zurück bei den Seelenkäfigen
20. September 2013
Nach einer Schreibblockade meldet sich Sting mit den Songs für ein Musical zurück und knüpft bei den frühen 90er-Jahren an. Bewertung * * * * 1/2


Nach Stings Auseinandersetzung mit John Dowlands Lautenmusik auf «Songs From The Labyrinth» (2006) und dem Winteralbum «If On A Winters’ Night» (2009), schafft er zehn Jahre nach seinem letzten Pop-Album «Sacred Love», das ihn als politischen Künstler neu platzierte, was U2 nicht geschafft haben: die Songs seines Musicals «The Last Ship» als reguläres Album zu veröffentlichen.

Überwindung einer Schreibblockade
Die erste Schreibblockade hatte Sting Ende der 80er-Jahre als seine Eltern starben. Daraus entstand das folkig-jazzige «The Soul Cages» (1991), sein unbeliebtestes Album. Vor zehn Jahren fragte sich Sting, was er als Songwriter noch zu sagen hätte. Und da er keine Antwort fand, nahm er in der Zeit des Dowland-Projekts in Basel Gesangsunterricht, tourte alleine, mit Symphonieorchester oder mit The Police, und kehrte nach Newcastle zurück. Die Geister seiner Kindheit sprachen zu ihm. War es eine klassische Schreibblockade, die Sting hatte? Im Booklet zu «The Last Ship» sagt er ja. In einem Interview meinte er: «Es gab für mich nicht wirklich etwas Neues zu sagen. Wenn man älter wird, dann gewinnt der innere Kritiker immer mehr an Einfluss und verdammt, was du da gerade machst. Und das kreative Kind in dir traut sich nichts mehr zu.»

Es waren schlussendlich die Erinnerungen an die Swan Hunters Shipyard in Wallsend, einer Werft, in der die grossen Schiffe gebaut wurden und wo sein Vater arbeitete. Äusserte sich Sting in den 80er-Jahren generell gegen die Politik von Maggie Thatcher und den Niedegang der englischen Industrie, beispielsweise im Song «We Work The Black Seam», beschreibt er nun den Niedergang der englischen Schiffsindustrie. Und seine eigene Herkunft. Fast schon prophetisch schrieb die NZZ am 22. Juli dieses Jahres in ihrer Konzertkritik «Rückblick ohne Ausblick» über das diesjährige Konzert beim Live At Sunset Festival im Dolderbad, dass Sting mit dem Song «All This Time» von «The Soul Cages» direkt bei seinem Musical «The Last Ship» anknüpfen würde. Dessen erste Single «Practical Arrangement» erschien just am Zürcher Konzertag . Doch Sting nahm keine neuen Songs in die Setliste seiner auslaufenden «Back To Bass Tour».

zurück im Seelenkäfig
Nahtlos knüpft «The Last Ship» an die Newcastle-Trilogie oder besser die Meer-Trilogie «Island Of Souls», «The Wild Wild Sea» und «The Soul Cages» auf «The Soul Cages» (1991) an. Englische Folkmusik trifft auf jazzige Rhythmen. Auch das Thema der Seelenkäfige, die Todesfalle für verlorene Arbeiterseelen, die krank und/oder süchtig sind, wird in «Language Of Birds» weitergeführt: «And across that sea is an island, a paradise we are told, wehere the toils of life are forgotten, and they call it the the Island of Souls» singt Sting, ehe er im Refrain die damalige Trilogie auflöst. Das Bild der Seeleninsel, dieser urenglischen Totensage, auf welche König Artus Leichnam gebracht wurde. Er kehrt erst von der Insel zurück, wenn Merlin aus dem Schlaf unter dem Dornbusch erwacht. Sting braucht für einmal keine Magie, sondern schliesst mit zwanzig Jahren Distanz mit dem Verlust seiner Eltern ab: «Your Old Man had a cage for his pigeons. But that's really where he kept his soul.»

Die Seele in einem Taubenkäfig? Hier kennt Sting seine Songs wohl nicht mehr genau genug, denn der Fischer hält im Song «The Soul Cages» die Seele in einem Langustenkäfig fest. Item – in «Language Of Birds» nennt Sting den Fischer nicht mehr beim Namen, sondern schaut aus der Vogelschau auf die Seelen, die in den Käfigen stecken. Und wie in seinem Song, ist es eigentlich der Fischer, der im Seelenkäfig steckt: «It was him who was trapped in the soul cage, son.» Nun ist es sogar der Vater, der dem Sohn den Tod erklärt. Über den zweiten Aspekt, den Alkoholismus, schweigt er sich erneut aus.

sting ship
So sehen Stings Kindheitserinnerungen aus. So düster ist seine 91er-Meerestrilogie, die auf «The Last Ship» ein Ende findet.

Dass Sting in den verschiedensten Musikstilen zuhause ist, weiss man nicht erst seit «Russians» (1985), «Desert Rose» (1999) oder den Dowland Interpretationen von 2006. Kaum jemand hätte 1993 gedacht, dass Dominic Millers Gitarrenintro von «Shape Of My Heart» zum Gitarrenintro der Nullerjahre werden würde, Sting als Mackie Messer oder als Erzähler von «Peter und der Wolf» ist schlichtwegs unglaublich. Und wer sein 1986er-Album «Bring On The Night» bereits damals liebte, stand auf Crossover, bevor die Red Hot Chili Peppers den Begriff richtig berühmt machten. Und so schwenkt denn auch «The Last Ship» zwischen Englischer Folkmusik, Broadway und dem alten, musikalischen Multikulti-Sting, der lediglich seine Rockgitarre vergessen hat.

Und wie bei allen seinen Alben, lässt Sting auch dieses Mal nichts anbrennen: Für die folkigen Songs spielte er mit Folkmusikern aus Northumberland zusammen: Becky und Rachel Unthank, die die Folkband The Unthanks bilden. Ferner auf die A Capella Band The Wilson Family. Und vor allem auf Kathryn Tickell, die bereits 1991 bei den Konzerten und auf «The Soul Cages» ihre Fiedel und Sackpfeife (eine Art Dudelsack aus der Region Northumberland) gespielt hatte.

AC Sting
«The Soul Cages» hatte vor 22 Jahren zwei Hitsingles, die fehlen auf «The Last Ship», auch wenn das jazzige «And Yet» der Kritikerliebling und zweite Single ist. Dafür ist das Album aus einem Guss, wunderschön musiziert und professionell eingesungen. Zudem wartet Sting mit einer unerwarteten Partnerschaft auf – wobei wer hätte vor vierzehn Jahren an Cheb Mamie gedacht? – Brian Johnson, Leadsänger von AC/DC. Sting und er kennen sich aus jungen Jahren. Allerdings sind Songs «Shipyard» und «Sky Hooks And Tartan Paint»nur auf der zweiten CD des sogenannten Super Deluxe Boxsets erhältlich. Auch wenn man einigen Songs bereits ihren Musicalcharakter anhört, ist «The Last Ship» Hörgenuss pur.

sting 2013
Ob es die Holzhütte vom Fischerpier ist, in welcher der Fischer Billy in einem Langustenkäfig festhält, in der Sting für das Singlecover von «Practical Arrangement» posiert?



sting the last ship

Tracklist:
The Last Ship
Dead Man's Boots
And Yet
August Winds
Language Of Birds
Practical Arrangement
The Night The Puglist Learned How To Dance
The Ballad Of The Great Eastern
What Have We Got?
I Love Her But She Loves Someone Else
So To Speak
The Last Ship (Reprise)

CD 2 Super Deluxe Box
Shipyard
It's Not The Same Moon
Hadaway
Jock The Singing Welder
Sky Hooks And Tartan Paint
Peggy's Song
Show Some Respect
Practical Arrangement - Full Original Duet







 

 

Links:
Die Webseite von Sting
Yves Baers Nacherzählung von Stings Meertrilogie: die Seelenkäfige



  Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk
 

alle Beiträge von Yves Baer über Sting:

Kaugummi KlassikSymphonicities (2010)
wenn der Winter schön wirdIf On A Winter's Night (2009)
Songs aus dem LabyrinthKonzertfotos vom 19. Februar 2007
Renaissance ModernSongs From The Labyrinth (2006)
dem Unbill der Welt mit Liebe begegnenSacred Love (2003)
ein Konzert trotz OsamaAll This Time (2001)
Die Kraft der WüstenroseBrand New Day (1999)
StachelfreiMercury Falling (1996)


 

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