Multimediaspektakel
17. Juni 2008


Erledige vor dem Anpfiff von Frankreich-Italien den Abwasch. Im Fernsehen läuft das EM-Studio mit Rainer Maria Salzgeber und zwei Gästen, Gilbert Gress als ehemaliger Trainer, dazu ein ehemaliger Spieler, der den italienischen Fussball versteht. Immer wieder wird aus der Vogelperspektive in einer Totalen der Blick auf das Letzigrundstadion gezeigt. Mal bildet die Stadt und der Üetliberg die Kulisse, unsere Agentur in Altstetten wird wird durch den Zoom knapp nicht erfasst, mal ist es die Stadt mit dem See und dem hehren Alpenkranz. Es ist die Aussicht von meinem Balkon. Es hat bis vor kurzem geregnet. Die Wolken hängen tief. Auf einmal bricht die Sonne zwischen den Wolken hervor und leuchtet durch das Küchenfenster. Und wohl über die Stadt.

Ich höre einen Helikopter. Ziemlich laut und ziemlich lange, als ob er über dem Haus stehen geblieben ist. Im Rhythmus seiner Rotorblätter scheppert das Geschirr im Küchenschrank. Alles, was nicht niet und nagelfest ist, erzittert in der Wohnung. Ich schreie lauthals nach Ruhe, doch mein Protest geht ungehört im Lärm des Helikopters unter. Durchquere die Wohnung und trete auf den Balkon. Knapp zwanzig Meter über dem mächtigen Baum auf der anderen Strassenseite direkt meiner Wohnung gegenüber schwebt der Helikopter des Schweizer Fernsehens und filmt zum Letzigrund hinüber. Was die Fernsehzuschauer nicht sehen: Auf den Balkonen der Nachbarwohnungen stehen die Nachbarn, die nach der Lärmquelle Ausschau halten. Wir schauen uns an, dann den Helikopter, nachdem ich in Richtung Letzigrund gezeigt habe, zuckt jemand mit den Schultern: Fussball Europameisterschaft, zur Abwechslung wird in der eigenen Stadt gespielt.

Kehre in die Stube zurück und schaue auf den Fernseher: Hinter der Diskussionsrunde ist ein grosser Bildschirm, worauf man den Letzipark sieht, dahinter in der Bildmitte das erleuchtete und ausverkaufte Letzigrundstadion erkennt, es folgen die Stadt und der See mit dem Alpenkranz im Hintergrund. Das Stadion ist von der untergehenden Sonne goldig beleuchtet. Die Sonnenstrahlen brechen sich in der Luftfeuchtigkeit. Zwischen Stadion, See und Alpenkranz ist ein prächtiger Regenbogen.

Rainer Maria Salzgeber unterbricht die Diskussion, da ihm die Regie ein sensationelles Bild angekündigt hat. Per Knopfdruck im Regieraum wird die Szenerie bildschirmfüllend. Gemeinsam mit der weltweiten fussballbegeisterten Öffentlichkeit kann ich die Aussicht von meinem Balkon live im Fernsehen bewundern. Schaue ich aus dem Fenster, habe dasselbe Bild. Das Multimediaspektakel wird durch den TV-Helikopter, die kopfschüttelnden Nachbarn auf ihren Balkon, den im Gestell zitternden CDs und dem aus der Küche hörbaren Klappern des Geschirrs begleitet. Ein Erdbeben könnte nicht effizienter sein, auf dem Sofa tanzt meine Flat-Eric Puppe ohne mein Zutun. Frankreich spielt an den Fussball-Europameisterschaften gegen Italien, es soll die Revanche für den WM-Final werden.


 

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zweiter Streich – 14. Juli
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