Die Fachwelt ist sich einig, der Abgang von Graham Coxon, Blurs Gitarrist, welcher auf den letzten beiden Alben Blur und 13 prägend wirkte, hat der Band nicht geschadet. Think Tank ist der logische Nachfolger von Damon Albarns Nebenprojekt Gorillaz. Im Gegensatz zu Clint Eastwood fehlt der absolute Hit auf dem Album. Was ihm wiederum bekommt. Barry Walters meinte auf rollingstone.com, dass die alten Blur, die brittpoppenden, gestorben sind, und die neuen - musikalisch offneren - lebendig werden. Ein Urteil, das man anerkennen kann.

Aufgenommen wurde Think Tank unter anderem in Marokko. Moroccan Peoples Revolutionary Bowls Club beschreibt denn auch die marokkanische Landschaft: Bäume stossen Sauerstoff aus, die Wüste lechzt nach einem Bier. Bei Out Of Time spielen gar marokkanische Musiker mit. Wen wunderts, nach den Gorillaz setzte sich Damon Albarn in die Heimat der Affen - nach Mali - ab und nahm mit einheimischen Musikern ein Album auf.

Obwohl eine Ambulanz oft ziemlich in Schuss ist, kommt der Opener Ambulance seltsam lethargisch daher. Immer wieder wird die Zeile I ain't got nothing to be scard of beinahe mantramässig wiederholt. Schon bald einmal wird einem klar, dass man selbst in der Ambulanz liegt. Und schon ist man zur Zeit rauskatpulitiert, wie der Titel der ersten Single, Out Of Time, suggeriert. Der Song ist kein zwingender Hit, aber er wird wie schon so manche Blur-Single von bleibender Erinnerung sein, da der Refrain ein absoluter Ohrwurm ist. Ganz anders kommt da der von Fat Boy Slim produzierte Crazy Beat daher: rockend, laut, verführerisch, Sommerhitverdächtig. Spätestens ab diesem Moment hat einem das Album erwischt, da es zum ersten Mal so richtig in die Beine fuhr.

Fast aus Angst eine wilde Platte zu werden, folgen zwei zurückgenommene, fast benebelte (blured faces = vernebelte Gesichter) Songs, die auf Gorillaz oder deren B-Seiten Remixalbum G-Sides hätten sein können. Good Song ist zwar das, was der Titel verspricht, allerdings nur wenn man Damon Albarns Gesang weglässt. Erst sein Falsett-Gesang gegen Ende des Songs retten das Stück. On The Way To Club könnte ebenfalls auf G-Sides zu finden sein.

Die Depression
Brothers And Sisters ist der Song, der einem am längsten im Gedächtnis haften bleibt. Ähnlich wie bei Clint Eastwood vor zwei Jahren ist es ein eingängiger Refrain, der einem aufhorchen lässt: Brothers and sisters rebuild your lives/we're all drug takers/give us something tonight. War bereits Clint Eastwood ein Rock-Hip-Hop-Crossover-Song, so folgt auch hier die Strophe gerappt. Nicht als reiner Rap, sondern als phrasierter Jazzgesang, welcher dem eingehendem Gitarrenriff folgt: Kokain sei für Mörder, Codein für Richter, Koffein wäre in uns allen und alle Leute seien geil, so folgert Albarn.

Die zweite Strophe beschreibt einem die Drogensucht noch genauer, um mit den Worten that's the way it is even when your pissed zu enden. Schlagartig geht einem auf, dass die beschriebene Sucht nicht der Kern des Problems sein kann, sondern die Depression, die im Rhythmus der Musik auf einem einhämmert und einem nach Stoff lechzen lässt, obwohl man sein Leben neu in die Hand nehmen möchte. Noch eindringlicher macht den Song, ist dass die einzelnen Elemente nicht übereinander, sondern nebeneinander abgemischt sind. Ein musikalisches Meisterwerk, welches die lähmende Wirkung depressiver Phasen brillant einfängt.

Dem Britpop abgeschworen und dennoch...
Von der Spritzigkeit und dem Witz erinnert Think Tank an das Weisse Album der Beatles. Albarns Depressionen auf Brothers And Sisters sind Lennons Suizidgedanken in Yer Blues. We've Got A File On You ist die moderne Entsprechung von McCartneys Why Don't We Do It In The Road? Die auf Ambulance fehlenden Sirenen finden sich in George Harrisons Long Long Long. Die britische Musiktraditon wird in Sweet Song und Jets gepflegt. Der erstere Song könnte der Bruder von Jealous Guy sein, allerdings ohne die zuckersüsse Atmosphäre die Lennons Song als wahre Kitschnudel enden lassen. Jets lässt vom Titel her an McCartneys Jet erinnern, zitiert aber Bip Bop vom vielgeschmähten ersten Wings-Album Wild Life, entlädt sich gegen Ende in einem elektronischen Donnern, das ebensogut aus einem Synthesizer von Boris Blank stammen könnte.

Quitschende Tore sind das Markenzeichen von Gene By Gene, für welches sich Albarn noch einen Duetpartner hätte suchen müssen, denn die Musik ist ein musikalisches Frage- und Antwortspiel. Die ganze Spannung des Albums entlädt sich im entspannten Gitarrenspiel Graham Coxons auf Battery In Your Leg, das irgendwie an Elton Johns The Saint von 1983 erinnert. Think Tank ist ein vielversprechendes Album und stellt die Frage, wie das nächste Projekt der Gorillaz klingen wird, das im nächsten Jahr erscheinen soll.

Blur anno 2003. Foto : Rolling Stone

Blur
Think Tank
Parlophone 4321 kdkdkdk-2 (Limitierte Edition)

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk