Hinaus nach Naraus
17. Oktober 2016


Mit den Worten «Hinaus nach Naraus» fasste ich einmal während Flimser Ferien mein Tagesprogramm zusammen. Was nach Tagesbefehl klingt – je nach Wetter kann die Fahrt mit der Sesselbahn zu Alp Naraus hoch und anderthalbstündigen Abstieg nach Flims tatsächlich das gesamte Tagesprogramm sein – so ist es dies auch heute: Bin über Mittag von Zürich angereist und habe bloss im Hotel eingecheckt und den Koffer ausgepackt.
«Hinaus nach Naraus» sage ich, als ich um halb drei das Zimmer 207 im «Hotel Vorab» in Richtung Bergbahnen verlasse.

Jeden Meter der Fahrt in der Sesselbahn nach Foppa und Naraus geniessend: Es ist jedes Mal ein erhebendes Gefühl, über die Ferienhäuser in Fischeisch zu schweben. Eine nackte Frau habe ich bisher noch nie vom Sessellift aus gesehen, unmöglich wäre es nicht. In einer Ferienwohnung steht ein Mann am Fenster und telefoniert, immerhin ein Anfang. Die Sesselbahn schwebt über eine Weide, ungefähr ein Dutzend Kühe sind darauf verteilt. Erinnerungen blitzen auf, der Dialog mit den Kühen, als ich über den Stall schwebe. Wie damals muhe ich auf meinem Sessel. Dieses Mal ignorieren mich die Kühe. Auf der Weide werden die Masten niedriger, damit die Bahn den Aufstieg dem Hang entlang in Richtung Spalegna schafft. Bin schauend, geniessend und so viel wie möglich vom Moment in mir aufsaugend. Dieser Abschnitt gefällt mir immer gut, weil man mitten durch die Bäume gleitet, hohe Fichten neben sich und Laubbäume und Gestrüpp unter sich hat. Realisiere, wie lange die Fahrt eigentlich dauert. Bahnwechsel in Foppa und weiterschweben nach Naraus hoch.


Oben angekommen erst einmal ein paar Minuten gehend, bis das stetige Surren der Sesselbahn nicht mehr zu hören ist. Dann setze ich mich etwas oberhalb des Weges auf einen Stein und blicke auf die Uhr. Es ist kurz nach drei Uhr. Zünde den Gipfelzigarillo an und geniesse die Aussicht. Manchmal rauscht auf dem «Runca-Trail» ein Biker oder zwei vorbei, vereinzelte Wanderer, wenige Insekten fliegen noch in den Matten, in meiner Nachbarschaft brummt eine Fliege., lässt mich aber in Ruhe. Trotz dieser Ausnahmen bin ich eigentlich alleine unterwegs. Es ist Montag der letzten Saisonwoche, nur noch die Zürcher haben Herbstferien.

Das Wetter ist weit vom berühmten Bergwetter mit guter Fernsicht entfernt: Der Himmel grau, vom Glarnerland her hängen über den Segnespass dunkle Wolken. Auf den entfernteren Gipfeln gegen Mittelbünden hat es Schnee. Die höchsten Spitzen der Signina Gruppe und der Piz Beverin tragen weisse Hüte. Die Schneefallgrenze ist wie mit einem Lineal gezogen. Der Crap Sogn Gion zu meiner Rechten ist schneefrei. Unterhalb der Gipfelstation liegt ein erstes Schneefeld, darunter absteigend, weitere Felder, alle mit Schneekanonen produziert. Es sieht wie eine weisse Treppe, die vom Gipfel absteigt, aus, die künftige Skipiste lässt sich bereits erahnen. Das Gras hat seine olivgrüne Farbe angenommen, in den höheren Regionen ist es bereits braun. Das Laub, das noch nicht abgefallen ist, beginnt sich zu verfärben. Trage Hemd, Pullover und eine Steppweste. Tief die Bergluft einatmend, bin ich einfach im Moment.

Nach einer Dreiviertelstunde, oder war es eine Stunde? und einem zweiten Zino Brasil, wandere ich nach Flims hinab. Nehme den Weg nach Startgels, unterdessen haben sie den Druckfehler auf dem Wegweiser korrigiert und das Schild ausgewechselt. Unterhalb der Station hat es blitzt ein kubischer Neubau aus weissgrauem Beton mit hohen Fenstern hervor. Es ist das modernse Maiensäss, dass ich je gesehen habe. Ich frage mich, ob vor es vor vier Jahren, als ich das letzte Mal, hier entlang ging, schon da war. Steige nicht zum Ustria Startgels neben der Seillbahn Station hoch, sondern überquere den Flem auf einer viel zu breiten Brücke, für ein kurzes Wegstück bin ich auf der Skipiste. Dem Weg entlang nach Tarschlims ragen die metallenen Stangen, an die das Sicherheitsnetz montiert werden wird, metallenen Armen gleich aus dem Boden, gelben Schneekanonen stehen in Reih und Glied und säumen den Weg.


Gehe weiter zur Runca Höhe. Auch hier jede Menge Erinnerungen. Das letzte Mal, als ich hier war, war mit Vater, er erzählte, dass er immer gerne hierher gekommen sei wegen des Kinderspielplatztes, dann hätten er und Mutter einen Moment für sich gehabt. Der Spielplatz sieht noch immer so aus wie vor 25 Jahren, oben auf dem Kletterbaum ist eine Bart- Simpson-Figur angebracht. Ich erinnere mich auch an die beiden Male, als ich noch ein Marenghin serviert kriegte, obwohl das Berggasthaus schon geschlossen hatte. Gehe heute an der Runca vorbei, habe Stalldrang, es zieht mich ins Hotel. Dennoch nehme ich den weiteren Weg über Flims Waldhaus, durch den Wald auf der Via Prau Sura: Hier ist es noch immer so, wie ich ihn aus der Kindheit in Erinnerung habe: Obwohl es mich interessieren würde, ob der Lag Prau Pulté noch Wasser hat, gehe ich direkt weiter, Regen droht.

Unterhalb des «Waldhaus Flims» erreiche ich die Promenada. Ihr folgend, notiere ich im Geist nochmals die Veränderungen bei den Geschäften, der Eindruck ist derselbe wie in Flims Dorf Es beginnt leicht zu regnen. Ich habe noch die Schlussviertelstunde der Wanderung vor mir, vorbei an der Aussichtsterrasse obehalb der Ballonwiese, über die Stennabrücke und auf der Via Nova durch Flims Dorf. Im «Casanova’s» brennt Licht, doch ich entdecke weder Carmen noch die Architektin mit ihren Freunden, und das «Vorab» ist in Sichtweite. Als der Regen stärker wird, erreiche ich das Hotel.

Links zu im Beitrag erwähnten Artikel:
Inspektion in Flims16. Mai 2010
Sprachbetrachtung: ein bemerkenswerter Satz18. Mai
Sprachbetrachtung: Fischeisch21. Mai 2010
Prau Pulté21. Mai 2010
Speisekarte23. September 2010

Crap Sogn Gion Oktober 2016 von Naraus aus. Schneefallgrenze Kunstschnee Wolken




frühere Beiträge
:
Flims – 17. Oktober
im Zug – 17. Oktober
Schweigen – 14. Oktober


folgende Beiträge:
zum Schreiben (Önologie) – 17. Oktober
Flims, Hotel Vorab (Giulia Steingruber) – 17. Oktober
auf einen Zigarillo am Caumasee –18. Oktober


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