Musicus - Archiv 1997
On the pop of the world
März 1997
Seine Qualitäten liegen unter der kalten, technoiden Oberfläche. U2 legen mit Pop ein weiteres umwerfendes Meisterwerk vor.
Bewertung: * * * * * *

U2 gehören zu den Bands, die mit jedem Album besser werden. Und doch nannte das Time Magazine die Band 1985 als Rock's Hottest Ticket. Seither lieferte die Band Meisterwerk um Meisterwerk ab und ist unbestritten die grösste Band. Die Medienberichterstattung vor der Veröffentlichung des neuen Album Pop stand der Beatlemania in nichts nach. Doch wie schon beim bisher besten U2 Album Rattle & Hum, in welchem die Band zu den R&B-Wurzeln des Rocks aufbrach, fallen auch bei Pop, dem experimentellsten Album, die Kritiken zwiespälti aus.

Der erste Eindruck lässt einem kalt, doch schon nach dem zweiten Mal hören ist es klar, dass Pop auf den ewig rotierenden Plattenteller kommt. Die Oberfläche der Songs wirkt technoid und kalt, doch unter der Oberfläche, da kommt ein weites musikalisches Spektrum zum Vorschein. U2 haben sich noch einmal modernisert und spielen mit Scatgesang und Sampels. Sie führen die Entwicklung von Achtung Baby (1991), Zooropa (1993) und Passengers (1995) fort und klingen doch vertrauter als bei den vorher genannten Alben.

Zuerst die Veränderung...
Das langjährige Produzentenduo Brian Eno und Daniel Lanois wirte bei Pop nur beschränkt mit, federführend waren der Disc Jockey Howie B. und Flood, welcher in den 80er Jahren Stepahn Eicher remixt hatte. Dieses Produzentenduo ist auch für den technoiden Eindruck des Albums verantwortlich. Mofo geht als reinrassiges Technostück durch, mit dem Unterschied, dass alles von Menschen und echten Instrumenten gespielt wurde. Bono meinte zu Mofo, dass dieser Song sein ganzes Leben zusammenfassen würde. Und diese Erkenntnis stimme ihn traurig.

Discothèque, die Vorabsingle, wäre eigentlich ein gutes Heavy Metall Stück. Doch die Gitarren wurden mehrfach verzerrt und durch Gitarrensynthesizer gejagt, so dass sie beinahe nicht mehr erkennbar sind. Dass die Single dennoch als Technostück durchgeht, sind mit der Tripple-Vinylsinle und der CD-Remix-Single ganze zehn verschiedene Abmischungen des Songs erhältlich. Nicht alle sind gelungen, vor allem die Remixes von David Morales sind allesamt nervig.

Nicht nur mit Techno auch mit Trip Hop experimentierten U2: Miami und If You Wear That Velvet Dress sind gerade deswegen zwei der stärksten Nummern des Albums. Bono erzählte im Fanclub Magazin Propaganda, dass Allen Ginsberg in einer TV Show den Text von Miami rezitiert hatte, ohne die Musik davon zu kennen. Und Ginsberg habe genau den selben Rhythmus wie die Band gesprochen.

Viele Kritiker bekunden Mühe mit U2s Wandel von den Politrockern zu den Ironikern. Deutlich sichtbar in den Rezensinen zu Miami, worin Bono reimt Miami - my mammy. Und die Stadt folgendermassen beschreibt: «Manche Orte schauen aus wie deine Tante, aber es gibt keinen mit Miami vergleichbaren Ort.»

... um nachNordirland und Jesus zu gelangen
Doch im Gegesatz zu Zooropa und Achtung Baby wagen sich U2 wieder an den Blues und die Themen, welche der Band schlussendlich Ende der 80er Jahre ein Predigerimage verpassten, Sunday Bloody Sunday über den Bloody Sunday von 1972 oder Still Haven't Found What I'm Looking For stehen für die politreligiöse Periode. Themen, die in den frühen 90er Jahren wenig im Zoo von U2 zu suchen hatten.

Auf Pop sind Nordirland und Jesus wieder da. Nur weniger aufdringlich. In If God Will Send His Angels fragt sich Bono, ob es besser wäre, wenn Gott seine Engel vorbeischicken würde. Und Wake Up Dead Man ist nichts anderes als ein Gebet zu Jesus. Allerdings ein Gebet, welches nach zuviel Whisky in einer Bar gesprochen wird, so ein Kritiker. Für den Kneipenlärm im Hintergrund sorgte ein Sample von Les voix mystères Bulgares. Obschon der Song nicht wie ein gregorianischen Choral daherkommt, ist der Text eindringlich: «Jesus, bitte hilf mir, ich bin ganz alleine in dieser Welt, und eine beschissene Welt ist es dazu.» Nach zwei weiteren Strophen und der Beschreibung, was den Betenden ablenkt, kommt der als flehentlichen Wunsch verpackten Refrain nachd er Auferstehung des toten Mannes.

Nordirland ist in den beiden Songs Staring At The Sun und Please präsent. Staring At The Sun ist das beste Britpop-Stück überhaupt und klingt mehr nach den Originalen aus Liverpool als jeder krampfhafte Versuch von Oasis. Please ist der eindringliche Wunsch nach Frieden. Der beste Song - lyrisch gesehen - ist Playboy Mansion: Bono fragt sich wenn Coke ein Mysterium, Obsession ein Parfum, Michael Jackson History, Talks Shows Konfession, Schönheit Wahrheit und Chirurgie die Quelle der Jugend ist, ob er in dieser hedonistischen Welt den Schlüssel für die Playboyhütte hat.

Tracklisting
Discothèque
Do You Feel Loved?
Mofo
If God Will Send His Angels
Staring At The Sun
Last Night On Earth
Gone
Miami
Playboy Mansion
If You Wear That Velvet Dress
Please
Wake Up Dead Man

 

U2
Pop
Island 8 57523 2

Notenraster:
* Geld verschwendet
* * Eine EP hätts getan
* * * Okay
* * * * gutes Album
* * * * * we are pleased
* * * * * * Meisterwerk

Links:
http://www.u2.com

Was aus dem Album wurde
Pop verschwand für ein U2 Album ungewohnt früh wieder aus den Charts, die weiteren Singleauskoppelungen brachten keine Nummer Eins mehr. Die Hauptkritik in den USA dem Album gegenüber lautete, dass es zu europäisch wurde. Im Videoclip zu Last Night On Earth spielt Samuel Borroughs mit. Pop ist das beste, aber unbeliebteste Album von U2. Ein Kritiker giftete in der Kritik zu I'm Not Your Baby, dem Ende 1997 erschienenen Duet mit Sinead O' Connor, dass der Song besser als das ganze Album sei. Mehr als das ganze Album gab dann U2s Konzert in Sarajevo im Sommer 1997 zu reden, es war das erste Konzert einer Rockband nach dem Bosnienkrieg.

1998 veröffentlichten U2 die Best Of 1980 bis 1990, was die enttäuschenden Verkaufszahlen wieder wett machte. Während der Promotion zu All That You Can't Leave Behind distanzierte sich die Band von Pop. Auf der Elevation Tour kündete Bono Staring At The Sun jeweils mit den Worten an, dass Pop zu unrecht unterschätzt wurde. Und auf der Best Of 1990 - 2000 sind mit Discothèque, Gone und Staring At The Sun immer noch drei Stücke auf dem Album, eines davon war nie auf Single erschienen.

 

Weitere Artikel über U2

Von Europa, Amerika, Politik und Zoos (1993 - Zooropa)
• Ein Album zum Zurücklassen (2000, All That You Can't Leave Behind)
Standing Elevation (Konzert Kritiken zu den Schweizer Konzerten 2001)
Vaterkomplex und Weltfrieden (2004, How To Dismantle An Atomic Bomb)

... und ausserdem:
• Christoph Brunners (Radio 24) Konzertfotos als BH (Bonohalter) beim Konzert am 24. Juli 2004