Mit der
letzten Single Babys Got A Temper erschien vor
zwei Jahren war Liam Howlett nie wirklich glücklich
gewesen. Sie war ihm zu routinemässig vorgekommen. Deshalb
habe er nach deren Veröffentlichung beschlossen, bei
den Aufnahmen von Always Outnumbered Never Outgunned
nochmals von vorne zu beginnen. Und er ging nicht gerade zimperlich
um mit seiner Arbeit, wie er in einem Interview mit der unoffiziellen
Fan-Website Nekozine Anfang Jahr erzählte: «Also
habe ich einfach alle Lieder fortgeworfen.» Einige Sounds
werden mit Sicherheit überlebt haben. Howlett beschreibt
das Ende August erscheinende Album wie folgt: «Es ist
noch immer Prodigy, aber eher Punk von der Einstellung her.»
«Babys Got A Temper» war ein Song
von Keith Flint, welcher der Prodigy-Behandlung unterzogen
worden war. Vor allem die Zeilen «We love Rohypnol,
she got Rohypnol, we take Rohypnol just to forget it all»
löste einen kleineren Skandal aus, die BBC bannte den
Song. Moralapostel fanden, der Song rufe zu sexueller Erniedrigung
auf. Ein weiterer Grund, wieso Howlett beschloss, beim neuen
Album nochmals von vorn zu beginnen. An den Aufnahmesessions
sollte Flint nicht beteiligt sein.
Wegbereiter des Millennium-Sounds
The Prodigy stehen wie keine andere Band für die Rockwerdung
elektronischer Musik. Anfang der 90er-Jahre hatte die Band
mit Charlie eine Breakbeat Hymne vorgelegt. Wie die
erste Maxi What Evil Lurks war ihr Debutalbum Experience
von den Beats geprägt. Doch The Prodigy stehen auch für
Punk. Schon früh verarbeitete Howlett Elemente des Industrial
Rocks. Knackige Riffs sind auf ihren Alben immer wieder zu
hören. Den optischen Wandel vollzog Keith Flint beim
letzen Album The Fat Of The Land (1997). Musikalisch
hatte sich der Wechsel zum elektronischen Punk schon bei der
95er-Single Poison und dem ein Jahr später erschienen
Firestarter vollzogen.
War Expierence noch ein Album auf der Höhe der
Zeit und vergleichbar mit den Sounds von anderen Bands, so
war Music For The Jilted Generation ein Meilenstein.
Das 1994 erschienene Album beeinflusste die nächsten
Jahre über die Musik. Selbst David Bowie oder U2 konnten
sich dem Phänomen nicht mehr entziehen, die Einflüsse
sind auf deren Album Pop hörbar. Ein Kritiker
bezeichnete Mofo als ein von Hand eingespielter Prodigy-Song.
Während sich die internationale Konkurrenz noch damit
zufrieden gab, Sounds für die jilted Generation zu produzieren,
veröffentlichten Prodigy 1997 The Fat Of The Land.
Ein punkiges, industrial-lastiges Album. In den nachfolgenden
Jahren folgten in dessen Schlepptau Bands wie die Chemical
Brothers oder Apex Twin, die Musiksrichtung wurde Big Beats
benannt.
Technofreaks, welche die Rockmusik als überlebtes Relikt
vergangener Tage abtaten, warfen The Prodigy vor, den Techno
getötet zu haben. Angesichts der Tatsache, dass der oft
einfallslose Bumbum-Sound ab 1997 vermehrt nur noch in den
Klubs gespielt wurde, erstaunt dieser Vorwurf nicht. Doch
mehr als heisse Luft steckte nicht dahinter. The Fat Of
The Land war ein erfolgreicher Versuch, die beiden unvereinbaren
Stile Rock und Techno miteinander zu verschmelzen. Womit The
Prodigy den Weg zum Milleniumssound aufzeigten, denn Ende
der 90er-Jahre begannen neben U2 auch Musiker anderer Stilrichtungen
bis hin zum Jazz, sich mit dem Techno auseinanderzusetzen.
Eine Entwicklung, die nur möglich war, weil sich Techno
bereits nach wenigen Jahren selbst überlebt hatte.
Ein erstaunlich frisches Comeback-Album
Nicht nur Liam Howlett, auch Keith Flint war nicht wirklich
glücklich mit Baby's Got A Temper. Nach der Handvoll
Konzerte, die The Prodigy vor zwei Jahren gab, zog er sich
in sein Haus zurück. Mehr aus Zufall denn aus Absicht,
formierte er u.a. mit Jim Davies die Band Flint und veröffentlichte
im Juli 2003 das Album Device #1worauf Babys
Got A Temper in seiner ursprünglichen Fassung unter
dem Titel No Name, No Number. Dass sich das Seitenprojekt
Flint negativ auf Prodigy auswirken würde, glaubt er
nicht. Sowohl er wie auch Liam Howlett sind sich einig darin,
dass er in seinen Nebenprojekt sein künstlerisches Ego
ausleben könne, ohne dass The Prodigy dabei Schaden nimmt.
Die Rückkehr in sein gewohntes Studio war Liam Howlett
schwer gefallen. Deshalb suchte er nach Veränderung.
So erstand er sich einen Laptop und all die nötigen Tools,
um darauf vernünftig Musik machen zu können. Kernpunkt
davon war das Programm Reason, welches Howlett an seinen
W30 Synthesizer erinnerte, worauf er die ersten Singles und
Experience schrieb. Im Gegensatz zu The Fat Of The
Land, welches auf seine Livetauglichkeit hin aufgenommen
wurde, bezeichnet Howlett die Musik auf dem neuen Album als
frisch und dem entsprechend, was zurzeit in seinem Kopf vorgeht.
Da er die Musik für wichtiger als den Gesang hält,
mussten nicht mehr unbedingt KeithFlint und Maxim Reality
auf jedem Track singen. Dies eröffnete Howlett die Möglichkeit,
mit Leuten wie Keith Kool, Schauspielerin Juliette Lewis und
seinem Schwager Liam Gallagher zusammen zu arbeiten. Oasis
und The Prodigy hatten schon gemeinsam Konzerte gegeben. Da
Howlett auf Shoot Down Gallaghers Stimme bis zur Unkenntlichkeit
veränderte, rettete er den Song damit.
Die Tatsache, dass Liam Howlett geheiratet hat und Vater wurde,
wird genügen, um von vorneherein eine Menge schlechter
Kritiken auf sich zu ziehen. Schliesslich sollen verheiratete
Rockmusiker nur noch Muzak produzieren. Auch die Kollaboration
mit Oasis, der meist überschätzten Band der 90er-Jahre,
ist ein Warnsignal für ein schwaches Album. Rechnet man
die lange Wartezeit und den Neustart hinzu, stehen die Zeichen
auf Sturm. Doch auf Always Outnumbered, Never Outgunned
hat sich Howlett musikalisch weiter bewegt. Punk hat an Einfluss
verloren, die Garagebands aus den 60er-Jahren sind an dessen
Stelle getreten. Phoenix enthält ein Sample von
Love Buzz von der holländischen Band Schocking
Blue. Ein Track, den schon Nirvana gecovert hatten. Spitfire
ist ein massiver Opener. Hollywoodstar Juliette Lewis, die
in ihrer Freizeit in der Band The Licks spielt, spendete ihre
an Patti Smith erinnernde Stimme. Girls ist die erste
Single-Auskoppelung. Schmutziger Elektro Punk mit den Stimmen
der Ping Pong Bitches. Und in Hotride wird die Soulgruppe
Fifth Dimension und ihr Song Up, Up & Away zitiert.
Ausserdem kehrt Juliette Lewis zurück. Sie lädt
zu einem Flug in ihrem schönen Ballon ein und haucht
zweideutig «Give me a ride». Der überraschendste
Song auf dem Album ist Medusa's Path, ein cineastisches
Instrumental à la Yello, das mit einer sanften orientalischen
Note gewürzt ist.
Wer etwas völlig Neues von The Prodigy erwartet hat,
wird enttäuscht sein. Trotz seiner Frische wird Always
Outnumbered, Never Outgunned kaum den selben Stellenwert
seiner beiden Vorgänger erhalten. Zu stark hat sich Liam
Howlett darauf konzentriert, die Musik zu machen, die ihm
gefällt. Ihren Ruf als eine der wichtigsten Elektrobands
wird The Prodigy behalten. Das Album ist ein gelungenes Comeback,
wenn auch eine Stagnation auf hohem Niveau.
Keith Flint, Maxim Reality, Liam Howlet
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Tracklisting:
Spitfire
Girls
Memphis Bells
Geut Up Get Off
Hotride
Wake Up Call
Action Radar
Medusa's Path
Phoenix
You'll Be Under My Wheels
The Way It Is
Shoot Down
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