Halbpreis-Schweizer
8. August 2009


In der Warteschlange vor der Kasse im Coop fühle ich mich im falschen Film. Nicht, dass ich die längste Schlange erwischt hätte. Ätsch, zu diesen Leuten gehöre ich nicht; nein, ich habe lediglich beobachtet, was die blonde Dame, die ihre Lebenshälfte vor ein paar wenigen Jahren wohl überschritten hatte, auf das Rollband gelegt hat. Wir haben da rote Papierservietten mit dem weissen Schweizerkreuz – zum halben Preis. Ein Pack Plastikbecher mit dem Schweizerkreuz drauf – zum halben Preis. Zwei Packungen mit Weissweingläsern mit dem Schweizerkreuz drauf – beide zum halben Preis. Eine papierene Tischdecke, rot, mit Schweizerkreuz – Halbpreis. Besteck, das Käppchen mit Schweizerkreuz trägt – nur noch die Hälfte wert als vor Wochenfrist. Teelichter mit Schweizerfahne drauf – zum halben Preis. Daneben ein paar profan wirkende Lebensmittel zum Normalpreis und eine Packung, die das Logo 125-Jahre Victorinox trägt. Selbstverständlich wäre auch das Schweizer Offiziersmesser zum halben Preis zu haben, doch die Verkäuferin öffnet mit bedauernden Worten die Schachtel und erklärt, dass diese Schachtel bloss Dekoration gewesen wäre.
Das mache doch nichts, sagt die Dame in breitestem Schweizerdeutsch vor mir. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen.

Hinter mir steht ein Herr in meinem Alter, irgendwo zwischen Grunge, Skateboarder, Student und gefühltem frühen Samstagmorgen einzuordnen. Sämtliche Lebensmittel sind reduziert und sehen so typisch nach Männerhaushalt aus, dass es beinahe eine Freude ist, wenn da nicht Papierservietten mit dem Schweizerkreuz – Halbpreis, Pappteller mit Schweizerkreuz – halber Preis, Pappbecher mit Schweizerkreuz – um die Hälfte reduziert, wären. Überhaupt sieht seine Auswahl sehr helvetisch aus: Zweifel Pommy-Chips, Bier aus dem Feldschlösschen, Rivella und Schokolade von Lindt. Im Gegensatz zum Schweizerkreuz sind alle Lebensmittel Markenartikel und deshalb ihren Preis das ganze Jahr über wert, nicht nur zum Nationalfeiertag am 1. August. Der auf den Tag vor einer Woche gewesen ist.

Ich blicke gedankenverloren auf meine Lebensmittel, ausser dem Zopf und der Milch scheint alles ausländisch zu sein, beim Wein kann ich es mit Bestimmheit sagen. Es ist erst Mittag, ich bin heute schon von Davos nach Zürich gereist und habe im Ruhewagen der 1. Klasse einen greisen Alphornspieler, der den Pajass für ein nicht müde werdendes amerikanisches Mädchen spielte und eine verirrte Wespe erdultet, quälte mich im Hauptbahnhof durch tausende Raver, welche die Street Parade und die abendliche Technoparty Mainstation eben im Hauptbahnhof besuchen wollen. Und nun dies!

Der junge Herr hinter hat auch etwas gesagt. Kann mich nicht mehr erinnern, ob am Telefon oder bloss Selbstgespräch, aber er hat gesprochen. Deutsch. Wie man es ennet des Rheins spricht. Damit ist er entschuldigt, schliesslich kann er nichts dafür, dass seine Vorfahren 1291 den Zug zum Rütli verpasst haben und seither die Bewohner des grossen Kantons ihrem verlorenen Paradies nachtrauern. Und schliesslich sind die Deutschen als Pfenningfuchser und Schnäppchenjäger bekannt. Aber von meinen Landsleuten bin ich mir gewohnt, dass nur das teuerste gut genug ist und es gerne noch etwas edler sein kann. Swissness ist ein Lifestyle für eingewanderte Idioten, entweder ist man Schweizer oder nicht. Dr. Blocher und sein Propagandaminister Dr. Mörgeli sind bloss der Kopf einer patriotisch verblendeten Hydra. Und das Schweizerkreuz ist heiliger als seine hölzerne Entsprechung von Golgata, schliesslich ist unsere Nationalhymne der Schweizerpsalm, so etwas hat nicht einmal Israel. Was zum wieder angesiedelten Bartgeier möchte mir bloss das Einkaufsverhalten der postklimatkterischen Halbpreis-Schweizerin sagen?

Das römische Bürgerrecht galt als höchstes Gut der Nation. Ich bin Schweizer und stolz darauf. Swissness, SVP und der ganze Tellen- und Réduitmythos kann mir gestohlen bleiben, all dies möchte ich nicht einmal acht Tage nach dem Heil-Dir-Helvetia-Spuk zum halben Preis kaufen, sogar wenn die Produkte Made in China sind und hierher importiert wurden.



 

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