Zwergenland

 


« …die alte andorranische Lüge der gelben Schuhe!»

Am Anfang stand eine Diskussion über die Neutralität und das abermalige Erstaunen, wie wenig selbst gut gebildete Leute über die politischen und historischen Ereignisse Bescheid wissen. Nach der Diskussion wartete die Neutralität bloss darauf, gepflückt und literarisch aufgearbeitet zu werden. Blieb nur noch die Frage zu beantworten, wie man Frischs Andorra mit Dürrenmatts gelben Schuhen verbinden kann.

Am Anfang stand eine Diskussion unter Freunden. «Wie kann man neutral sein, lächelnd Präsident Ahmadinejad die Hand schütteln und dann sitzen bleiben, wenn die Vertreter der USA und der EU den Saal verlassen, als Ahmadinejad seine Israel feindlichen Parolen in den Saal schmettert!», empörte sich ein Freund. «Eben weil man neutral ist», lautete meine Antwort.

Anlass der Diskussion war die Menschenrechtskonferenz im April 2009 in Genf. Bundespräsident Hans Rudolf Merz hatte als Regierungschef des Gastgeberlandes den iranischen Präsidenten empfangen. «Wie viel von der gemeinsamen viertelstündigen Unterredung zwischen Merz und Ahmadinejad war schweizerische Aussenpolitik und nicht bloss die Rolle des Sendboten der USA?», gab ich zu bedenken. Die Schweizer Rolle sei ihm wohl bewusst, antwortete mein Freund mit israelischen Wurzeln. Erste erstaunte Blicke trafen uns. «Aber als Sprecher der USA gibt man einem solchem Typen nicht die Hand!», ereiferte sich mein Freund. «Genau darum gibt man ihm die Hand. Schliesslich ist man neutral. Deshalb bleibt man im Saal sitzen und folgt nicht dem Stärkeren. Dann wäre man bei der aktiven Neutralität während des 2. Weltkrieges angelangt.» Ich solle ihm nichts über diese Zeit sagen, ereiferte sich mein Freund. Mittlerweile hörten uns alle zu und erschraken ob der nächsten Aussage meines Freundes: «Vergesst die Neutralität. Sie hat nie existiert und es wird sie auch nie geben! Das ist der erste Satz, den sie uns bei der ersten Vorlesung im historischen Seminar an der Uni gesagt haben. Und ich teile diese Meinung. Die Schweiz war nie neutral.» – «Womit Du mir aus dem Herzen sprichst!», war meine Antwort. Den Rest des Abends erteilten wir beide unseren Bekannten eine Geschichtslektion.

Auf dem Heimweg liess mich die Frage der Neutralität nicht mehr los. «Wie nähert man sich literarisch einem Thema, bei dem man sich nur in die Nesseln setzen kann?», fragte ich mich. Da ich die Lektüre von Max Frischs «Tagebuch 1946–1949» wieder aufgenommen hatte, sinnierte ich, wie Frisch die Thematik angegangen wäre. «Ganz nach Dürrenmatt», war die verblüffende, aber überzeugende Antwort. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen Schauspieler sagen: «Da ist sie wieder, alte andorranische Lüge der gelben Schuhe.»

Ich wollte nie ein Theater oder ein Drehbuch schreiben, aber die Form als Theaterstück drängte sich mir auf. Die Neutralität ist ein humorloses, ernstes Thema, das bestens zu «Biedermann und die Brandstifter» passt. Nimmt man Dürrenmatts Formen der Satire – ungeeignet für die Neutralität – oder der Groteske, mischt die Ernsthaftigkeit Frischs hinzu, könnte etwas Gutes entstehen. Jedoch nur, wenn man sich des andorranischen Stilmittels bedient: Andrj wird im Zwergstaat Andorra zum Juden gestempelt. Wie würde die Geschichte aussehen, wenn dies tatsächlich in Andorra und nicht in Deutschland geschehen wäre? Die Verbindung von Dürrenmatts gelben Schuhen mit Frischs Setting ergibt: Zwergenland.








Szenenplan
Inhalt
Fokus: Zwergenland in 12 Punkten
Song der Verdammten
Song der Neutralen
Publikationen Theater


zwergenland

«Vergesst die Neutralität, sie hat nie Existiert.».

«Wie nähert man sich literarisch einem Thema, bei dem man sich nur in die Nesseln setzen kann?», fragte ich mich. Da ich die Lektüre von Max Frischs Tagebuch 1 wieder aufgenommen hatte, sinnierte ich, wie Frisch die Thematik angegangen wäre. «Ganz nach Dürrenmatt», war die verblüffende, aber überzeugende Antwort.