Koppenberg
4. April 2010


Legendär ist er, der Koppenberg, irgendwo gegen Ende der Strecke der Flandernrundfahrt. Geliebt von den Zuschauern und gefürchtet von den Rennfahrern, hatte er schon manche Austragung des Rennens entschieden. Böse Zungen mögen behaupten, dass man nicht dabei gewesen wäre, wenn man nicht selber vor Ort gewesen wäre; doch am Koppenberg kann man nicht vor Ort dabei sein, zu eng ist es dort, zu archaisch ist er. Derart archaisch, dass Kritiker finden, ein solches Teilstück sei des modernen Radsportes unwürdig, ein Dinosaurier wäre er, der Koppenberg, mit seinem Kopfsteinpflastern.

Die Radrennen im Frühjahr, allen voran die Flandernrundfahrt und Paris–Roubaix, letzteres die Hölle des Nordens genannt, sind berüchtigt wegen ihrer Pavé-Abschnitte. Von den 250 Kilometern der Flandernrundfahrt führen gut 50 über Kopfsteinpflaster, die Strecke Zürich–Rapperswil als Rütteln und Schütteln, Schlaglöchern ausweichend und 50 Kilometer Schläge in den Rücken und vorallem über den Lenker in die Handgelenke einsteckend, quälen sich die Fahrer über die belgischen und innert Wochenfrist über die französischen Strassen. Letzere sind gar denkmalgeschützt – 2007 liess die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal einige Abschnitte während des Wahlkampfes restaurieren; das Rennen um den Elyséepalast gewann dennoch Nicolas Sarkozy, der erklärt hatte, dass ein Juli ohne Tour de France schlicht unvorstellbar wäre. –

Jene Rüttelstrecken also, welche höchstens als sadistisches Schmankerl in der Tour auftauchen, bilden im Frühjahr die Kulisse für die Dramen, aus denen Radsportlegenden geboren werden. Insbesondere am Koppenberg, dessen Strasse einer hohlen Gasse gleich sich emporwindet, durch die die Fahrer kommen müssen. Die Strasse ist eingegraben in den Hang, so dass sie von keinen Zuschauern gesäumt werden kann und so eng, dass die Begleitfahrzeuge mit einem Fahrverbot belegt sind und den Berg umfahren müssen. Wer dort einen Defekt erleidet, kann sich den Sieg abschminken, da er das Rad über den Berg tragen muss, wie Fabian Cancellara 2009.

Der Koppenberg anno 2010 ist ein Pavéstück in einem feuchten Vorfrühlingswald, wo es kurz bevor die Spitzenfahrer eingetroffen waren, geregnet hatte. Alles, was nicht Asphaltstrasse ist, kommt in seiner Wirkung Glatteis gleich, Eisenbahnschienen, Farbe von Zebrastreifen und Linien oder eben Kopfsteinpflaster, vor allem im nassen Zustand. Die Pavés am Koppenberg sind unregelmässig, die Lücken dazwischen mit feuchtem Moos zugewachsen. Wer hier aus seinem Tritt fällt, weil er schalten oder wegen des Vordermannes bremsen muss, steigt, wenn er nicht stürzt, unweigerlich vom Rad. Die Spitzengruppe kommt bis auf einen Fahrer unbeschadet über den Berg. Im nachfolgenden Feld der Verfolger steigen die Fahrer gleich im Dutzend vom Rad, gestandene Profis, welche Monumente wie den Mortirolo, den Gotthard oder, die Alpe d’Huez leidend, aber auf dem Rad bezwingen. Das Kameramotorad fuhr an über zwanzig Fahrern vorbei, die ihr Velo geschultert hatten und nun balancierend, die modernen Radschuhe haben Sohlen aus Karbon, was wiederum einen Glatteiseffekt verursacht, die Strasse hochwackeln, während die Spitzengruppe sich entfernt. Die Entscheidung fällt in diesem Jahr erst 15 Kilometer vor dem Ziel, als Fabian Cancellara an der Kopelmuur den belgischen Meister Tom Boonen abhängt.



cancellara

Fabian Cancellara auf dem Kopfsteinpflaster auf der Flandernrundfahrt. Sein belgischer Fanclub hat über 3000 Mitglieder.


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Ostern – 4. April
Phantomschmerzen – 3. April
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zum Schreiben – 7. April
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