Teufelserscheinung

4. April 2018


Nach einer kurzen Fahrt zum Parkplatz hoch, erfolgt der Aufstieg auf die Wartburg. Zur Abwechslung nicht bloss zum dritten, sondern zum vierten Mal hier. Was auch heisst, dass ich zum vierten Mal in Eisenach bin, zum dritten Mal mit Vater. 1995 war es die erste Station auf der Schulreise auf Luthers Spuren, als ich in der Jugendherberge Billard spielen lernte, 1999, als Vater und ich im Japanischen Palais von Dresden die Ausstellung «Die Welt der Schweizer Bilderchroniken» aufgestellt haben, war Eisenach die erste Etappe auf der Heimreise (an meinem Geburtstag). Wir besuchten die Wartburg, es gibt noch ein Foto von mir. 2006 waren wir mit Mutter auf der Wartburg, nun auf der ersten Etappe der Grossmünster-Reise auf den Spuren von Luther, erneut. Als wir die Burg erreichen ekrennen wir im Westen – woher denn sonst, ist man angesichts des Standortes in der ehemaligen DDR versucht zu sagen – dunkle Gewitterwolken. Am Morgen habe ich im Wetterbericht im Internet Regen und Gewitter in Frankfurt angekündigt gesehen.

wartburg 2018 hof

Noch nichts weiter denkend, folgen wir der Führung. Doch schon schnell wird klar, dass wir unsere Andacht nach der letzten Führung wohl nicht mehr machen können. Als wir wieder ins Freie kommen, hat es zugezogen und es stürmt. Nach historischen und historisierenden Räumen folgt noch der authentische Teil und dem Besuch von Luthers Stube. Auf den Weg dorthin begeistert der löwenförmige Aquamanile aus dem 13. Jahrhundert, das mittelalterliche Schnitzarbeiten in Schränken und das grosse Essbesteck für 12 Personen aus Sheffield aus dem 18. Jahrhundert, dessen Griffe in Elfenbein geschnitzte Figurinen sind. Auch Luthers persönlicher Löffel ist ausgestellt. Der grösse nach zu schliessen, hatte Luther tatsächlich eine grosse Klappe.

Durch den Wehrgang, der im 16. Jahrhundert die mittelalterlichen Zinnenmauern abgelöst hat, gelangt man ins Ritterhaus, in dem die Burgbesatzung gelebt hat, und zur Lutherstube, worin der Reformator nach dem Reichstag von Worms in Schutzhaft versteckt als Junker Jörg gelebt hat. Die grösste Attraktion ist der Tintenfleck an der Wand, der entstand als Luther sein Tintenfass daran schmetterte. Nicht in einem Tobsuchtsanfall des oft Aufbrausenden, oder vielleicht doch, wer weiss das schon, als der Teufel Luther erschien und ihn am Schreiben der Bibelübersetzung hindern wollte. Ein Tintenfleck ist nicht zu sehen im Lutherstübchen. Und ob ihm tatsächlich der Teufel erschien, ist eine Legende. Als evangelisch Reformierter bliebt festzustellen, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen katholischen und lutherischen Heiligenlegenden gibt. Im Gegenteil… Dass es aber durchaus furchteinflössend in Luthers Stübchen sein kann, erleben wir gerade live. Die Wolken haben uns erreicht, es blitzt, donnert und stürmt draussen und es regnet Bindfäden. Im hölzernen Wehrgang der Wartburg pfeift der Wind durch jede Ritze, es zieht, mal pfeift es, dann jammert es, oder erinnert an einen Seufzer. Und wenn die nächste Sturmbö an der Burg zerschellt, knallt es. Ungefähr so, als ob der Leibhaftige sich der Burg bemächtigen möchte. Immerhin ist es trocken. So entstehen Legenden.

 

wartburg 2018
Der löwenförmige Aquamanile aus dem 13. Jahrhundert, der in der Wartburg gezeigt wird.


Nach unserer Führung sind neben unserer Reisegruppe noch wenige Leute in der Burg. Wegen des Gewitters ist nicht an einen Abstieg zum Parkplatz zu denken, viel zu nass und vor allem zu gefährlich wegen der Blitze und des Sturmwindes im Wald. An Luthers Wirkungsstätte organisiert Grossmünsterpfarrer Martin Rüsch, dass der bereits wieder eingestellte Shuttledienst alle sich noch in der Wartburg befindenen Reisenden mit den Bussen geholt werden. Im Torbogen warten wir, den Sturm über Eisenach betrachtend, auf die VW-Busse, die uns abholen kommen. Mit dem letzten Transport fahren auch Vater und ich zum Parkplatz.

Zwei Stunden später, beim Nachtessen im Speisesaal des Hotel Hainstein, trübt keine Wolke mehr den Blick zur nahe gelegenen Wartburg. Nochmals zwei Stunden später leuchtet sie von gelben Scheinwerfern angestrahlt in der gereinigten Frühlingsnachtluft als beste Leuchtreklame für Eisenach, Luthers liebe Stadt.

wartburg 2018 eisenach

 

frühere Beiträge:
in der lieben Stadt – 4. April
Ankunft mit Hindernissen in Eisenach – 3. April
Kalimandscharo: Eindrücke aus dem Reisebus – 3. April


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von Luther in Erfurt zu Goethe in Leipzig – 5. April
Halle Transit – 6. April
wenig Leben in Eisleben – 6. April




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