sperriger Höhepunkt
1. September 1986
«Press To Play» ist das Überführungsalbum in McCartneys Karriere vom Hit-Schmied zur reifen Rocklegende. Als Zeitzeugnis von 1986 verbindet es gekonnt Pauls musikalische Vielfalt mit der fortschreitenden Computerisierung der 80er-Jahre. Trotz perfekter Produktion enttäuschten vor allem in den USA die Verkäufe.
Bewertung: * * * * * 1/2


Links zu den Kapiteln
Computerisierung vs Handwerk
zu Beginn eigenes Studio
die Produzentenfrage
Selbstzweifel und ausufernde Aufnahmen
prominente Schützenhilfe
die Videoclips
das Cover und die verschiedenen Formate
Rezeption und Statistik


Bei der Tour de France sind Überführungsetappen die welligen Teilstücke zwischen den Sprint- und Bergetappen, die ordentlich Spannung bieten und besser sind als ihr Ruf, denn je nach Terrain ist die Etappe für die Sprinter oder die eine Ausreissergruppe geeignet. Mit «Press To Play» verhält es sich gleich, es ist das Überführungsalbum in McCartneys Karriere vom Hit-Schmied zur reifen Rocklegende. Als Zeitzeugnis von 1986 verbindet es gekonnt Pauls musikalische Vielfalt mit der fortschreitenden Computerisierung der 80er-Jahre. «Ich hatte ein neues Studio, einen neuen Produzenten und einen neuen Co-Autoren, also wollte ich mal etwas anderes machen», fasst Paul McCartney die Ausgangslage zu «Press To Play» zusammen. «Wir gingen einfach etwas weiter». Damals wusste man noch nicht, dass Paul den richtigen Weg eingeschlagen hatte, zu unterschiedlich waren die Reaktionen auf das Album. Diese waren so widersprüchlich wie eigentlich die gesamten 1980er-Jahre für Paul gewesen sind. «Press To Play» ist eigentlich ein Spiegel dieses Jahrzehnts.

Vieles von McCartneys heutigem Image ist auf dieses Jahrzehnt zurückzuführen. Drei Vorwürfe erhebt man immer wieder gegenüber Paul:

• … dass er kein Rockmusiker mehr sei, sondern nur noch schöne, aber belanglose Popsongs schreibe.
• … dass er seinen Zenit schon längst überschritten habe und nur von seinem Ruhm zehre.
• … dass er ohne Partner nichts vernünftiges zustande bringe.

Alle drei Punkte stimmen nicht oder sind nur Teile der komplexen Persönlichkeit McCartneys. Um «Press To Play» zu verstehen und richtig einordnen zu können, lohnt es sich, zu Beginn einen Exkurs über diese drei Hauptkritikpunkte zu nehmen.

Computerisierung vs Handwerk
Falsch ist, dass Paul kein Rockmusiker sei, dies können heute Hundertausende Konzertbesucher pro Jahr bestätigen. Richtig ist, dass auf seinen zwischen 1980 und 1993 erschienenen Alben, also von «McCartney II» bis «Off The Ground», die Rocksongs spärlich gesät sind und er überwiegend Popsongs aufgenommen hat. Hier reicht die Bandbreite jedoch von elektronischen Experimenten wie «Darkroom» über Folksongs wie «Hope Of Deliverance» zu den Popballaden wie «Once Upon A Long Ago». Ordentlich krachen liess es Paul in diesen Jahren mit «Spies Like Us», «Move Over Busker» oder «We Got Married». Diese musikalische Bandbreite hatte Paul schon immer und sollte in den 1990er-Jahren noch mit Techno und klassischer Musik erweitert werden.

Falsch ist auch der zweite Vorwurf, dass McCartney in den 80er-Jahren seinen Zenit überschritten hatte. Seine kommerziell erfolgreichsten Songs sind «She Loves You» und «Hey Jude» mit den Beatles, «Mull Of Kintyre» mit den Wings vor allem aber «Ebony And Ivory» von 1982, «Say Say Say» von 1983 und «Hope Of Deliverance» von 1993. Sie alle sind mehrfache Millionenseller. Es stimmt aber, dass Pauls Alben regelmässig in den oberen Chartregionen anzutreffen sind, seine Singlehits aber seit damals weniger wurden. Dies liegt daran, dass die Jugendgenerationen ab den 1980 ihren eigenen Stars wie Madonna, Eminem oder Miley Cirus den Vorzug geben und diese auch von Marketingabteilungen der Plattenfirmen gepusht werden. Und so überrascht es nicht, dass Paul ausgerechnet mit «FourFiveSeconds»
, einer Kollaboration mit Kanye West und Rihanna nach 29 Jahren wieder in den Topten der US-Singlecharts platzieren konnte.

paul mccartney studio 1986 pretty little head
Paul bei den ersten Aufnahmen in seinem eigenen Studio in einer alten Windmühle in Sussex.. – Foto: Linda McCartney


Ebenfalls falsch ist der dritte Vorwurf. Er ist aber insofern nur so falsch wie er auch wieder richtig ist. Es stimmt, dass John Lennon oder Elvis Costello, aber auch Produzenten wie George Martin und Nigel Godrich Einfluss auf Paul nehmen konnten und so seine Musik zu etwas ausserordentlichen machten. Es sind aber mitunter die bedeutendsten Songs von McCartney, die er ohne Partner geschrieben hat. Zu nennen wären «Maybe I’m Amazed», «Ebony And Ivory», aber auch «Yesterday», «Hey Jude» und «Let It Be».


Dass die 80er-Jahre musikalisch ein schwieriges Jahrzehnt waren, liegt mitunter am technologischen Fortschritt: die Computerisierung der Musik hatte sich weitgehend durchgesetzt. Die Digitalisierung mit dem Synthesizer hat die Klangbilder nachhaltig verändert. Wer nicht völlig out sein wollte, musste sich mit der Technik arrangieren. Bei vielen der Musiker aus den 60er- und 70er-Jahren wirken ihre 80er-Jahre Alben spätestens aus heutiger Sicht eher hilfos. Stars wie die Rolling Stones und Eric Clapton klangen zwar modern, hatten aber keine Cerdibility, da sie bessere Handwerker als Computerprogrammierer waren. Nicht so aber Paul McCartney, der zwar auch mit dem Zeitgeist mitgegangen war , sich dabei aber treu geblieben ist. Und genau hierfür stehen Pauls beiden Alben «Press To Play» von 1986 und «Flowers In The Dirt» von 1989, das als eines der besten in McCartneys Katalog gilt.

zu Beginn ein eigenes Studio
Um in London in einem Studio aufzunehmen, sei es bei EMI an der Abbey Road, in George Martins AIR Studios oder in seinem Replica Studio im Keller des MPL-Gebäudes am Soho Square, hatte Paul von Rye in Sussex eine Autofahrt von zwei Stunden pro Weg zurückzulegen. Mit der Zeit wurde ihm das zu viel. Zudem kosteten die Studios Miete und waren nicht immer verfügbar. Als sich die Gelegenheit bot, in der Nähe seiner Farm eine Windmühle zu kaufen, packte er die Gelegenheit beim Schopf und richtete sich das Hog Hill Studio ein. Im April 1985 begann Paul mit den ersten Aufnahmen darin. «Das neue Studio war grossartig – das Equipment State of the Art. Es hat Fenster, so kannst du während dem Spielen hinaus schauen, was ziemlich ungewöhnlich ist, und es gibt nicht viele Studios, von denen du aufs Meer siehst», beschrieb Hugh Padgham Pauls Studio.

Dennoch schien Mitte der 1980er-Jahre die Leichtigkeit von Paul McCartney gewichen zu sein. Startete er als der erfolgreichste Musiker der 1970er-Jahre ins neue Jahrzehnt, hatte er möglicherweise als Vierzigjähriger seine Midlife-crisis. Und wenn nicht, so erlebte er eine Serie von Tiefschlägen, die ihn verunsichert haben. Bei der Einreise nach Japan wurde Paul im Januar 1980 wegen Marihuana im Gepäck verhaftet, im Dezember selben Jahres wurde John Lennon ermordet. 1981 löste sich seine Band Wings in Luft auf. 1983 reichte Bettina Hübers eine Vaterschaftsklage ein, die nach einer negativen Genprobe Pauls abgewiesen wurde. 1984 fiel McCartneys Spielfilm «Give My Regards To Broad Street» bei Kritikern und Publikum gleichermassen durch. Zu allem Überdruss kaufte sich Michael Jackson 1985 Northern Songs und damit Rechte an den Beatlessongs. Die einen sahen Paul McCartneys langsamen, aber stetigen Abstieg voraus, andere waren überzeugt, dass der sonst gut laufende Motor nach über zwanzig Jahren im Musikgeschäft bloss etwas in Stottern geraten war.

Man war also gespannt, wie Paul reagieren würde. Seine Antwort mit dem Album «Press To Play» war gut und viel besser, als die teileweise lauen Kritiken und die enttäuschenden Verkaufszahlen aussagen.

die Produzentenfrage
Dass «Press To Play» zwar gut, aber kein Meisterwerk wurde, liegt daran, dass persönliche Reibereien, die weit weniger schlimm waren als diejenigen beim auseinanderbrechenden Beatles, die Aufnahmen erschwerten. So fürhte das Engagement von Hugh Padgham als Produzenten zu unnötigen Problemen, die mit besserer Kommunikation hätte vermieden werden können. An der Buddy Holly Week 1984 fragte George Martin Eric Stewart an, ob er Lust hätte, die nächsten Aufnahmen von Paul zu produzieren: «Ich denke, du solltest Paul bei seinem nächsten Album unterstützen. Ich habe anderes zu tun. Und ich brauche eine Pause (von Paul). Und Paul braucht eine Pause (von mir).» George Martin hatte die Alben «Tug Of War», «Pipes Of Peace» und den Soundtrack von «Give My Regards To Broad Street» produziert. 10cc Gitarrist Eric Stewart wirkte auf den Alben bei einigen Songs mit. Stewart entgegnete, dass er das schon tun würde, aber noch nicht von Paul kontaktiert worden war. «Er fragte mich, ‹wärst du daran interessiert?› und ich sagte ja», erinnert sich Eric Stewart Howard Sounes gegenüber.

mccartney press video 1986 london tube
Noch 1969, als er in London lebte, fuhr Paul mit der Londoner U-Bahn. Im Videoclip zu «Press» spielt er augenzwinkernd auf diese Tatsache an.. – Foto: Screenshot


Fortan betrachtete sich Stewart als Produzent des nächsten Albums und fuhr im März 1985 auf Einladung von Paul zu ihm nach Sussex für erste Aufnahmen. Dieser jedoch suchte nach einem Produzenten, der mit ihm an einem zeitgemässen Sound arbeiten würde. Nach den klassisch produzierten Alben und den Heimversuchen auf dem Synthesizer auf «McCartney 2» wollte Paul sich ernsthaft mit der Computerisierung beschäftigen. Man kann das Gespräch zwischen Stewart und Martin denn auch so auffassen, dass sich Paul, wie er es schon oft getan hat und noch mehr tun würde, bei George Martin nach einem Produzenten erkundigt hatte, und Martin mit Stewart bloss einmal die Lage sondiert hatte. Denn engagiert wurde der damals 30-jährige Hugh Padgham, der XTC, The Police, Genesis und vor allem Phil Collins produziert hatte und dabei den gated reverb sound, bei dem das Schlagzeug dominant wirkt, entwickelt hatte.

Hugh Padgham erinnerte sich 2008 in einem Interview mit dem McCartney-Biografen Peter Ames Carlin, wie er engagiert wurde. Er war mit einem Bekannten zusammengesessen, als am Radio «Ebony And Ivory» gespielt wurde. «Das ist ein Scheiss-Song» soll er gesagt haben. Padghams Bekannter war mit der Assistentin von Paul McCartney verheiratet und der erzählte es ihr weiter. Obwohl sie Paul nichts von Padghams Urteil erzählt hatte, wusste dieser, dass der Produzent der Ansicht war, dass Paul mehr rocken sollte, wie Padgham gegenüber dem Pauls Fun Club Magazin Club Sandwich erzählt hatte. Paul, auf der Suche nach etwas Neuem, liess den Produzenten zu einer Sitzung einladen, an der sie sich miteinander austauschten. Paul gab ihm eine Kassette mit den Aufnahmen, die er mit Eric Stewart eingespielt hatte. Padgham erkannte das Potenzial der Songs, auch wenn er den letzten Effort darauf noch nicht gehört hatte: «Ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei ihnen beiden (Paul und Eric) nichts Phantastisches herausgekommen war», erzählte er Ames Carlin.

Padgham lebte 1985 und 1986 teilweise in Sussex, zunächst im Gästeberich von McCartneys Farm, später mietete er ein Zimmer. Zu Beginn der gemeinsamen Aufnahmen glaubte Eric Stewart noch, Produzent zu sein und war nicht sehr erfreut über das Mitwirken Padghams. Doch er tröstete sich damit, dass Paul wohl mit verschiedenen Produzenten testen würde. Und so fassten es beide als Wettbewerb um den Job auf.

Selbstzweifel und ausufernde Aufnahmen
Sowohl Eric Stewart, Hugh Padgham als auch später Hamish Stuart berichten, dass die Aufnahmen mit Paul McCartney in den Jahren 1985 bis 1992 vor allem aus einem Grund drohten auszuufern und im Widerspruch zu seinem Image als Prefektionist stehen, Pauls Cannabiskonsum. Zwischen halb elf und elf Uhr vormittags begannen die Aufnahmen und sollten bis zum Abendessen dauern. Oft kam Paul ins Studio und begann die immergleichen Geschichten aus den Beatlestagen zu erzählen. Gemäss Padgham trieb ihn vorallem seine öffentliche Wahrnehmung im Vergleich zu John Lennon um. Meistens aber sprach er über das TV-Programm des Vorabends. «Es schien als ob er die ganze Nacht über Fernsehen geschaut hätte, er war eine wandelne Version der Radio Times», erinnert sich Hugh Padgham. «Ich nehme an, dass er tatsächlich um sechs oder sieben Uhr nach Hause ging und bis ein Uhr morgens mit einer Tüte und einem Drink Fernseh geschaut hatte. Er kam am Morgen ins Studio und fragte: ‹Hast du gestern dies gesehen?» Diese Monologe konnten bis zum Mittagessen dauern, dann zog sich Paul in sein Büro im oberen Stockwerk der Windmühle zurück und rauchte einen weiteren Joint.

Zum Charaktertest für Stewart und Padgham wurde jedoch, der damals unter Stimmungsschwankungen und Selbstzweifeln litt. Eines Tages bemerkte Eric Stewart, dass eine Gesang von Paul nicht gut gewesen wäre. Paul wollte Padghams Meinung dazu wissen.
«Es ist in Ordnung, aber ich bin nur der Techniker, Eric ist der Musiker», soll Padgham geantwortet haben.
«Aber was denkst du?», wollte Paul wissen.
«Ich denke, dass es noch nicht gut genug ist», antwortete Padgham und setzte unglücklicherweise nach, dass man den Song nochmals überarbeiten oder umschreiben solle. Diese offene Aussage erwischte Paul auf dem falschen Fuss und er entgegnete: «Hugh, wann hast du deinen letzten Nummer 1 geschrieben?».
Howard Sounes gegenüber gibt Padgham zu: «Das war ein Tritt in Eier.» Doch er biss auf die Zähne und arbeitete weiter. Zumal die Aufnahmen mehrmals unterbrochen wurden, da Padgham noch andere Musiker produzierte.

Eric Stewart hingegen sagt rückblickend, dass sie diesen Vorfall nicht nachträglich besprochen hätten, sondern einfach weitergemacht hatten. Und nach einer spannungsgeladenen Woche hätte er genug und meldete sich von den Aufnahmen ab. Heute aber ist er der Überzeugung, dass er seine Kritik nochmals hätte vorbringen sollen anstatt sich von Pauls rüder Reaktion beeinflussen zu lassen, denn Paul hatte Selbstzweifel und suchte deswegen den Austausch mit Partnern und hätte am Ende die entsprechende Stelle wohl überarbeitet, wenn auch schmollend. Zumal McCartney Hugh Padgham engagiert hatte, weil dieser nicht immer diesselbe Meinung zu seiner Musik hatte. Vielleicht war ja Paul Padghams Urteil über «Ebony And Ivory» dennoch zu Ohren gekommen.

Die Reibereien können nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle das beste für «Press To Play» wollten. «Als wir mit den Arbeiten an der Platte begannen, kam Hugh eines Tages ins Studio und sagte, er hätte einen Traum gehabt. Er träumte, dass er eines morgens erwacht wäre und realisiert hätte, dass er dieses wirklich schlechte, sirupige Album mit mir gemacht hätte, ein Album, das er hasste und seine gesamte Karriere ruiniert hätte. Wir haben dies als Warnung genommen», erzählte Paul 1986 der New York Times. Beide, Eric Stewart wie Hugh Padgham, erinnern sich eher an die ausufernden Aufnahmesessions, die oft ergebnislos geendet hatten.

Das war aber nicht immer so gewesen. Als Paul Eric Stewart im März 1985 zu sich einlud, ging er davon aus, dass dieser einen Plan hätte und schon ein paar Songs ausgearbeitet hätte. Doch Paul wollte ganz von vorne beginnen. Dabei wendete er zum ersten Mal seit den sechziger Jahren wieder die Songwrting Methode an, die er mit John Lennon praktiziert hatte. Eric Stewart und er sassen sich gegenüber und spielten miteinander Gitarre. Sie konnten dabei zum Fenster hinausschauen, es war ein kalter Wintertag mit Schnee und sie beobachteten eine Elster auf Futtersuche. «Es ist so schön draussen, die Sonne scheint», sagte Eric Stewart. «Das ist grossartig, schreib das auf» forderte Paul und begann zu singen «It's beautiful outside. A magpie looks for food». Sie hatten den Text, aus dem «Footprints» werden sollte, innerhalb von Minuten geschrieben. «Eric und ich verwandelten die Elster, die in der dritten Strophe nochmals auftaucht, in einen alten ann, der draussen ist und Feuerholz sucht, wie die Figur in ‹Good King Wencelas›. Der Song beschreibt, was sein könnte, die Frau, die ihn verlasssen hat, den Weg, den er nicht genommen hat.

mccartney 1986 land rover man in the window
Paul blickt im «Press To Play»-Songbook aus seinem Land Rover..
– Foto: Linda McCartney.


Die ersten Aufnahmen in Pauls neuem Studio waren noch stark rock-orientiert, als ganz nach Padghams Maxime, dass Paul wieder mehr rocken sollte. Neben Paul spielten lediglich noch Eric Stewart an der Gitarre und der Schlagzeuger Jerry Marotta, der in Peter Gabriels Band war. Das Trio spielte 13 Songs ein, die bis auf einer auch alle erschienen: «Talk More Talk», «Move Over Busker», «Good Times Coming», «Feel The Sun», «It’s Not True», «Press», «However Absurd», «Stranglehold», «Footprints«, «Write Away», «Tough On A Tightrope», «Pretty Little Head» und die bis heute unveröffentlichte Ballade «Yvonne’s The One». Bereits im Juli 1985 wurde das Album erstmals angekündigt, was einem ziemlichen Schnellschuss gleichgekommen wäre. Aus verschiedenen Gründen wurde die Veröffentlichung von Pauls Plattenfirma in den Februar 1986 verschoben, u.a. weil er in den USA wieder von Columbia zurück zur EMI Tochter Capitol zurückkehrte.

prominente Schützenhilfe
Paul nutzte die Zeit im Herbst 1985, um weiter mit Hugh Padgham an den Songs zu feilen. Dabei erhielt er prominente Unterstützung, die bekanntesten waren sicher Genesis Drummer Phil Collins und The Who Gitarrist Pete Townshend, der bereits 1979 Mitglied von Pauls Rockestra gewesen war. «Sie sind beides sehr gute und professionelle Leute. Du brauchst Phil beispielsweise nur zu sagen, dass er etwas Schnelles spielen soll und wo er stoppen muss…». Die Aufnahmen mit Pete Townshend und Phil Collins dauerten denn auch nur etwas mehr zwei Stunden, was verglichen mit der Produktionszeit von anderhalb Jahren für das Album einem Herzschlag gleichkommt. Gemeinsam spielten sie «Angry» neu ein.

Eric Stewart erinnert sich, dass er und Paul den Song fast so schnell wie «Footprints» geschrieben hatten. Er kam eines morgens ins Studio und bemerkte, dass Paul angespannt wirkte. «Yeah, I’m fucking angry», war Pauls Antwort. Auf Erics Nachfrage reichte ihm Paul die Zeitung. «Was zum Geier gibt ihnen das Recht, mir vorzuschreiben, was ich mit meinem Leben machen soll?» enervierte sich Paul. «Ich sagte: ‹Moment, schreib das auf: What the hell gives you the right to tell me what to do with my life?›». Eric Stewart kann sich nicht mehr daran erinnern, was der Auslöser für Pauls Wutausbruch gewesen war. Die meisten Kritier und Biografen vermuten, dass Paul etwas negatives über sich gelesen hatte. Paul jedoch winkt lächelnd ab und sagt: «Was mich wirklich wütend macht, ist Margret Thatchers Haltung den Schwarzen (und dem Apartheidsregime – Anm. d. Autors) in Südafrika gegenüber, Reagans Südamerikapolitik oder Leute die Kinder mit glühenden Zigarettenstummeln quälen. Diese Dinge machen mich wütend, aber sicher keine schlechten Kritiken meiner Alben.»

Im Unterschied zu «Helter Skelter» oder «Cut Me Some Slack» war 1986 für Paul die Zeit nicht reif, «Angry» einfach als wütenden Hard Rock zu schmettern. «Ich bin ziemlich direkt hier, auch wenn es einen ziemlich verrückte Synthesizer drauf hat. Den Basistrack haben Pete, Phil und ich aufgenommen, was doch eine nette kleine Rhythmusgruppe ist», ergänzt Paul. Den Bass hat Paul bestimmt von Hand eingespielt, da ihn Hugh Padgham davon abriet, den Bass elektronisch zu spielen. Mit den Bläsern erinnert der Song jedoch eher an alte Tamla Motown Aufnahmen, denn an einen wütenden Rocker.

mccartney townshend collins 1986 press to play
Alles andere als wütend: Paul McCartney, Pete Townshend und Phil Collins im Herbst 1985 während einer Aufnahmepause von «Angry». Obwohl das Foto farbig aufgenommen wurde, vertrieb es MPL Communications als Schwarzweiss-Postkarte.
– Foto: Linda McCartney


Ein weiterer prominenter Gast war Carlos Alomar, David Bowies Gitarrist aus den Fame-Tagen. Alomar und Kiffen

Obwohl Alomar vorallem das Solo von «Footprints» auf der spanischen Gitarre eingespielt hat, spielte er schliesslich auf mehreren Songs mit. So auch auf «Good Times Coming / Feel The Sun». Im Song vermischt Paul die Erinnerungen drei Sommer: «… als ich als Kind in Shorts in einem Sommerferienlager in Butlins war und dann einen, als ich etwas erwachsener war. Ich assoziiere die zweite Strophe «It was a silly season / wasn't it the best? / We didn't neet a reason just a rest» mit den Beatles. Dies ist eine meiner Lieblingsstellen auf dem Album. Die dritte Strophe ist dann Unheil verkündend, es geht um den heissen Sommer vor dem Krieg, Hitler war schon an der Macht. Ich stelle mir die Leute Cricket spielend vor, in ihren weissen Klamotten, mit dem dezenten Applaus und dem Tee. Und im kommenden Jahr müssen sie an die Front», erklärt Paul. Der Beatles-Sommer wird wohl 1964 oder 1965 sein, denn zwischen 1963 und 1965 hatten die Beatles kaum einen freien Tag, entweder waren sie auf Tour, spielten eine neue Single oder ein Album ein oder drehten mit «A Hard Day’s Night» und «Help!» Spielfilme. «Eddie Rayner spielte die Gitarre und Carlos Alomar zeigt, dass ein Solo nicht unbedingt lange sein muss, um Eindruck zu schinden, indem er ein kantiges Intermezzo beigetragen hatte.» ergänzt Paul.

Ganz anders ist der wohl beste Song des Albums «Move Over Busker», der direkt und anzüglich ist und einem direkt in die Beine fährt. «Der Song hat das gute amerikanische Rock’n’Roll Felling… kombiniert mit dem harmlosen Sexismus der englischen Badeort-Postkarten» erläutert Paul. Im Text verwendet er klischierte Bilder von den Hollywood Stars und Sexsymbolen wie Nell Gwynne mit ihren Orangen, Mae West in ihrem verschwitzten Unterhemd und Eroll Flyn in einem Tigerhemd.

John Lennon sagte in einem seiner letzten Interviews, dass die ganze Welt wisse, dass Paul ein guter Texter wäre, nur Paul wäre nicht von sich überzeugt. «Move Over Busker» ist genau so ein Fall, nur schon die Lyrics zu lesen ist ein literarischer Genuss. So lautet die dritte Strophe: «Ich grub mir meinen Weg durch den Untergrund, jonglierte mit meinem Stolz, als ich Eroll Flynn in seiner Tigerhaut sah und zu ihm sagte: ‹du siehst befriedigt aus›. Er schaute aus seinem Wohnwagen auf mich hinab und schenkte mir ein schmutziges lächeln. Er sagte: ‹oh ja, das bin ich. Doch sie ruft mich schon wieder. Würdest du mich bitte für die nächste Zeit entschuldigen?» Die Melodie der Middle-Eight «You've got it coming come on, come on» kopierten AC/DC 1989 auf «Moneytalks» auf «The Razor's Edge» fast Ton für Ton.

Pauls Texte gaben denn auch für einmal nicht Anlass zu Häme sondern zu Rätseln. So in «Talk More Talk». Die Gesprächsfetzten hatte Paul einem Interview mit Tom Waits entnommen und mischte sie zu elektronisch verfremdeten Klängen zu einer surrealistischen Klangcollage zusammen: «A master can highlight the phrases / sleazy instruments, half talked, half baked ideas…» Und gegen Ende des Songs: «I dont acutally like sitting down music… music is ideas.» Dann nimmt er nochmals Waits Zitat des Meisters auf: «A master can highlight the phrases / his words to digress. / Grey flanell trousers… grey flanell trousers. A blazer and gray flanell trousers.» Muss man einen Song verstehen? Nein, schon gar nicht bei Paul McCartney, der sich mehr als Musiker denn als Texter versteht. Und so ist die letzte Zeile «A blazer and gray flanell trousers» Ausdruck der seiner Musikalität, bei der die Worte der Musik dienen und nicht umgekehrt. Einen Sinn oder gar eine tiefgründige Botschaft hinein zu interpretieren wäre falsch.


die Singles
Press,

Pretty Little Head

mccartney 1986 stereo mix drawing good times coming
Pauls Zeichnung für die Stereoabmischung von «Good Times Coming /Feel The Sun».


Stranglehold

Only Love Remains, Ballade, Zeichenwettbewerb für Cover

die Videos
Press in der U-Bahn And there are three extra tracks on the CD, which could drive many of us to invest in a machine capable of playing the small shiny things. Track three, side two, showed cosmic foresight: when Paul was shooting aforesaid fab vid, he encountered a busker playing the Beatles' "Help" and gave him a doubloon, whereupon the poor chap muttered "I can't handle this" and stopped playing!, Pretty Little Head stilbildend für Stones, Stranglehold für USA. Stranglehold erschien auf der Videosingle Once Upon A Video 1987, in der 2007 erschienenen Kompilation The McCartney Years wurden nur Press und Pretty Little Head verwendet.

mccartney 1986 pretty little head video
Screenshot während der ersten Strophe von «Pretty Little Head» aus dem Videoclip von Steve Barron. Die 80er-Jahre Ästhetik wirkt noch immer kühl und modern zugleich.


The Paul McCartney Special als VHS

das Cover und die verschiedenen Formate
«Spies Like Us» wurde 1993 als Bonus Track zur Wiederveröffentlichung von «Press To Play» im Rahmen der Paul McCartney Collection erstmals auf CD veröffentlicht. 2007 erschien zunächst auch bei der digitalen Veröffentlichung. Durch den Wechsel McCartneys zu StarCon/Universal wurde 2010 «Press To Play» auf ursprüngliche Vinylveröffentlichung mit nur zehn (gegenüber 13 der CD Erstveröffentlichung 1986 und 15 auf dem Remaster von 1993). Somit ist «Spies Like Us» zurzeit nur als Secondhand Vinyl erhältlich.

Rezeption und Statistik
«Press To Play» und Pauls zeitgemässer Sound erhielt gemischte Kritiken, in Europa die besseren, was auch die Verkaufszahlen belegen. Anthony DeCurtis befand im Rolling Stone befand 1986, dass «Press to Play» McCartney musikalisch fest in der Gegenwart eingepflanzt habe und ergänzt, dass das Album einen rhythmischen Kick habe. Er bezeichnete es als eines der solidesten Alben von Paul. Dennoch gab es keine Wertung für das Album.

Topten-Klassierung erreichte das Album nur in England und Norwegen mit je einem 8. Platz und in Italien mit Platz 10. In England gab es dafür eine goldene Schallplatte. In Japan kam das Album auf Platz 11, in Spanien auf Platz 12 und in Schweden platzierte es sich auf Rang 17. In Holland verpasste es mit Rang 21 die Toptwenty nur knapp. Ebenso in Australien mit Rang 22. Die Schweiz und Kanada vermeldeten je einen Rang 28 und Deutschland Platz 30.

In den USA klassierte sich «Press To Play» ebenfalls auf dem 30. Rang. Mit den für McCartneys Verhältnissen enttäuschenden 250 000 verkauften Alben in den USA wurde es kein Millionenseller, die Verkäufe lagen bei etwas über 800 000 Exemplaren.

Die Singles waren allesamt keine Chartstürmer. «Press» erreichte in Belgien Platz 17, in den USA Rang 21 und in England Platz 25. Polen vermeldete Rang 34, Kanada Rang 43 und Australien 47. In Deutschland gab es Platz 53. «Pretty Little Head» war die erste Single McCartneys, die sich weder in den USA noch England in den Charts klassieren konnte. In Belgien kam sie auf Rang 29. «Stranglehold» wurde nur in den USA ausgekoppelt und erreichte dort den 81. Rang. Während «Only Love Remains» sich in England auf Rang 34 platzierte. In der Schweiz konnte sich keine der Singles in der Hitparade klassieren.

mccartney 1986 studio hoghill press single
Paul McCartney, gesehen von Linda McCartney im Kontrollraum seines neu eröffneten Studios Hoghill in Sussex. «Press To Play» war das erste Album, das er in seinem Stuido eingespielt hat..





Tracklist
Original LP 1986

Stranglehold
Good Times Coming/Feel The Sun
Talk More Talk
Footprints
Only Love Remains

Press
Pretty Little Head
Move Over Busker
Angry
However Absurd

Bonus Tracks
Original CD 1986

Write Away
It's Not True (Remix)
Tough On A Thightrope

weitere Bonus Tracks
McCartney Collection Remaster 1993
Spies Like Us
Once Upon A Long Ago

weiterer Bonus Track
iTunes Album (2007)
Press (Dub Mix)


Singles 1986:

Press


UK Single
Press
It's Not True

internationale Single
Press (Video Edit)
It's Not True

Maxi Single
Press (Video Mix)
It's Not True (Remix)
Hanglide
Press (Dub Mix)

UK Limited Edition
10" Maxi




Press
It's Not True (Remix)

Press (Video Edit)

Pretty Little Head
Single



Pretty Little Head (Rock Mix)
Write Away



Maxi Single

Pretty Little Head (Remix By John Tokes Potoker)
Angry (Remix)
Write Away

Stranglehold
US-Single



Stranglehold
Angry (Remix)

Only Love Remains
Single



Only Love Remains (Remix by Jim Boyer)
Tough On A Thightrope

Maxi-Single

Only Love Remains (Remix by Jim Boyer)
Tough On A Thightrope (Remix By Julian Mendolsohn)
Talk More Talk (Remix by Paul McCartney & Jon Jacobs)



Video 1987
The Paul McCartney Special


The Paul McCartney Special ist ein Interview von Richard Skinner für BBC, um «Press To Play» zu promoten. Es umfasst Pauls Karriere von den Beatles und den Wings enthält Auschnitte aus seinen Videoclips.


Promotion 1986
Fotos und Postkarten

mccartney press to play promo

Eine Promokarte von Paul (oben) sowie ein Foto von Paul und Linda (unten). Beide wurden von George Hurrell aufgenommen, der auch das Coverfoto aufgenommen hatte.

mccartney hurrell 1986 promo press to play

linda mccarteny 1986 george hurrell press to play


Kleider






T-Shirts für «Pretty Little Head» (oben), «Only Love Remains» (Mitte) und ein Langarm-Shirt für «Press To Play», auf dessen Brust unter dem Schriftzug die Symbole eines Kassettengerätes gestickt waren. Die Shirts wurden von Pauls Fun Club vertrieben.


Promoposter




Promoposter für die Single «Press» (oben) und das Album (unten), das Plattenläden geliefert wurde.


 










 

 

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