Stephan Eicher: Reisender im Wind
17. Juni 2007
Drei Jahrzehnte dauert Stephan Eichers künstlerische Reise durch die Welt schon. Er geht, wohin der Wind ihn trägt. Viele Eindrücke hat er mit seinem Publikum geteilt, so auch seine letzte Reise, bei der er musikalisch erwachsen wurde.


Unterwegs ist Stephan Eicher seit er 16-jährig ist. Damals verliess er seine eben erst angetretene Lehrstelle und fuhr nach Hamburg. Von wo aus ihn die Polizei wieder nach Hause brachte. 30 Jahre ist er nun unterwegs, mal reist er mit Band, mal solo, ist auf Tournee oder sammelt neue Eindrücke. Und so wundert es einem nicht, dass er «d Rosmarie und I» von den Rumpelstilz als seinen Lieblingssong bezeichnet. Ganz wie das weltenbummelnde Paar in Polo Hofers Song, kehrt auch Eicher immer wieder in unser braves Land zurück. 1992 nannte ihn Roger Köppel gar den europäischen Modellfall.

Erinnern wir uns: Nachdem das eidgenössische Stimmvolk 1992 die EWR-Verträge mit der EU verwarf, liess Eicher auf der «Carcassonne Tour» sein Publikum während seines Hits «Des Hauts, Des Bas» «Putain Putain» des belgischen Sängers Arno mitsingen, worin es heisst: «putain, putain, c’est vachement clair, on est quand même tous des européains». Mehr noch, Eicher sang: «The Rich may be rich /the poor may be poor / the Swiss may be Swiss / the poor may be poor / Putain putain c'est vachement bien, on est quand même tous des Européains».

Politisch äussert sich Eicher sehr selten. Er gab aber 2001 für Moritz Leuenberger, als UNO-Generalsekretär Kofi Annan die Schweiz besuchte, ein Konzert für ihn. Statt die Schweiz als rückständiges Bauernland mit weissen Bergen zu zeigen, präsentierte Eicher die multikulturelle Schweiz, in der ein Alphorn-Duo seine Instrumente zuerst wie ein australisches Digeridoo spielte und danach darauf swingte, als ob New Orleans an der Zürcher Langstrasse gelegen wäre. Danach trat eine Band auf, die Zigeunermusik à la Django Reinhard spielte. Zu guter letzt folgten Musiker Mali, die den Blues und die Rockmusik auf ihre afrikanischen Wurzeln reudzierte. Und zwischendurch spielte Eicher seine eigenen Chansons.

Angesichts dieser mulitkultureller Konzertmomente fragt sich, wie Roger Köppel einst Stephan Eicher als europäischen Modellfall bezeichnen konnte, wenn er seither als Christoph Blochers Sprachrohr dient?

stephan eicher 1996 ismail lo der rand der welt 1000 vies
Impression aus Mali von Stephan Eichers Weltreise Mitte der 90er-Jahre. Cover der Single der «Rand der Welt» von 1997.


Wo ihn der Wind hinträgt, dorthin geht auch Stephan Eicher. Als neugieriger Mensch hat er nicht nur die Welt gesehen, sondern auch seine Eindrücke für sein Publikum mitgebracht. Er spielte in Afrika und Asien mit einheimischen Musikern und hat keine Angst davor, seine Songs neu zu arrangieren: So sang er gemeinsam mit der Kambodschanerin Sian Charia in Phnom Penh und am Jazzfestival Montreux «Pas d’Ami Comme Toi» in ihrer Muttersprache. Mit dem Senegalesen Ismail Lo nahm er 1996 «Der Rand der Welt» auf. Und Boubacar Traoé, kurz Kar Kar, rettete im Zürcher Volkshaus während der «Lounages-Tour» 1999 ein komplett missratenes Konzert mit seinem Bluesrock aus Mali. Im Gegenzug nahm Stephan Eicher die Treichler Chälläwäiger aus Engelberg mit auf Frankreichtour. Der denkwürdigste Moment dieser Paarung war wohl, als die Chälläwäigger beim «Live at Sunset»-Konzert im Hof des Zürcher Landesmuseum anno 1999 bei den «Filles Du Limmatquai» in ihrer Tracht und ihren fast mannshohen Kuhglocken auf die Bühne kamen und gegen die Punkgitarren bimmelten.

Unterwegs nach Eldorado
Mancher Musikjournalist träumt davon, Stephan Eichers Biographie zu schreiben. Doch hat sich noch keiner der Aufgabe angenommen, da über den Menschen Eicher wenig bekannt ist, und er auch sehr selten über sich spricht. Und doch kann man Hinweise auf sein wahres Ich in seinem Werk finden. Auf der DVD zu «Taxi Europa» von 2003 sieht man Stephan in Hamburg in ein Taxi steigen und als Fahrtziel Palermo angeben. Unterwegs nimmt er allerlei skurrile Fahrgäste auf, die ihn wie Max Gazzé entnervt wieder verlassen, oder die er, wie Büne Huber und Tinu Heiniger, selber genervt an der Autobahn-Raststätte in der Kälte stehen lässt. Man sieht viele Autobahnkilometer und erfährt noch viel mehr über die Grösse der Portionen und die Qualität des europäischen Kaffees. Am Ende des Filmes trinkt Eicher einen letzen Ristretto und setzt danach seine Schwimmbrille und Badekappe auf. Er zieht seine Schuhe aus und begibt sich mit dem Koffer in der Hand an den Strand. Im Hintergrund läuft der Song «Swim To America».

stephan eicher 2007 live kaufleuten zürich eldorado


Stephan Eicher live am 6. Juni 2007 im Kaufleuten Zürich, als er das Album «Eldorado» vorstellte. – Foto: Yves Baer

Vier Jahre später ist Stephan Eicher angekommen. Nicht in der neuen Welt, gefunden hat er sein Eldorado. Mit «Eldorado» ist weder die sagenumwobene Stadt in den Anden gemeint, noch die Absicht, ein Hitalbum zu veröffentlichen; obwohl es in der Schweiz die Chartspitze erreichte und in Frankreich auf den 5. Platz vorstiess. «Eldorado» beschreibt viel mehr eine innere Reise, einen musikalischen und nicht zuletzt menschlichen Reifeprozess.

Vor wenigen Jahren trennte sich Eicher von seinem langjährigen Manager Martin Hess, der ihn durch die 80er- und 90er-Jahre gelotst hatte. Im Communiqué zu «Silence» (1987) liess Eicher einst verlauten: «Stephan Eicher, c’est Martin et moi. Il s’occupe de tout sauf de ma musique». Während langen Jahren schien Eicher ohne Hess undenkbar zu sein. Die Trennung von seinem langjährigen Manager habe ihn erst musikalisch erwachsen gemacht, und das Album «Eldorado» wäre die Quintessenz davon, sinnierte Stephan Eicher unlängst in der Neuen Luzerner Zeitung. Auch der neue Manager, Roger Guntern, kümmert sich um alles ausser der Musik. Nur lässt er den öffentlichen Stephan Eicher den Öffentlichen sein, damit der neue, der private Stephan Eicher, existieren kann.

Mit einem Mann zuwenig unterwegs
Auf seiner Clubtour nun erfüllt sich Stephan Eicher einen lang gehegten Traum: mit einer Viermann-Band eine Konzerttour zu veranstalten. Bisher hatte er es nicht geschafft, diesen Traum zu verwirklichen, immer hatte es mindestens einen Mann zu viel auf der Bühne. Geschadet hatte es der Musik jedoch nicht: waren diese Musiker jeweils vom Range eines Tommy Vetterli oder Max Gazzé.

Einer blieb Stephan Eicher die Jahre über treu: Achim Meier. Ein Eicher-Konzert ohne ihn ist fast unvorstellbar, ausser Eicher gibt eines seiner raren Solokonzerte. Doch Achim Meier fehlt bei der laufenden Clubtour aus Termingründen. Ganz verzichten muss man auf den treuen deutschen Weggefährten nicht: Im Herbst soll er voraussichtlich wieder mit von der Partie sein. Eichers Begründung dafür klingt überraschend: im Herbst würden die Leute die Platte besser kennen und eine getreuere Wiedergabe erwarten. Bis dahin aber kann er mit einem Quartett unterwegs sein und versuchen, schwarz-weisse Konzerte zu spielen. Die Shows sollen ziemlich reduziert daherkommen, auf Glitzereffekte soll ebenso verzichtet werden wie auf manch lieb gewordenen Konzertfirlefanz. Eichers Idee ist, für einmal bewusst mit einem Musiker zu wenig unterwegs zu sein.

Das Nord-Süd-Gefälle
Als Deutschschweizer hat man eine romantische Vorstellung: In Frankophonien, da ist Eicher ein Star, also müssen seine Konzerte dort etwas besonderes sein. Sang doch damals das Publikum im Olympia in Paris begeistert die Coverversion von Mani Matters «Hemmige» mit. Stephan aber sieht keinen Unterschied, ob er in der Schweiz oder Frankreich auftritt. Bloss dass die Romands die Mundartsongs besser mitsingen könnten als die Deutschschweizer. –

stephan eicher eldorado 2007


Und doch gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den Auftrittsorten. Der zieht sich aber nicht dem Röstigrabens oder dem Rhein entlang, sondern verläuft an der unsichtbaren Grenze zwischen Nord- zu Südeuropa. Im Norden wollen die Leute eher eine Party veranstalten, bei der das Konzert ein Teil davon ist. Gemäss Eicher geht bei einem Konzert in Le Havre oder Liège die Post vom ersten Ton an ab. Ein Konzert in Hamburg zu spielen ist anders, als eines, das Stephan in Stuttgart spielt. Zwischen Zürich und Stuttgart aber stelle er keine grossen Differenzen mehr fest. Ob nun Zürich noch zum Norden zählt, lässt er aber offen. Im Süden, so Eichers Beobachtung, käme kein Mensch auf die Idee, Konzert und Party miteinander zu vermischen. Dort herrsche eine gewisse Erwartungshaltung vor, die Leute möchten zuerst etwas für ihr Geld geboten erhalten. Eine Erklärung für dieses Nord-Süd-Gefälle in der Mentalität der Leute hat Stephan Eicher nicht. Bloss, dass das Leben im Süden grundsätzlich angenehmer sei, weil die Sonne dort mehr scheine. Und so hat er seinen momentan Wohnsitz in der Camargue.

der Eicher reist im Zuge
Er reiste im Taxi von Hamburg nach Palermo, flog mit dem Jet nach Kanada und reiste im Tourbus durch Europa. Doch am liebsten ist Stephan Eicher in der Bahn unterwegs. Hier werde er immer zum kleinen Jungen, der sich die Nase am Fenster platt drückt. Für die Aufnahmen von «Eldorado» hat er 36 000 Kilometer im Zug zurückgelegt. Zwischen Brüssel, Paris, Berlin, Korsika, dem wilden Süden Frankreichs im Boûche du Rhône und Zürich pendelte er hin und her. Die aktuelle Tournee basiert auf dem TGV-System. Für die Band und Techniker hat er einen Sonderzug gemietet. Somit kann man in Paris übernachten, obwohl das Konzert am Abend in Bordeaux stattfindet. Mit dem Auto würde man auf dieser Strecke ständig im Stau stehen. Ausserdem liest es sich im Auto weniger angenehm als im Zug.

Patent Ochsners Kopf Büne Huber bezeichnet Stephan Eicher als den belesensten Menschen, den er kennen würde. In einer älteren Version seiner Webseite hat Stephan regelmässig Lesetipps gegeben. 1992 hatte er Roger Köppel (wohl vergebens) Egon Fridells Kulturgeschichte der Neuzeit empfohlen. Auch wenn Stephan Eichers Reiseberichte Bände füllen würden, wird er (voraussichtlich) kein ein Buch darüber schreiben, weil dies zu viel Arbeit bedeutet. Schon die regelmässige Kolumne für das SBB-Bordmagazin Via zu schreiben, empfindet er als schöne Arbeit. Aber es wäre viel Arbeit. Da mache er lieber Musik, hier müsse er weniger arbeiten.

Dafür feilt er monatelang an einem Song.

 

weiterführende Links zum Thema:
Interview mit Stephan Eicher von Yves Baer zum Album «Eldorado»; 2007
Rezension von «Eldorado» aus dem Loop;, 2007


Stephan Eicher zum Tourabschluss der «Eldorado-Tour», gesehen im Juli 2009 bei «Live At Sunset» in Zürich. – Foto: Yves Baer





© 2007/2015 by VzfB | alle Rechte vorbehalten