Für viele dürfte nach dem 31. Mai 1990, als Züri West «Lue Zersch Wohär Dass Dr Wind Wääit» veröffentlichten, der Erstkontakt mit Lou Reed erfolgt sein. 1972 schlug RCA Records ihren Künstlern Lou Reed und David Bowie eine Zusammenarbeit vor. Reed genoss Kultstatus dank seiner Alben mit den Velvet Underground, verkaufte wenig und sein erstes Soloalbum war – unverständlich – gar ein Flop. Bowie war ein grosser Fan der Band, coverte live «White Light/White Heat» und «I’m Waiting for the Man». Und Bowie war bereits ein Weltstar. Lou stimmte der Zusammenarbeit zu und flog nach London. Bowie und sein Gitarrist Mick Ronson produzierten «Transformer». Am Beginn der Zusammenarbeit stand ein gemeinsames Konzert von Reed mit Bowies Spiders From The Mars am 8. Juli 1972 in der Royal Festival Hall.
«Andy’s Chest» (1969) und «Satellite of Love» (1970) nahmen die Velvets auf, «New York Telephone Conversation» and «Goodnight Ladies» spielte die Band während ihres neunwöchigen Engagements im New Yorker Nachtclub Max’s Kansas City, alle Songs ohne sie zu veröffentlichen, weshalb sie Reed und Bowie nochmals neu einspielten. Trotz seines Ausstieges bei den Velvets, einst Hausband in Andy Warhols Factory, verkehrte Reed weiter in den Kreisen seines ehemaligen Mentors. «Andy's Chest» ist ein Tribut an Warhol und wurde durch das Attentat der radikalen Feministin Valerie Solanas auf Warhol im Juni 1968 inspiriert, das dieser nur durch ein Wunder überlebte. Auch zu «Vicious» gab Warhol die Inspiration: Er bat Reed, etwas Bösartiges zu schreiben. «What kind of vicious? », fragte Lou. «Oh, you know, vicious like I hit you with a flower», erinnerte sich Lou in einem Interview. Reed nahm Warhol beim Wort, man hört den Spott in seiner Stimme, wenn er über den Schlag mit der Blume singt. Das schreiende Gitarrensolo Mick Rocks kontrastiert den Gesang.
Transformtion in den 90er-Jahren
Wegen künstlerischen Differenzen und seiner Drogensucht gelang es Lou Reed nicht, richtig im Mainstream anzukommen. Dass er zwei Jahrzehnte später zu einer Konstante der breiten Rockmusik wurde, liegt an der Zeitlosigkeit von «Transformer». Während der «Zoo-TV-Tour» 1992 sangen U2 «Satellite of Love» in einem Videoduett mit Lou Reed, während eines Teils dieser Tour waren die wiedervereinigten Velvet Underground Vorgruppe von U2. Dass U2 «Satellite Of Love» in ihrer Show, in der sie das Satellitenfernsehen hinterfragten, spielten, bot sich an. Reed schrieb den Song 1970, mitten im Wettkampf zwischen den USA und der UdSSR um die Eroberung des Weltraumes, Satellitenstarts waren damals TV-Ereignisse. Der Song handelt von einem Mann, der einen solchen Start am TV schaut und sich in seiner Eifersucht über seine untreue Freundin suhlt. «Satellite Of Love» war ursprünglich als Single für das Velvet-Album «Loaded» vorgesehen, wurde aber nicht berücksichtigt, weshalb Reed den Song neu einspielte. Die Backvocals stammen von David Bowie. Reed anerkannte später bewundernd, dass Bowie einen einzigartigen melodiösen Sinn habe und dass er selbst die höchsten Töne singen konnte.

David Bowie mit Iggy Pop und Lou Reed.
Mit dem Film «Trainspotting» wurde 1996 «Perfect Day» neu entdeckt. Reed schrieb den Song über einen Tag im Central Park mit seiner Verlobten Bettye Kronstadt. «Die Vision eines perfekten Tages dieses Typen war das Mädchen, Sangria, der Park und dann nach Hause zu gehen. (…) Ich meinte, was ich sagte», stellte Reed in einem Interview klar. Man solle nicht zu viel, vor allem keine Romantisierung von Drogenmissbrauch in den Song interpretieren. Vielen fällt dies schwer angesichts Reeds Vita und seiner oft über die Schmerzgrenze gehende explizite Lyrik und harte Rockmusik, doch Lou Reed hatte seine zärtliche und romantische Ader.
New York-Bümpliz
In Kuno Laueners Adaption von «Walk On The Wild Side» sind sie alle da, die Freaks aus Warhols Factory. Reed verwendete Anekdoten über die damaligen Figuren, die Transvestiten Holly Woodlawn und Candy Darling (letztere war Subjekt mehrerer Songs von Reed, Sugar Plum Fairy war eine Rolle in Warhols Film «My Hustler», gespielt von Joe Campbell. Aber auch der Begriff für die Drogendealer in der Factory. Little Joe war der Übername von Joe Dallesandro aus Warhols Film «Flesh», Jackie war die Schauspielerin Jackie Curtiss. Die Moralwächter der Zensurbehörden erkannten weder in den USA noch in Grossbritannien die eindeutig sexuellen Ausdrücke (But she never lost her head/ even when she was giving head) und so erreichte «Walk On The Wild Side» in beiden Ländern die Top 20. Unverkennbare Merkmale des Songs sind Herbie Flowers Bassglissando und die Backvocals (And the colored girls go: « Doo do doo …»)
Wie bei Reed sind die wenigsten Figuren aus der Stadt: Lena aus Stuckishaus (einem Ortsteil von Bremgarten bei Bern) kommt in die Prostitution, Hans aus Stans wird von seinem One-Night-Stand-Date ausgeraubt, Fritz steht auf den Schreiner von Halse Rüegsau – und sieht mit dem Schlitz im Kleid femininer aus als die Monroe, Gere steht auf ein junges Ding aus dem Thurgau und Annette ist drogensüchtig.
«Transformer» wurde auf dem Höhepunkt des Glamrocks veröffentlicht und erreichte in Australien, Grossbritannien, Holland in den US-Billboard-Charts die Top 20. Es ist falsch, Reeds Solowerk nur auf «Transformer» zu reduzieren. Ein Chartstürmer war er aber nie. Bei Lauener fehlen die bunten Mädchen. Aber vor 30 Jahren waren Schwarze in der Schweiz selten und es war kaum vorstellbar, seine Produkte wie Milch oder Handyabos mit ihnen als Werbestars an die Eidgenossen zu verkaufen. Das Album «Elvis» erreichte Rang 2 und festigte Züri West Ruf als solide Rockband, «Lue Zersch Wohär Dass Dr Wind Wääit» wurde oft am Radio, v.a. DRS 3, gespielt. Nach Lou Reeds Tod erreichte «Walk On The Wild Side» 2013, längst Klassiker, in neun Ländern die Charts, in der Schweiz den 39. Platz.

Die Single Lue Zersch Wohär De Wind Wääit von Züri West.
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Erschien am 27. Mai in der Ausgabe 5/2022
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