der neue Berg
3. April 2015


Drei Dinge sind mir aus «Der neue Berg» von Franz Hohler in Erinnerung geblieben: Erstens die mir die Schauplätze zwischen Oerlikon, der Glatt entlang nach Dübendorf und von Oerlikon hoch zum Zürichberg bestens bekannt. Zweitens entwickelt sich letzterer zu einem Vulkan. Drittens werden die meisten Ehen im Buch geschieden. Es ist Karfreitag, nutze die Feiertage, um das zu tun, was im Winter zu kurz gekommen ist: die langen Spaziergänge oder kurzen Wanderungen.

Fahre mit dem 80er und dem 69er in den Milchbuck. Flaniere von dort durch den noch winterlichen Irchelpark. Das Holz ist noch nackt, einzig die geschlossenen Blattknospen lassen die künftige grüne Pracht erahnen, das Gras ist braun, das Pfeifenputzergras wiegt verdorrt in der Bise. Der Himmel ist hochneblig bedeckt, aber die Sonne drückt dann und wann durch. Dennoch ist es eher kalt, obwohl es Anfang April ist, scheint der Winter noch nicht passé zu sein. Ich gehe vorbei an der Uni Irchel und am Staatsarchiv und fotografiere die Anlage. Spaziere danach weiter in Richtung Waldrand und biege oberhalb des Strickhofes in die Frohburgstrasse ein von wo aus ich alles am Waldrand entlang des Zürichbergs in Richtung Greifensee weitergehe.

zürich irchelpark ostern 2015 teich
Karfreitagsruhe im Irchelpark in Zürich, wenn eine kalte, giftige Bise weht.

Der neue Berg: Vor fünfeinhalb Jahren begann ich in Dübendorf bei World Vision, bis ich mich 2012 beruflich veränderte. Während dieser Zeit verfolgte ich täglich während des Arbeitsweges das Wachstum von Zürich: Fuhr ich mit der S9 von Altstetten aus, sah ich das Wachsen des Prime- und Mobimotowers, oft aber fuhr ich mit der S14 über Wipkingen und konnte so das Werden der Glattalbahn und die Entwicklung von Zürich Nord und Wallisellen verfolgen, wie das Verschieben des MFO Gebäudes, der Ausbau des Bahnhof Oerlikons mit dem Anschluss an den neuen Zürichbergtunnel in den Hauptbahnhof, das Schulhaus Leutschenbach, der rote Stützpunkt der Feuerwehr auf der grünen Wiese in Wallisellen, auf der unbekümmert die Kühe weiden. Und vor allem all die Hochhäuser. Zürich Nord entwickelte sich um den Jahrzehntwechsel ähnlich schnell vom Arbeiter- und Genossenschaftsquartier zu einer zweiten City innerhalb der Stadt wie sich Kinder über die Jugend zu Erwachsenen entwickeln.

Seit ich nicht mehr täglich nach Dübendorf fahre, fallen mir die Veränderungen umso mehr auf. Bei jedem Aussichtspunkt halte ich inne. Die Entwicklung atemberaubend: Rund um das Glatt Zentrum in Wallisellen entstand ein komplett neues Quartier. In Schwamendingen und Oerlikon schiessen die Hochhäuser beinahe wie Pilze aus dem Boden, zwischen Oerlikon und Glattbrugg entstand der Glattpark, eine neue Stadt. Bei einigen Gebäuden erinnere ich mich an deren Entstehung, die anderen, es sind mindestens nochmals so viele, sind seither gebaut worden. Die Hochhäuser ragen wie Zähne eines hungrigen Raubtieres, das eine Stadt alleweil ist, in den Himmel. Während sich die Stadt im Limmattal schwer tut mit Hochhäusern und sie eher planlos über das Gebiet verteilt, sind sie in Zürich Nord massiert vom Bahnhof Oerlikon entlang zum Hallenstadion hin. Würde man auf einem Foto die Dächer mit Linien miteinander verbinden, man hätte eine neue Gebirgslandschaft.

zürich nord ostern 2015
Blick auf Zürich Nord auf die Messe Zürich, das Leutschenbachquartier und die ehemaligen Diax-Tower gegen Norden hin.


Der neue Berg: Während ich die Neubauten betrachte und fotografiere, komme ich unweigerlich wieder ins Grübeln über meine Situation. In den 80er- und 90er-Jahren wurde die Industrie in Oerlikon aufgegeben, zwanzig Jahre später ist es ein Teil des boomenden Nordens der Stadt. Nicht zu unrecht spricht man von der Glattalstadt, vom Greifensee bis zum Flughafen bis zum Katzensee im Westen ist ein dichter Siedlungsgürtel entstanden.

Ich gehe weiter auf der Hubenstrasse, die meistens auf der Aussenseite des Waldrandes entlangführt, vorbei an Wiesen, worauf erste Kühe weiden, helvetisches Braunvieh. Immerhin leuchtet deren Gras in frischem Grün. Erste Felder sind gepflügt. Zwischen Zürichberg und der Besiedlung im Glattal hat sich ein wohltuender Landgürtel erhalten. Unten im Tal geht in dieser in genossenschaftliche Gartenstadt-Siedlungen über. Allerdings sind die Häuser zu klein, der Zahn der Moderne droht, da und dort sind grössere Ersatzneubauten ausgesteckt oder klaffen die Baustellen wie Wunden in der Aussicht. Wenn ich mit dem Velo nach Dübendorf fuhr, nahm ich jeweils den Weg durch dieses Quartier, bis ich jeweils zum Sportzentrum Heerenschürli, die Trainingsplätze des FCZ, kam. Heute schaue ich von der Ziegelhütte her auf meinen ehemaligen Arbeitsweg hinab. Die Landwirtschaftszone im Hirzenbach wird grösser, doch dies vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass das Glattal längst, wie das Limmattal, ein zusammenhängender, verdichteter und vor allem urbaner Siedlungsraum ist. Jede noch verfügbare Landfläche wird überbaut. Einzig entlang der Hügel wie dem Zürichberg, bleibt noch Raum für die Natur.

Ich gehe weiter in Richtung Osten. Unterdessen ist Mittag vorüber, es kommen mir einige Leute entgegen. Ich überquere die Stadtgrenze und erreiche das Sagentobel, das vom Zoo her nach Stettbach und Dübendorf hinabführt. Ich befinde mich nun auf der historischen Strasse vom Greifensee und Zürcherland über Zürichberg in die Stadt. Ich folge der Stettbacherstrasse und gehe am Sozialpädagogischen Zentrum Gfellergut vorbei in Richtung Bahnhof Stettbach hinab. Was ich da entdecke, begeistert mich und das habe ich nicht erwartet, weil man es vom Bahnhof aus nicht sieht: Stettbach ist ein bäuerliches Dorf bzw. ein etwas grösserer Weiler gegen den Zürichberg hin, der Sagentobelbach fliesst durch die Ortsmitte. Bunte Neubauten fügen sich mehr oder weniger harmonisch ins Ortsbild mit den wunderbaren historischen Riegelbauten ein.

dübendorf stettbach historisch
Impression aus dem historischen Weiler Stettbach.


Das letzte Wegstück nehme ich dem kanalisierten Sagentobelbach entlang und nähere mich über das brache Niemandsland dem Bahnhof Stettbach. Dieser entstand mit dem Bau der Zürcher S-Bahn und dem ersten Zürichbergtunnel und wurde 1990 eröffnet. Er liegt auf der Stadtgrenze von Zürich und Dübendorf. Die Bahngeleise befinden sich unterirdisch, die Haltestelle von Tram und Bus oberirdisch. Diese wurde mit dem Bau der Glattalbahn 2009/2010 neu gestaltet.

Mit der S-Bahn kam die Verstädterung, seit den 1990er-Jahren ist die Verdichtung des Siedlungsgebietes am Dübendorfer Westrand, zwischen dem Bahnhof Stettbach und der Autobahn zu beobachten. Vor allem Dienstleistungszentralen von der ZKB oder der Helsana und etwas weiter im Norden die vereinigten Möbelhäuser trugen schon früh zur Verstädterung des Gebeietes bei. Mit der Glattalbahn hat dieser Druck noch zugenommen. Stettbach wächst ähnlich schnell wie Oerlikon. Die bereits bestehenden Gewerbebauten werden mit eckig gesichtslosen Wohnbauten ergänzt.

Ein letzter Ausbauschritt des Bahnhof Stettbachs fehlt noch, ein Projekt, das mich begeistert: von hier aus soll eine Seilbahn zum Zoo hinaufführen, die Zoo Seilbahn. Nachdem ich nun das historische Stettbach mit seinen rund 30 Häusern gesehen habe, verstehe ich nun, den Widerstand gegen die Seilbahn, sie würde weshalb sich dieser Teil von Dübendorf gegen die geplante Seilbahn zum Zoo hinauf wehrt, sie würde nicht direkt über den malerischen Weiler führen, aber gleich westlich davon, zwischen dem Dorf und dem Gfellergut rüberschweben.

Dennoch freue ich mich darauf, vom Bahnhof Stettbach, dem Verkehrsknotenpunkt im tristen Agglomerationsgürtel über die Felder von Stettbach und den Wald des Zürichbergs zum Zoo hochzuschweben und dann mit dem Tram hinab an den See oder die Altstadt zu fahren.



Visualisierung der Zoo Seilbahn beim Ausgangspunkt beim Bahnhof Stettbach.
Bild: zooseilbahn.ch/Visualisierung F. Preisig AG


franz hohler der neue berg taschenbuch
Franz Hohler, Der neue Berg, (1989), hier die aktuelle Taschenbuchausgabe.



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im Bus – 19. März
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