Musicus
Zurück aus der neuen Welt
April 2003
Paul McCartney hinterlässt von seiner Driving USA und Back In The World Tour zwei Doppel-CDs und eine dreistündige Videodokumentation. Bewertung: * * * *

Livealben nach erfolgreichen Tourneen gibt es zuhauf. Auch von Paul McCartney: Wings Over America (1976), Tripping The Life Fantastic (1990) oder Paul Is Life (1993). Letzteres eine Ergänzung zum Tripping-Album mit Songs (ausser Live And Let Die), die nicht schon auf der World Tour von 1989/90 gespielt wurden. Dies sind aber alles Tourzusammenschnitte. Einen Konzertmitschnitt bietet lediglich Unplugged - The Official Bootleg. Es war das erste Unpluggedkonzert überhaupt. Und auch das erste Unplugged-Album, anno 1991. Von der finalen Wingstour 1979 gibt es bis heute kein Zeugnis, ebensowenig von der Universitäts- und Europatour von 1972, welche den Ex-Beatle nach Montreux und ins Kongresshaus Zürich geführt hatte.

Die Driving USA Tour im Frühjahr 2002 bereitete den Kritikern, Konzertbesuchern und nicht zuletzt McCartney solchen Spass, dass er bereits im Herbst, bei der Back In The USA Tour als Souvenir die CD Back In The USA verkaufte. So kam es, dass in Europa nur ausgesuchte Läden die CD im Sortiment führten. Ebenso die gleichnamige DVD. Als im März dieses Jahres die Europatournee begann, war für McCartney der Zeitpunkt gekommen, Back In The World zu veröffentlichen, sozusagen eine CD des Konzertes das man eben gehört hatte.

Vom Krieg eingeholt
Ein Fan muss sich beide Alben kaufen - versteht sich von selbst. Denn zwischen den USA und dem Rest der Welt veränderte Sir Paul auch die Setliste. Freedom oder Vanilla Sky (warum eigentlich???) fielen in Europa aus dem Set, dafür kamen She's Leaving Home, Calico Skies und Let 'Em In neu hinzu. Freedom, von vielen fälschlicherweise als Kriegshymne missverstanden, war in Europa, das mehrheitlich gegen den Irakkrieg war, deplatziert. McCartney schrieb den Song am 12. September 2001, einen Tag nach dem er Augenzeuge der schrecklichen Ereignisse in New York geworden war. Als alter Hippie gilt es zu sagen, ich kämpfe für meine Freiheit. Und dass der Song aus dem Set verschwand, bedeutet folgerichtig, dass ein Krieg um Erdöl, ein Eroberungskrieg folglich, kein gerechter Krieg sein kann und nichts mit der von Paul McCartney gemeinten Freiheit zu tun. (Vergleiche hierzu auch den Arikel über das Album Driving Rain im Archiv). Calico Skies ist auch auf dem Warchild-Sampler zugunsten der notleidenden irakischen Kinder zu finden.

Die Höhepunkte
Die Höhepunkte der beiden Alben lassen sich leicht feststellen, auch wenn die CD1 von Back In The USA und CD 2 von Back In The World das ideale Album abgegeben hätten. Die beiden Tribute an die verstobenen Freunde und Partner John Lennon und George Harrison gehören zu den Highlights: Here Today ab dem Album Tug Of War erlebte hier seine Livepremiere. Bei Something von George Harrison spielte McCartney solo die Ukulele. Überhaut ist sein Solo und Unpluggedteil der stärkste des Konzertes. You Never Give Me Your Money, Vanilla Sky (nur auf BIT US) oder Calico Skies (nur auf BITW) zeugen davon.

Zu unausgewogenes Set
Schade, dass McCartney noch immer mehr als die Hälfte seines Sets mit Beatlessongs füllt. Sein Solowerk ist nicht zu verachten. Wer das Tracklisting der beiden Alben vergleicht, sieht, dass mit C'Moon, Every Night, My Love, Let Me Roll It, Band On The Run, Jet und Maybe I'm Amazed die 70er Jahre recht gut vertreten sind. Dass aber zwischen Here Today und Driving Rain eine Schaffenslücke von zwanzig Jahren klafft, lässt sich aus rationalen Gründen nicht erklären. Say Say Say, No More Lonely Nights, Off The Ground, This One, My Brave Face würden jedes überflüssige All My Loving, I Saw Her Standing There oder We Can Work It Out aufwiegen. Ein Trost bleibt. Die Zweijahrzehtelücke von Back In The USA wurde dank der wunderbaren Version von Calico Skies ab dem 97er Album Flaming Pie auf fünfzehn Jahre reduziert. Und je jünger McCartneys Mitmusiker werden, die nicht mit den Beatles, sondern mit seinem Solowerk aufgewachsen sind, desto eher können sie Sir Paul dazubringen, die zu beatleslastigen Sets auzugleichen.

Die Hauptdiskussion
Dass auch McCartneys Livealben keine grossen Stricke zerreissen, zeugt die Tatsache, dass die Kritker sich darüber auffhielten, dass bei den Beatlessongs die Autorangabe auf McCartney/Lennon lautete. (Mehr darüber in der Rubrik In Media Veritas).Nur das Rolling Stone Magazin bemerkte, dass Sir Paul ein Wiederholungstäter ist, denn bereits bei Wings Over America lauteten die Credits der damals fünf Beatles Songs im Set auf McCartney/Lennon. Und weder John noch Yoko hatten sich von 27 Jahren daran gestört. Und tun es auch heute nicht. Denn Lennon ist genausowenig Mitautor von Hey Jude wie McCartney von Give Peace A Chance. Obwohl beide als Autoren angegeben werden. Warum also sollte man nicht langsam eine als allgemeingültig angenommene Tatsache der Legende von Lennon/McCartney überstülpen dürfen?



Von der Ehe mit Heather Mills und den beiden Spitzenalben Flaming Pie (1997) und Driving Rain (2001) beflügelt: Paul McCartney während der Back In The World Tour 2002/2003. Foto: paulmccartney.com

Tracklisting:

CD1
Hello Goodbye
Jet
 All My Loving  
Getting Better
Coming Up
Let Me Roll It  
Lonely Road
Driving Rain  
Your Loving Flame
Blackbird
Every Night
We Can Work It Out  
Mother Nature's Son  
Vanilla Sky
Carry That Weight
Fool On The Hill  
Here Today
Something

CD2

Eleanor Rigby
Here, There And Everywhere  Band On The Run  
Back In The USSR  
Maybe I'm Amazed  
C Moon
My Love
Can't Buy Me Love
Freedom
Live And Let Die  
Let It Be  
Hey Jude
The Long And Winding Road  
I Saw Her Standing There  Yesterday
Sgt. Pepper/The End  
 
 
 
 
Änderungen gegenüber Back In The World CD:

CD1:
C'Moon, Vanilla Sky und Freedom wurden entfernt. CD 1 enthält nur 17 Songs!

Neue Songs auf CD2:
3. Calico Skies
4. Michelle
8. Let 'em In  
10. She's Leaving Home
14. Hey Jude (live in Mexico)

Paul McCartney (November 2002)
Back In The USA
Capitol  7243 5 42318 2 7

Back In The World (März 2003)
Capitol 7243 5 42318 2 7

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
http://www.paulmccartney.com

Die weiteren Artikel über Paul McCartney von Yves Baer:

Unplugged zum zweiten (1992, Unplugged The Official Bootleg)
Flying Around (1993, Off The Ground)
Thrillington's Trance Beat (1995, ReIssue Thrillington, The Firemen Strawberries Ocean Ships Forrest)
Nekrophile Sounds (1995, Beatles Anthology Vol. 1)
Die Welt heut Nacht (1997, Flaming Pie)
The Firemen Rushes In (1998, Firemen Rushes)
Lauf Teufel lauf (1999, Run Devil Run und Working Classical)
Liverpool Soundcollage (2000, Liverpool Soundcollage)
Maccas Freiheit (2001, Driving Rain)
Nur ein kleines Detail (2003, Darf Lennon/McCartney in McCartney/Lennon geändert werden?

... und in Kürze in Musicus:
• Let It Be Naked, alles über die Urfassung des Let It Be Albums von den Beatles, welches am 7. Novembernach 34 Jahren veröffentlicht wird.