Oensingen
29. Dezember 2009


Die Wolken, hellgrau und regenschwer, hängen tief über der flachen Landschaft, woraus der weisse Nebel aufsteigt. Die darin stehenden filigranen schwarzen Striche, scherenschnittartig über das Ackerland verteilt, entpuppen sich von weitem betrachtet als kahle Baumkronen, grünlichgrau kontrastieren die Leitungsmasten der Hochspannungsleitungen eckig und streng geometrisch die rundlich natürlichen Baumkronen. Die vereinzelten nassdunklen Bauernhöfe, bloss eckige, dunkle Farbflecken, nimmt man kaum mehr wahr, da sie sich in die Landschaft einpassen und sich unter den tiefen Wolken zu ducken scheinen. Die Autobahn ist ein graues, ewiges Band, dessen weisse Spurlinien unter dem Fahr-
zeug verschwinden. Ihr regelmässiges, unter dem Fahrzeug Verschwinden und die durchhängenden und sich zum Mast hin wieder aufraffenden Stromleitungen bilden den einzigen Rhytmus, der vom gleichmässig tönenden Motor begleitet wird. Irgendwann taucht ein blaues Schild aus dem Nebel auf und zeigt die Ortschaft der nächsten Ausfahrt an: Oensingen. Es ist das einzige, was an unser braves Land mahnt, denn der Nebel aus und über den nebligen Feldern sowie nebelverhangenen Wäldern und den darüber hängenden Wolken bilden den Horizont. Gewiss, zur Linken würde sich der Jurasüdfuss befinden – doch was man nicht sieht, ist auch nicht da. In dieser grauen Landschaft stellt sich, auf-
grund der eingeschränkten Sicht eingentlich genauso beengend wie ohne Nebel , ein hierzulande ungekanntes Gefühl ein: Weite.

Das weisslichgraue Etwas, das aus den Feldern und Wäldern wabert und sich mit den tief hängenden, grauweissen Wolken vereinigt, gibt der Landschaft eine definitive Unendlichkeit, so als ob man sich an einem See befände und wegen des Nebels das andere Ufer nicht mehr erkennen kann, das aber so sicher da ist wie der vom Nebel verschluckte Jurasüdfuss. Die Momentaufnahme des am Fenster vorbeiziehenden topfebenen Landes mit den vereinzelten Bauernhäusern inmitten von Äckern; Feldern, die sporadisch von Wäldern unterbrochen werden; und den die Autobahn begleitenden Hochspannungsleitungen, ist so ureuropäisch wie kaum ein Zweites. Wäre die Mehrzahl der Nummernschilder nicht schweizerisch, man könnte in der Po-Ebene, auf der Mittelfränkischen Seenplatte, im Hochrhein- oder dem französischen Rhonetal unterwegs sein. Der Nebel, Sinnbild des Unterbelichteten und Umnachter des Geistes, ist in dieser fliessenden und sich kaum verändernden Szenerie der Katalysator für die Grösse, worin endlich die Gedanken frei fliessen können, ohne Gefahr zu laufen, vom nächsten Bergrücken als Echo retourniert oder vom nächsten Gipfel aufgespiesst zu werden. Diese Grösse des Geistes, die erst Freiheit ermöglicht und dadurch grosse Nationen definiert; Grundlage der idée suisse – ist Abbild der weltoffenen, gegenüber Minderheiten toleranten, auf ihr multikulturelles Erbe stolze und in ihrer humanitären Tradition stehenden Schweiz.

Wie jede grosse Idee bloss Utopie? –




frühere Einträge
:
Limmattal – 27. Dezember
Sprachbetrachtung: vakant – 18. Dezember
Sprachbetrachtung: Museen in Zürich – 14. Dezember

folgende Einträge:
Laubbläser im Einsatz – 5. Januar 2010
Pinguin Ballett – 8. Januar 2010
Masoala Halle – 8. Januar 2010



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