Eines Vornweg:
Die SonntagsZeitung hat wohl das Album nicht gehört.
Denn nur so lässt sich der Satz erklären, dass Paul
McCartney keine genialen Melodien mehr einfallen. Keine genialen
Melodien mehr? Ein Gedanke, der einem bei Songs wie Flaming
Pie kommen kann. Aber Flaming Pie befindet sich
auf dem gleichnamigen Album von 1997. From A Lover To A
Friend, Tiny Bubble, Spinning on An Axis oder Back
In The Sunshine Again sprechen hier eine andere Sprache.
Wohl recht haben die Kritiker, welche bei Run Devil Run
anno 99 noch Milde walten liessen und beim Hören vom
Driving Rain feststellen, dass Macca neu verliebt ist,
und dieser neue Elan ihn ein Album aufnehmen liess, welches
in den meisten Kritiken als das beste seit über 20 Jahren
wegkommt.
Paul McCartney
ist definitiv in der musikalischen Moderne gelandet. Eine
der Hauptkritiken dem 93er Album Off The Ground gegenüber
war, dass Sir Paul nicht mehr zeitgemäss wäre. Etwas
Mitleidig belächelte man seine Techno- und Ambientversuche
mit den Firemen. Doch spätestens beim dritten Song,
She's Given Up Talking, klingen die Gitarren wie sie ums
Millennium geklungen haben. Überhaupt ist She's Given
Up Talking ein famoser Song. Das Rolling Stone Magazin
schrieb, dass man sich in McCartneys Bassspiel eine Villa
einrichten könne. Das Ambient-ähnliche Ende von
She's Given Up Talking mit dem wohl melodiösesten
Bassspiel McCartneys seiner Karriere war wohl der Auslöser
für diese Beschreibung.
Der Reiz
des Skizzenbuchhaften
Das Weisse Album der Beatles wird oft als Skizzenbuchhaft
beschrieben. Pauls Solowerk wird oft als überproduziert
tituliert. Nicht so bei Driving Rain, bei dem alle
Ecken und Kanten gelassen wurden. Das Demo von From A Lover
To A Friend hatte Macca Morgens um zwei aufgenommen. Der
Song klingt während den Middle Eight, die in einer Demo-Ambient-Atmosphäre
sind, wirklich recht verschlafen. Eine noch eigentliche Skizze
ist das zehnminütige Rinse The Raindrops, welches
sich nach zwei Minuten in eine Jamsession auflöst. Wohl
schrieb der Tages Anzeiger, dass sich das Album steigert um
in seinem Höhepunkt Rinse The Raindrops zu enden,
ein Urteil, das übernommen werden kann.
Kritiker
sind McCartney gegenüber freundlich gestimmt, wenn er
nach sich selbst, das heisst nach den Beatles klingt. Wie
schon auf dem Vorgänger Flaming Pie hat es auf
Driving Rain nicht nur Reminiszenzen an die Fab Four
sondern auch Songs, die gut aus dieser Zeit stammen könnten.
I Do weckt Erinnerungen ans Weisse Album, nur dass
die erwartete akkustische Gitarre elektronisch ist. Magic
erinnert mit seinem wilden Schlagzeugsolo am Ende an Strawberry
Fields Forever. Riding Into Jaipur ist eine indische Ballade,
bei der man sich fragt, ob nicht George Harrison im Studio
vorbeigeschaut hat.
McCartney ist dann am besten, wenn er sich auf die Musik und
nicht auf die Texte konzentriert. So geschehen bei all seinen
hoch gelobten Alben. Auch auf Driving Rain sind die
Texte oft noch Skizzen: «Riding into Jaipur/Riding
through the night/Riding with my baby/Oh what a delight, oh
what a delight it is» oder« I'm gonna fly
to the moon, checking outta/Find me a suitable plot, build
myself a place/There I will stay for a year and a day/Until
the cares of my life blow away/And I will dance to a runcible
tune/With a queen, of my heart/Heather» sind die
Lyrics der Songs Heather respektive Riding Into
Jaipur.
9/11
Am 11. September befand sich Paul McCartney in New York und
wurde Augenzeuge des Falls der Türme. Sofort wusste er,
dass er das Erlebte in einem Song verarbeiten muss. Am Folgetag
schrieb er noch unter den Eindrücken des Tages den Song
Freedom. Schon bald konnte man auf paulmccartney.com
Rehearsals hören. Seine Weltpremiere erlebte Freedom
beim Concert for New York City, welches Paul McCartney für
die Rettungsleute auf Ground Zero veranstaltete. An dem Konzert
traten unter anderem The Who, Eric Clapton, Mick Jagger und
Keith Richards auf. Die Liveversion von Freedom, bei welcher
Eric Clapton sein feurigstes Gitarrensolo seit Jahren spielte,
wurde vier Tage später im Studio nachbearbeitet und auf
das Album Driving Rain gepresst. Bei der CD als Hiddentrack,
beim Doppelvinyl fein säuberlich als 16. Track mit den
Credits aufgeführt.
Verwundert nahmen gewisse Medien zur Kenntnis, dass McCartney
sich politisch äussert. Paul McCartney schreibt einen
Kriegssong titelten die Sonntags Zeitung und die Weltwoche.
Beide Medien haben wohl etwas missverstanden. Klar war McCartney
ein Hippie und gegen Vietnamkrieg. Freedom, in welchem
McCartney schreibt, dass er für die Freiheit kämpfen
wird, weil dies sein Gott gegebenes Recht sei, als Kriegsong
abzutun ist falsch. In den 60er Jahren erkämpften sich
die Hippies mehr Freiheiten. Und diese Freiheiten gilt es
vor religiösem Fanatismus zu verteidigen. Das ist die
Botschaft von Paul McCartney und nicht, dass er fordert Afghanistan,
Irak, Iran, Nordkorea oder Kuba in die Steinzeit zurückzubomben,
auch wenn letzteres besser den Medien passt.
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Tracklisting
Lonely Road
From A Lover To A Friend
She's Given Up Talking
Driving Rain
I Do
Tiny Bubble
Magic
Your Way
Spinning On An Axis
About You
Heather
Back In The Sunshine
Your Loving Flame
Rinding Into Jaipur
Rinse The Raindrops
Freedom
Tracklisting Single Freedom:
Freedom (Studio Version)
From A Lover To A Friend
From A Lover To A Friend - David Kahne Mix 2
Das Cover der US-Promosingle von Freedom. Deutlicher lässt
sich die Botschaft wohl kaum ausdrücken.
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Weitere
Artikel über Paul McCartney von Yves Baer
Unplugged zum
zweiten (1992, Unplugged The Official Bootleg)
Flying Around
(1993, Off The Ground)
Thrillington's
Trance Beat (1995, ReIssue Thrillington, The Firemen Strawberries
Ocean Ships Forrest)
Nekrophile Sounds
(1995, Beatles Anthology Vol. 1)
Die Welt heut Nacht
(1997, Flaming Pie)
The Firemen Rushes
In (1998, Firemen Rushes)
Lauf Teufel lauf (1999,
Run Devil Run und Working Classical)
Liverpool Soundcollage
(2000, Liverpool Soundcollage)
Zurück
aus der neuen Welt (2003, Back In The World, Back In The
US)
Nur ein kleines
Detail (2003, Darf Lennon/McCartney in McCartney/Lennon
geändert werden?
... und
in Kürze in Musicus:
Let It Be Naked, alles über die Urfassung des
Let It Be Albums von den Beatles, welches am 7. November nach
34 Jahren veröffentlicht wird.
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