auf dem See
23. April 2010


Seit ich von ihnen gelesen hatte, wollte ich einmal zu den Pendlern gehören, die mit dem Kursschiff zur Arbeit fahren. Im Büro bis um drei abgemeldet, das Gespräch mit den beiden Journalisten der «Zürichsee Zeitung» erfolgreich erledigt, müsste eine Belohnung drin liegen, deshalb spontan die «Wädenswil» bestiegen. Beim Einschiffen in Stäfa fällt mir ein vierjähriges Mädchen in einem rosaroten Kleid auf, das bei der Schifflände auf einer eigens für Kinder hergestellten Bank sitzt und für nichts anderes Augen hat als für ihr Glacé. Hat es die ganze Zeit über, als ich auf der Terrasse der Schützenstube mein Mittagesssen ass, zwei Tische von mir entfernt gesessen und ihr Glacé geleckt?

Schifflände Männedorf, wieder ein vierjähriges Mädchen, ebenfalls in rosaroten Kleidern und dunkelhaarig, ohne Bank, aber mit Glacé, strahlenden Augen und glücklichem Grossvater. – Hat jede Goldküstengemeinde ein eigenes Glacémädchen an ihrer Schifflände?

Die «Wädenswil» überquert den See. Vor uns kreuzt die Fähre «Horgen» von ebenda nach Meilen. Als würde sie das Wasser teilen, sind die Wellen hinter ihr klein und gekräuselt. Noch vor dem Eintreffen in Horgen dringt Eisenbahnlärm herüber, eine S-Bahn kreuzt einen Intercity. Wie der gekräuselte Wellengang befürchten lässt, zieht es noch vor der Einfahrt in den Hafen eisig; dafür heissen einem Kirchenglocken willkommen. Die «Wädenswil» setzt ihre Fahrt fort, über Herrliberg blühen Rapsfelder und geben dem Küsnachterberg eine gelbe Tonsur. Von Thalwil aus lassen sich die Landmarken der Stadt ausmachen: der im Bau begriffene und die Stadt überragende Primetower, etwas daneben das Dolder Grand als weisser Strich mit Turm mitten im grünen Wald, darunter der Hügel mit dem Burghölzli als Krone über dem Seefeld, etwas weiter Stadt einwärts das Schwesternsilo genannte Hochhaus beim Unispital, die vier Altsttadtkirchen, der Jet d’eau der Zürich Versicherung beim Mythenquai sowie die Schiffswerft beim Hafen Wollishofen.

Überholen unterwegs ein Fischerboot; auch am Windschatten zieht es jämmerlich, mein Zino Brasil wird gleichzeitig vom Wind und von mir zweiseitig geraucht. – Die Fallätsche als offene Dauerwunde am Üetliberg. Und Kran über Kran über der Skyline der Metropole, bis auf wenige Ausnahmen alle zu meiner Linken.

Einfahrt in Zürich vom See her, imposant und schön. Eine richtige Stadt geht auf die alten Griechen, Römer oder Kelten zurück, verfügt über einen Hafen. Zürich, mit Festung der Kelten auf dem Üetliberg und römischen Kastell auf dem Lindenhof sowie an einem See gelegen, erfüllt die Definition einer Stadt wie Marseille, Paris, Rom oder London – histoire oblige, als echte Stadt fahren hier auch unentwegt Trams über die Quaibrücke…





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:
Stäfa, Schifflände – 23. April
Goalie (Pedro Lenz) – 21. April
im Bus – 21. April

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Wengiswil – 29. April
Wahrung der Relationen – 30. April
Verbrechen gegen die Menschlichkeit – 11. Mai



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