Selfie, Gitarre und Höllentor
31. März 2017
«Love» von Züri West ist ein Meisterwerk. Gespräch darüber mit Kuno Lauener im Mirò-Garten des Zürcher Kunsthauses anhand dreier Klassiker von Picasso, Van Gogh und Rodin.
Bewertung: * * * * * 1/2


Treffpunkt Kunsthaus Zürich: Vier Krane tanzen vis-à-vis, hinter sechs Autospuren und zwei Fussgängerinseln mit Tram- und Bushaltestellen, ihr Schwerarbeiterballett für den Erweiterungsbau, eine Verdoppelung der Ausstellungsfläche entsteht auf der anderen Seite des Pfauen. Kuno ist beeindruckt ob der Grösse der Baustelle.

1. Bild, Selbstporträt: Vincent Van Gogh mit bandagiertem Ohr
«Das ist ein sehr krasses Bild und ich kann nicht nachvollziehen, wie und warum man sich ein Ohr abschneiden sollte. Van Gogh hat während Stunden unter grossen Schmerzen sein Spiegelbild porträtiert. Heute würde er wahrscheinlich ein Selfie machen.»

«Love ist das erste Album seit 5 Jahren. Wie fühlt es sich an, wieder mit einem neuen Album am Start zu sein?
Die Freude ist gross.

Ihr habt über ein rein digitales Album nachgedacht, nun gibt’s doch eine CD. Weshalb?
Weil wir das Gefühl haben, dass nach wie vor ein Markt dafür besteht. In ein paar Wochen wird «Love» auch auf Vinyl erscheinen. Dort sind dann auf Seite 4 die beiden Filmsongs enthalten.

Züri West haben ein neues LineUp. Was waren die Gründe für die Wechsel?
Der alte Bassist, Jüre Schmidhauser, hatte zwischen «Haubi Songs» und «Göteborg» einen schweren Gleitschirmunfall, weshalb er vor der Tour Forfait gab. Während der Göteborg-Tour hatten wir Ersatz. Zu Beginn der neuen Aufnahmen waren wir aber ohne Bassist. Gere Stäuble, unser Schlagzeuger, schlug Wolfgang Zwieauer vor. Tom Etter war 15 Jahre unser Gitarrist, mit der Zeit haben wir uns etwas auseinandergelebt. So stiess Manu Häfliger zu uns, er ist ein alter Freund von uns. Sie haben sich gut eingefügt.

kuno lauener züri west 2017 studio love


Habt Ihr für M4Music gespielt?

Nein. Aber am Anfang der Karriere haben wir den Prix Migros gewonnen. Das war gut für uns, auch wenn es uns in der Szene etwas Credibility gekostet hat, so nach dem Motto, ihr habt euch an einen Grosskonzern verkauft.

Sollen sich deiner Meinung nach Nachwuchsbands um solche Förderungen bemühen?
Für viele Bands ist das eine gute Sache. Soviel ich weiss, können Konzerne so Steuern sparen und erst noch etwas Gutes tun.

Was macht dir mehr Spass, eigene Songs zu schreiben, oder einen bestehenden ins Berndeutsche zu adaptieren?
Ich mache beides sehr gerne. Bei den Coverversionen kommt halt immer die Bürokratie dazu, man hat immer mit Anwälten zu tun, Amerikaner senden einem dicke Dossiers, was man darf und was nicht. So haben wir schon auf die Tantiemen verzichtet – aber Bob Dylan ist ja auch ein armer Schlucker, der noch nie einen Preis gewonnen hat.

Die Dylan-Adaption ist sensationell, auch die Reime passen.
Danke. Es hat mir auch Spass gemacht.

Das alternde Männergesicht als Quitte mit faltiger Haut und gutem Charakter zu beschreiben ist überraschend, aber stimmig. Wenn du eine Quitte bist, was bin dann ich?
(Lehnt sich zurück und betrachtet den Interviewer)

Du bist auch eine. Quitten sind vielseitig.

züri west 2017
Züri West Jahrgang 2017 im U3 Studio: Manuel Häfliger, Wolfgang Zwieauer, Kuno Lauener, Gert Stäuble und Küse Fehlmann

Bild 2, Pablo Picasso: Gitarre auf einem Tischchen (1915)
Das ist von Picasso. Ganz klar eine Gitarre. Ich würde sagen, es ist eine Les Paul, Jahrgang 1913. Ich erkenne noch einen Notenständer. Und der Rest ist ein Produkt seiner Inspiration.

Ist die Inspiration nur für dich, oder war sie auch schon für Picasso da?
Ich war einmal in Paris im Musée Picasso. Dort ist diese witzige Skulpturen aus einem Velosattel, die Gitarren und die Torros, das ist wirklich cool. Kunst inspiriert mich.

Auf dem Album, aber schon die letzten beiden Singles, waren wieder mehr Gitarren zu hören, alte Liebe neu entdeckt?
Nein, wir waren immer eine Gitarrenband. Wir versuchen jeweils herauszufinden, was für den Song am besten ist. Küse wechselt zwischen Klavier, Orgel und Gitarre. Bei dieser Platte haben wir als Band viel zusammengespielt, so ist das gekommen.

Du spielst auch Gitarre?
Nicht auf allen Songs, aber wenn Küse an den Tasten ist, greife ich in die Saiten, aber nicht so oft.

Bei «Maske» auf der «Haubi Songs»-Tour hast Du das sphärische Solo gespielt.
Das stimmt… Ich bin als Gitarrist unterschätzt.

Auf «Goalie» spielte nach Jahren Peter von Siebenthal mit. Wie kam es dazu?
Sabine Boss (die Regisseurin) hat um einen Song für den Film gebeten. Ich kenne sie schon lange, wir haben schon ihren ersten Film vertont. Und als ich erfahren habe, dass Sibi den Rest der Musik schreibt, haben Küse und ich ihn ins Studio eingeladen. Es hat grossen Spass gemacht und dazu geführt, dass Küse und Sibi weitere Demos eingespielt haben. Ein paar davon sind auf dem Album. Nicht in ihrer ursprünglichen Form. Wir haben sie als Band noch bearbeitet.

Beim «Goalie» war auch Oli Kuster, unser Keyboarder aus den Nullerjahren, dabei. Er ist ein super Pianist. Mittlerweile ist unsere Band fast wie ein grosses Treibhaus.

Gibt es Unterschiede beim Songwriting zwischen Film- und Albumsongs?
Beim Film bist du thematisch viel eingeschränkter, man fühlt sich einem fremden Stoff verpflichtet. Und doch soll der Song klar als von Züri West erkennbar sein. Die Herangehensweise ist nicht so spontan wie bei einem Albumsong. Für «Goalie» habe ich das Buch nochmals gelesen und es war sehr hilfreich, dass wir eine frühe Fassung des Filmes sehen konnten.

Bei «Lied für Lotti» war es noch schwieriger, da Dürrenmatt eine Art Nationalheld ist. Ich habe einiges von ihm gelesen, er ist ein ungeheuer spannender Typ. Mit Sabine Gisiger, die den Film machte, hatte ich zuvor viele gute Gespräche und sie hat mich extrem motiviert.

Wie war der Videodreh in Dürrenmatts Swimmingpool?
Zu Beginn etwas gfürchig, aber es hat Spass gemacht. Da war der Kakadu, mit dem ich umgehen musste, und dazu noch Playback mimen.

Frisch oder Dürrenmatt?
Eindeutig Dürrenmatt. Aber nicht, weil er aus Bern kommt.

züri west 2017 kursaal
Züri West rocken den Berner Kursaal für einen Filmdreh.
Foto: instagram/@zueriwestband


3. Bild, Auguste Rodin: Höllentor
Das ist imposant – und da ist doch der Denker in Miniaturform. Ich kann aber nicht sagen, ob man durch diese Türe eher hinein oder lieber hinaus möchte.

Wie ist das mit dem Alkoholfasten?
Das habe ich dummerweise in einem Interview gesagt, und nun fragen mich alle danach. Ich mache das jedes Jahr. Mein Rekord liegt bei neun Monaten.

Während der Schwangerschaft deiner Frau?

Nein, ganz regulär. Jetzt sind es auch schon wieder drei Monate. Es tut mir gut. Und während der Tour möchte ich einen klaren Kopf haben.

Im «Chliine Brueder» erzählst du eine Horrorgeschichte über Kinder, aus eigener Erfahrung?
Ich habe zwei Brüder und kenne das aus eigener Anschauung, da ich der Mittlere bin – nicht aber, dass ich meinem Bruder je etwas schlimmes antun wollte. Viele Kinder werden eifersüchtig, wenn ein Geschwister zur Welt kommt, und sie nicht mehr im Zentrum stehen.

Gesamtbild
«Bümpliz-Casablanca» ist in die Schweizer Lyrik-Anthologie aufgenommen worden. Siehst du dich als Dichter?
Nein, obwohl ich schon Gedichte geschrieben habe. Doch die sind privat. Ich sehe mich als Verslischmied.

Womit Kuno Lauener tiefstapelt – wenn auch sich Mani Matter als ebensolchen gesehen hat. Wie Matters Chansons sind viele von Laueners Songs gesungene Literatur. Deshalb wird bei Züri West mehr als bei anderen Bands ein neues Album auch am lyrischen Gehalt gemessen. Alle Songs auf «Love» sind Texte, die man ohne Musik lesen kann und sie funktionieren noch immer. Besonders die Adaption von Dylans «Don’t Think Twice (It’s All Right)» zu «Mir wei nid grüble (es isch so rächt)» ist grosse Kunst.

Das gebührenfinanzierte Radio bedient sich zur Beschreibung für «Love» ungefragt beim Loop und rezikliert die Metapher des Besuches der alten Freunde, womit 2008 an dieser Stelle «Haubi Songs» charakterisiert wurde. So richtig das Bild neun Jahre später wieder ist – erinnert Vieles, wie die Farbgebung des Covers und die melancholische Grundstimmung auf den ersten Blick an das formidable «Haubi Songs» – so falsch ist es zugleich: Zwar mag das Album streckenweise vertraut klingen, doch es sind keine Besucher, Züri West kommen nach Hause und haben dort eine Tür zu neuen Räumen geöffnet. «Love» klingt wie man es von Züri West erwartet. Da Laueners Songs ohne textliche Durchhänger sind, gehört es zu den drei besten Alben von Züri West.


Weder Donezk noch Gent: Bümpliz, Foto vom Videodreh zu Schatteboxe in den Hochhausschluchten in Berns Westen.



Tracklist:
Schatteboxe
Ggange ohni z'gah
Verchoufe ds Hus
Schachtar gäge Gent
Mir wei nid grüble (s'sich scho rächt)
Quitte
Semiramis
Chliine Brueder
Sunntig Mittag i de Sächzgerjahr
Schlunegger
Quick
Glück und Glas

 

 

 





Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

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