Winterimpressionen
6. Februar 2012


Spuren des Klimawandels: Im Herbst wurden am oberen Zürichsee ein Dutzend Flamingos gesichtet. Im November jammerten die Wintersportorte über mangelnden Schnee, Mitte Dezember darüber, dass sie zu viel von der weissen Pracht erhalten hatten. Bloss in Zürich tobten die Winterstürme im Dezember und Januar. Der Januar war durchschnittlich 2.5 Grad zu warm, pünktlich auf den Februar jedoch hat sich das nun geändert: Tageshöchsttemperatur – 11 °C. Was ich seit einem Jahrzehnt nicht mehr erlebt habe und mich nostalgisch stimmt. Damals hatten wir nach der Geburtstagsfeier von Werner und seinen Geschwistern am Altjahreswochenende in Dresden Neujahr gefeiert. In der Neujahrsnacht schneite es, was die Einheimischen als sehr ungewöhnlich bezeichnet hatten. Im Sommer war dann die Flut gekommen… Nach Dresden sind wir nach Erfurt weitergereist, wo die Tageshöchsttemperatur besagte – 11 °C Höchsttemperatur betragen hatte. Es war der Jahreswechsel der Euro-Einführung gewesen und vielleicht eine prophetische Vorschau auf die aktuelle Euro-Krise…

Heuer hat die kontinentale Kälte ganz Europa fest im Griff: Eisbrecher verkehren auf der österreichischen Donau, Rom liegt unter eine Schneedecke bedeckt, die «Tagesschau» zeigt Bilder von Langläufern mitten in der ewigen Stadt, mehr als 300 Menschen sind Europa weit erfroren. Eisig auch die Schweiz. Sinnigerweise war der kälteste Punkt mit – 30 °C auf dem Ofenpass. Die Schweiz, Sinnbild von Schneebergen und pünktlichen Eisenbahnen, doch der Zürcher S-Bahn froren die Kompositionen in den Depots fest, so dass ausgerechnet auf der meistbefahreren Strecke zwischen Winterthur und Zürich nicht alle Passagiere mitgenommen werden konnten.

Es ist die erste kontinentale Kältewelle seit 1987, die Europa in ihrem eisigen Griff hat. Spezielle Erinnerungen an letztere habe ich nicht. Wie ich wohl die Kälte auf meinem halbstündigen Schulweg überstanden habe? Ich werde wohl die dunkelblaue Skihose getragen haben. Eine andere Erinnerung ist, dass wir Jungs uns während den Pausen vom Pausenplatz ins Tobel des fast ganz gefroreren Bombach geschlichen hatten. Während Tagen versuchten wir mit herausgebrochenen Eisschollen den Bach zu stauen, was uns auch gelungen war. Bis zur Pause, als Mourad auf dem Eis eingebrochen war… Hier endet die Erinnerung, und wohl auch die Kältewelle. Die mediale Herzschmerz-Geschichte der aktuellen Kältewelle ist jene von dem Schwan, der tragischerweise auf dem Greifensee festgefroren ist und jämmerlich verstarb.

Heute auf der Heimfahrt fährt die S-Bahn gemäss Lautsprecherdurchsage wegen eines voherfahrenden Zuges verlangsamt in Richtung Zürich-Stettbach. Blick zum Fenster hinaus in die Banlieu-Tristesse: Es ist unerwartet einer jener seltenen Momente des Lebens: der Himmel noch immer blau mit dem hell leuchtenden Vollmond, darunter strecken die Bäume ihre feingliedrigen Äste scherenschnittartig dem Erdtrabanten entgegen, sonst ist nur noch die verschneite Winterlandschaft sichtbar, die modernen Kathedralen der Dienstleistungsgesellschaft, die in der tristen Agglomeration auf die grüne Wiese geklotzt wurden, und die öden Äcker mit ihren Treibhäusern darauf, sind vom Nebel verschluckt. Dübendorf kann magisch sein, wie schon heute Mittag, als ich im vollen Sonnenschein Wind geschützt tortz der Kälte auf der Bank vor dem Missionswerk Mitternachtsruf picknickte und mit Blick auf die nackten Bäume und den blauen Himmel die Impression eines Winterkurortes erhalten habe; der mir nun einen letzten Gruss zu schicken scheint, denn die S9 befindet auf der Höhe des Mitternachtsrufes, der sich hinter den tristen Äckern, der Zentrale der Helsana und dem grossen Verabreitungszentrum der ZKB befindet, ehe sie in den Tunnel und den Bahnhof Stettbach einfährt.

Der Flamingo am Zürichsee wurde am Wochenende wieder gesichtet und von Ornithologen fotografiert. Die Medien wetteifern mit Wetten, ob der arme Kerl den Frost überleben wird. Kann man denn das Tier nicht betäuben und vorübergehend in einem Tierpark ans Warme bringen?




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