die Füsse in den Wolken
1. Juni 2007
Als die Beatles in die Krise schlitterten und daran zerbrachen, gingen sie in einem kreativen Feuerwerk unter. Inmitten seines krisengeschüttelten Privatlebens veröffentlicht Paul McCartney das Album «Memory Almost Full», das ähnlich bunt wie das Späterk der Fab Four ist. Und für einmal nimmt McCartney keine Rücksicht auf Stilbrüche und allfällige Peinlichkeiten.
Bewertung: * * * * *


Am 1. Juni 1967 erschien «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» von den Beatles. Es war die erste Platte, die eindeutig Paul McCarteys Handschrift trug. Im Vergleich zur damaligen Popmusik war «Sgt. Pepper» mehr als nur ein revolutionäres Album. Was die Welt damals zu hören bekam, war in der Art noch nie zu hören gewesen. Auf den Tag 40 Jahre danach veröffentlicht Paul McCartney sein jüngstes Album «Memory Almost Full». Wer ein zweites «Sgt. Pepper» erwartet, wird ebenso enttäuscht werden wie diejenigen, welche bloss ein weiteres nettes Album mit «Silly Love Songs» befürchtet haben. Denn «Memory Almost Full» ist ein kreatives Feuerwerk witziger Ideen, wie es McCartney zuletzt vor vier Jahrzehnten mit den divergierenden Beatles gezündet hatte.

das Innere nach aussen gekehrt
Seine spannendste Musik hatte er damals geschrieben, die zwischen dem Hardrock-Song «Helter Skelter», der Ballade «Hey Jude», dem kammermusikalischen «She’s Leaving Home» und dem folkigen «Mothers Nature Son» hin und her pendelte. Dieselbe Spannweite öffnet sich beim Hören von «Memory Almost Full»: Bittersüsse an «Eleanor Rigby» erinnernde Streicher eröffnen «Only Mama Knows», bevor sie von einer Hardrockgitarre geerdet werden, um am Ende den Song wieder in höhere Sphären entschwinden zu lassen. Und in «Mr. Bellamy» spannt McCartney den musikalischen Bogen mit einem galoppierendem Klavier, Gitarrenseufzern und einer wirbelnden Klarinette aus dem Jazz-Zeitalter zu den Ambient-Klängen seines 98er-Album «Rushes». Es sind dies die genialen Momente auf dem Album.

Als Laienpsychologe ist man versucht zu behaupten, dass sowohl die bunten letzten Beatles-Alben wie die neue Platte McCartneys das hörbare Bild aufgewühlter Seelen sind. Vor vierzig Jahren zerbrachen die Beatles unter teilweise wüsten Streitereien. Gleichzeitig heirateten zumindest John und Paul die Frauen ihres Lebens. Die innere Spannung zwischen den Konflikten bei der Arbeit und dem privaten Glück waren sicher Grund für einige der besten Songs John Lennons, George Harrisons und Paul McCartneys. Vier Jahrzehnte später scheint letzterer dieselben Gefühlen mit umgekehrten Vorzeichen nochmals zu durchleben: Dem Glück, mit einer guten Tourband ausverkaufte Tourneen zu bestreiten, drei sehr guten Popalben und mit «Ecce Cor Meum», einem Oratorium, das eben erst bei den Brit Awards als bestes Klassikalbum des letzten Jahres ausgezeichnet wurde, stehen die privaten Katastrophen vom Krebstod seiner ersten Frau Linda und der noch immer andauernde Scheidungskrieg mit seiner zweiten Frau Heather Mills gegenüber.

Tod als Ausganspunkt
So erstaunt nicht, dass Paul McCartney «Memory Almost Full» als sehr persönliches Album beschreibt. In vielen der Songs setzt er sich ohne dabei sentimental zu werden mit seiner Jugend und den gemeinsamen Anfängen mit John Lennon auseinander. In der Rocknummer «Ever Present Past» hofft er, dass es noch nicht zu spät ist, um über die viel zu schnell vergangene Zeit nachzudenken. In der Gänsehaut erzugenden Ballade «You Tell Me», lässt sich der greise Erzähler von seiner Partnerin versichern, dass seine Erinnerungen real sind. Im Ohrwurm «Vintage Close» beschreibt er, dass man die alten Kleider ruhig ausziehen könne. Man sollte nicht an der Vergangenheit festklammern, sondern den Schritt in die Zukunft wagen. Und dort wartet der Tod. Paul McCartney hat ganz klare Vorstellungen über seinen Todestag: Er wünscht sich in «End Of The End», dass die Leute glücklich sind, seine Songs spielen und sich Anektoden aus seinem Leben erzählen. Und obwohl er ein gutes Leben hatte, wäre das Ende der Enden nur der Ausgangspunk zu einer Reise an einen viel besseren Ort.


mccartneystuhl



In «Feet In The Clouds» erzählt und Paul, dass er in der Schule als Träumer den Kopf in den Wolken und ihn der Lehrer deswegen getadelt hatte. Doch statt stromlinienförmig zu werden, löste er das Problem auf seine Weise und ging fortan kopfüber, mit den Füssen in den Wolken. Im Mittelteil des Songs, welcher den Wechsel symbolisiert, verzerrt er die Phrase «find it very very hard» dermassen und multipliziert seine Stimme in einen Chor, dass man unweigerlich an den Opéra-Comique-Part in der «Bohemian Rhapsody» von Queen denken muss, allerdings ist McCartneys Instrumentalbegleitung weniger bombastisch als die von Queen. Seine helle Freude hätte Freddie Mercury hingegen an der zweiten Bombastnummer «House Of Wax» gehabt. Immerhin klingt McCartney mit seinem Ausflug in die 80er-Jahre moderner als die meisten Retrorockbands, die sich auf frühen 70er-Jahre konzentrieren.

die zurückgewiesene Hälfte
Die Aufnahmen für das Album begannen im Herbst 2003 und wurden für die Arbeiten mit Nigel Goodrich, der das 2005 erschienene Album «Chaos And Creation In The Backyard» produziert hatte, unterbrochen, da dieser bloss die Hälfte der Songs verwenden wollte. Vor einem Jahr war Paul McCartney mit den anderen ins Studio zurückgekehrt. Er schätzt, dass noch ungefähr die Hälfte des Materials die unverändeten Fassungen von 2003 sind. Mutlosigkeit muss sich der Ex-Beatle nicht vorwerfen lassen, denn er hat für einmal auch die möglichen peinlichen Momente auf der Platte stehen lassen. Seine Stimme ist längst nicht mehr die kräftigste und so wäre in «Nod Your Head» eine Verdoppelung der Stimme oder ein anderer Sänger ebenso vorteilhafter gewesen wie ein Kunstpfeifer bei «Dance Tonight» und «End Of The End». Nachlässigkeiten, die Paul McCartney vor der Beatles-Anthology und seiner Versöhnung mit seiner Vergangenheit nie passiert wären. Und so finden sich auf «Memory Almost Full» einige Songs mit dem Potenzial für Klassiker, während man bei den anderen Nigel Goodrichs Vorbehalte zu verstehen beginnt.

Das Album ist ein bewusster Blick zurück in alte Tage, ohne dabei alt zu klingen.




Tracklist:
Dance Tonight
Ever Present Past
See Your Sunshine
Only Mama Knows
You Tell Me
Mr. Bellamy
Gratitude
VIntage Clothes
That Was Me
Feet In The Clouds
House Of Wax
The End Of The End
Nod Your Head

CD2 Limited Edition
In Private
Why So Blue
222

DVD Special Edition
Live At The Ballroom, London, 7. Juni 2007

Drive My Car
Only Mama Knows
Dance Tonight
House Of Wax
Nod Your Head

Video Clips:
Dance Tonight
Ever Present Past


Singles 2007:
Dance Tonight
dancetonight

Shaped 10"-Vinyl:
Danced Tonight


Ever Present Past
everpresentpast

CD-Single
Ever Present Past
Only Mama Knows (Live)
Dance Tonight (Live)

enthält Pauls Möbius Streifen

7"-Single
Ever Present Past
House Of Wax (Live)

iTunes EP:
Ever Present Past
Only Mama Knows (Live)
That Was Me (Live)

Promo 2007:
Dance Tonight
dancetonightpromo

Dance Tonight












 
 

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