Die Vorabsingle heisst gleich wie das Album: Mensch. Und der Song überzeugt bereits beim ersten Mal hören: «Es ist schon okay, es tut gleichmässig weh» singt Grönemeyer. Ein genialer Satz. Wenn einem das Leben immer wieder die selbe Enttäuschung zukommen lässt, stumpft man mit der Zeit einfach ab. Es ist schon okay, es tut gleichmässig weh. Gröni hat es wieder einmal geschafft - das Album muss her, unbesehen der Musik, die Lyrics sind seine Stärke: «Es ist hart, allein beschränkt zu sein», sang er über Neonazis, «für mein Leben nach Dir wünsch ich Dir die Pest an den Hals», sang er für alle verschmäten LiebhaberInnen und seine Frage nach dem Mann ist bis heute nicht beantwortet. Die Single Mensch stieg gleich auf Platz eins ein und blieb dort 6 Wochen lang. Für das Album lagen 3 Millionen Vorbestellungen vor.

Annus Horribils
Aus Der Weg, Hier und Dort und Blick Zurück lassen sich leicht die Erfahrungen aus Grönemeyers Katastrophenmonat November1998 hineininterpretieren. In der ersten Novembewoche starben sein Bruder Wilhelm und seine Frau Anna. Herbie gibt es selbstverständlich nicht zu, aber auch im Titelsong Mensch kommt immer wieder – völlig aus dem Kontext gerissen – die Feststellung Du fehlst.

Zwei Dinge habe ihm seine damals neunjährige Tochter gesagt, als er ihr sagte, dass die Mutter gestorben sei: «Papa, du machst aber weiter Musik», und «es kommt mir keine andere Frau ins Haus», erzählte Grönemeyer in einem Interview. Wie Linda McCartney starb Anna Grönemeyer an Krebs, beide Frauen starben 1998. McCartney legte ein Trauerjahr ein und wusste nicht, ob er Musik machen wolle, um dann nach einem Jahr ins Studio zurückzukehren und das Rock n' Roll Album Run Devil Run aufzunehmen. Auch Gröni trauerte. Und wusste lange nicht, ob er noch Musik machen wolle. Denn wichtiger als die Musik waren ihm die Kinder. So gab er im Jahr 2000 vier Konzerte. Dasjenige an der Weltausstellung in Hannover wurde als DVD plus veröffentlicht, die sowohl als DVD beguck- und in normalen CD-Playern spielbar ist.

Der Rest der Welt
Was bietet das Album sonst noch? In Neuland überdenkt Herbert Grönemeyer die Lage der Nation, drei Legislaturen nach der Wiedervereinigung. Und er rät: «Entspann Dich, Zweiland.» Und Gröni bekennt: er mag dies Land, er mag die Leute, aber er mag nicht den Staat. Sagt er, der schon seit Jahren in London lebt.

In Unbewohnt beschreibt Herbie die innere Einsamkeit, in die ein Mensch fallen kann. Es kann auch ein Teil der Neudefinition nach einem herben Verlust sein: «Bin mein Radio, schalt mich aus. Würde mich gern verstehen, aber ich weiss nicht, wie das geht.» Das Endzeitszenario in Viertel Vor lässt einen erschaudern, denn die Anleihen stammen eindeutig aus der Realität.

Versöhnt zum Meer
Doch das Album Mensch wäre nicht das Meisterwerk, das es ist, wenn nicht auch versöhnliche Töne auf dem Album zu finden wären: «Der Mensch heisst Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt, weil er schönt und schwärmt, weil er lacht , weil er lebt, weil er irrt und weil er kämpft, weil er schwärmt und weil er glaubt, sich anlehnt und vertraut, weil er erinnert und weil er kämpft, weil er mitfühlt und weil er vergibt». Ein deutsches Medium schrieb kürzlich, Grönemeyer habe die Deutschen endlich wieder zu dem gemacht, was sie vor den Nazis gewesen seien, Menschen. Das Meer strahlt Frieden aus. Der Song Zum Meer mit versöhnlichen Worten «Geh gelöst, versöhnt, bestärkt, selbstbefreit den Weg zum Meer.» Dazu braucht man eigentlich nur noch Grönis Rat zu befolgen, der sowohl auf dem Album wie auf der Single B-Seite von Mensch ist: Lache, wenn es nicht zum weinen reicht.

So sieht ein Mensch aus.

Herbert Grönemeyer
Mensch
Grönland 541621-1

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk