Frankreich-Italien
17. Juni 2008


Schon seit der Auslosung im November herrscht Vorfreude auf dieses Spiel: Frankreich – Italien, die Neuflage des WM-Finals von vor zwei Jahren. Es ist das Nachspiel zu einer Partie, die damals dramatisch in der 118. Minute mit dem Kopfstoss von Zinedine Zidane gegen Marco Materazzi geendet hatte. Die Italiener waren schliesslich im Penaltyschiessen Weltmeister geworden. Gelingt den Franzosen im Letzigrund die Revanche?

Für den Spieltag logieren die Franzosen im Swissôtel in Oerlikon. Sie sind mit einem Extrazug aus der Romandie, wo sie ihr Quartier haben, angereist. Der Tages-Anzeiger zeigt ein Foto, worauf die Spieler durch die Unterführung im Bahnhof Oerlikon in Richtung Neumarkt bzw. Swissôtel verschwinden. Die Bildlegende lautet: «Kleiner Bahnhof für die Grande Nation».

Frankreich – Italien, das ist mehr als nur das Aufeinandertreffen zwei der beliebtesten Feriendestinationen der Schweizer. Da stehen auf der einen Seite les bleus, auf der anderen gli azurri, auf beiden Seiten sind sie blau. Da die Franzosen in diesem Spiel als Heimmannschaft gelten, spielen sie im blauen Dress. Die Italiener treten im weissen Auswärtsdress an. Blau spielt in Zürich gegen Weiss, in einer Stadt, deren Wappen blauweiss ist, blau wie der Zürichsee und der Himmel, weiss wie die Schönwetterwolken am Himmel. Oder Blauweiss gegen Blauweiss, wie beim Stadtrivalenderby zwischen GC und FCZ, bloss auf Weltniveau.

Frankreich – Italien, das ist das Duell der Nationalhymnen: die «Marseillaise» gegen den «Canto degli Italiani». Beide Hymnen sind Ohrwürmer, die «Marseillaise» kennt jedes Kind, nicht zuletzt weil sie «All You Need Is Love» von den Beatles eröffnet, den «Canto degli Italiani» erkennt zumindest jedes Kind, wenn er als Handyklingelton ruft oder von einem Italiener in blauem Fussballleibchen in Altstetten auf der Strasse gepfiffen wird. Beide Hymnen sind Revolutionslieder: Die «Marseillaise» wurde von Claude Joseph Rouget de Lisle in der Nacht zum 26. April 1792 anlässlich der Kriegserklärung an Österreich, dem diesjährigen Co-Veranstalter der Fussballeuropameisterschaften, komponiert. Am 14. Juli 1795 wurde sie zum ersten Mal als Nationalhymne gespielt. «Fratelli d’Italia», das Lied der Italiener, wurde von Goffredi Mamelli verfasst, von Michele Novaro vertont und im Herbst 1847 von patriotischen Studenten gesungen. Am 12. Oktober 1946 wurde der «Canto degli Italiani» zur Nationalhymne, erhielt diesen Status aber eigentlich erst vor drei Jahren durch ein Dekret des italienischen Staatspräsidenten.

Frankreich – Italien ist mehr als nur die Revanche für den WM-Final. Es wird ein kampfbetontes Spiel geben. Und dennoch wird es das sinnlichste Spiel des Turniers sein, mit all den klingenden Namen der Spieler, die unweigerlich ganz andere Assoziationen als Fussball wecken: Da wäre Roberto Donadoni, der italienische Coach und bestgekleidete Trainer des Turniers, der wie ein römischer Halbgott aussieht oder Gianluca Zambrotta, dessen Name einem auf der Zunge schmilzt wie ein gelato. Bei Simone Perrotta denkt man unweigerlich an den englischen parrot und sieht einen Papagei vor sich. Hört man Christian Panuccis Name, steigt einem der betörende Geruch warmen Nussbrotes in einer Bäckerei in die Nase. Zu seinen panini kauft man am besten noch eine Flasche Mineralwasser, angeregt durch Alberto Aquilani, dem Mittelfeldspieler.

Kulinarisch kann Frankreich mit Claude Makelele durchaus mithalten, dessen Name an die Makrele erinnert. Musikalisch wird es mit Jean-Alain Boumsong und Jérémy Toulalan: Jean-Alain schrieb für Jérémy den «Boumsong», dessen Refrain ein rhytmisch fröhliches tou-la-lan, tou-la-lan ist. Und nun alle miteinander: tou-la-lan, tou-la-lan – Ein todsicher geglaubter Sommerhit an der Côte d’Azur. William Gallas Name erinnert an den Palas eines der grossen Loire-Schlösser, das in seiner wechselvollen Geschichte englische und französische Besitzer hatte. Eric Abidal, Lilian Thuram, Florent Malouda, Nicolas Anelka, Luca Toni und Daniele De Rossi erinnern an Besitzer burgundischer und toskanischer Weingüter. Marco Materazzi, mehr durch seinen legendären Zweikampf mit Zinedine Zidane denn als begnadeter Fussballspieler in Erinnerung, und Willy Sagnol, stehen für das kämpferische des Fussballs. Materazzi klingt schon fast wie die Matraze, auf der man die Verletzten des Turniers bettet. Und Willy Sagnol erinnert an zwei rote Flüssigkeiten: das Blut, auf Italienisch il sangue und auf Französisch le sang bzw. an den Sommerwein Sangria.

Wie auch immer das Spiel also ausgehen wird, da soll noch einer sagen, Fussball wäre bloss ein stupides Spiel, bei welchem 22 Männer einem Ball nachrennen.


 

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mehr Mobiltelefone als Einwohner – 9. Juli
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