Das ist die Botschaft von Paul McCartney und nicht, dass er fordert Afghanistan, Irak, Iran, Nordkorea oder Kuba in die Steinzeit zurückzubomben, auch wenn letzteres besser den Medien passt.



Tracklisting

Lonely Road
From A Lover To A Friend
She's Given Up Talking
Driving Rain
I Do
Tiny Bubble
Magic
Your Way
Spinning On An Axis
About You
Heather
Back In The Sunshine
Your Loving Flame
Rinding Into Jaipur
Rinse The Raindrops
Freedom



Tracklisting Single Freedom:

Freedom (Studio Version)
From A Lover To A Friend
From A Lover To A Friend - David Kahne Mix 2



Das Cover der US-Promosingle von Freedom. Deutlicher lässt sich die Botschaft wohl kaum ausdrücken.

   
Paul McCartney
Driving Rain
Parlophone 5 35510-2
Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
http://www.paulmccartney.com
   

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