Bern

21. März 2018


Im Doppelstockzug Richtung Interlaken setzte ich mich in der oberen Etage auf Seite der Europaallee in einen Einersitz. Der Geschäftsmann mir gegenüber bereitet sich mit Hingabe ein Sushi vor, das er bei einem Asiaten im Hauptbahnhof gekauft hat. Es dauert bis zum Zimmerbergtunnel, bis er es gegessen hat. Danach telefoniert er mit dem Büro, auf seinem iPhone Cover ist das Bild einer Thailänderin. Er legt das Telefon ab und tätigt mit dem iPad einen Facetime Anruf, bei dem er Englisch spricht, unterbrochen immer wieder mit berndeutschen Ausdrücken. Es scheint, als ob er mit der Thailänderin und einem Kind telefoniert. Immer wieder schneidet er Grimassen oder winkt in die Kamera.

Die Aargauische Landschaft rauscht vorüber. Irgendwann lässt mich eine Rechtskurve aus unbestimmten Gedanken auftauchen. Der Blick geht aus dem Fenster auf schroffe, zumeist bewaldete Gipfel. Ich erkenne den Ruchen. Aus diesem Winkel habe ich die Juraspitzen noch nicht wahrgenommen. Es ist eine Aussicht über dunkle Hausdächer in eine verwunschen romantische Landschaft. Ein kurzer grüner Moment, der das Herz erfreut in der sonst eher hässlich industriell zersiedelten Mittelland-Landschaft zwischen Lenzburg und Langenthal. Halte nach einer Ortstafel oder einen Bahnhof Ausschau: Dulliken. Bereits folgt das Waldstück über Fels, das sich mir durch die Sturmschäden nach dem Orkan Lothar eingeprägt hat und die langezogene Linkskurve ehe der Zug das Oltener Bahnhofsgebiet erreicht.

Im Bahnhof Bern das übliche Gewimmel. Durch die Neuengasse und die von Werdt Passage erreiche ich die Spitalgasse. Mittwochnachmittag, zwei Uhr, ich staune darüber, wie wenige Menschen unterwegs sind und wie viele Geschäfte geschlossen haben. Dafür bläst die Bise giftig, viel stärker als in Zürich, durch die Gassen. Fotografiere die Figuren des Pfeiferbrunnens und schlendere danach unter den Lauben zum Bärenplatz. Weder ist Markttag noch hier besonders viel Volk unterwegs. Die bunten Häuser der Altstadt wirken gegenüber der mächtigen Kuppel des Bundeshauses geduckt. Einige sind Erinnerungsorte, wie die Pizzeria, deren Eingang am Käfiggässchen ist, die schon regelmässig mein Grossonkel besucht hat. Man erreicht sie auch über Moules Edys Brasserie, in der Vater und ich jeweils vor den Redaktionssitzungen zu «Einig – aber niht einheitlich» gegessen haben.

In meiner Erinnerung ist der Bundesplatz noch immer jene zugeparkte Hässlichkeit, über den mein Bruder und ich als Knaben mit Tante Monika, den Cousinen und Cousin gegangen sind, als wir das Dälhölzli besuchten. Heute spielt das Wasserspiel auf dem Bundesplatz, das die Handvoll Touristen beglückt. Das ist mehr als vor elf Jahren, ebenfalls in Bern, als das Wasser nicht geloffen war und ich beinahe von der Bundesratseskorte überfahren wurde, weil ich die Lautsprecherdurchsage «Obacht, en Momänt waarte bitte», nicht mit den Autos in Verbindunggebracht hatte – an jedem anderen Ort der Welt hätte man mit Sirenen oder Hupen kommuniziert… Gefahrlos überquere ich den Bundesplatz und kurz darauf auf die Bundesterasse. Auf dem Gurten liegt noch Schnee, darüber Schönwetterwolken und hellblauer Himmel. Die Bise ein Horror, sie hält aber die dunklen Wolken, die vom nahen Jura her kommen, zurück, sodass man an der Sonne friert. Nach Zwischenhalt im Münster und dem fotografieren der Figuren, Besuch Kunstmuseum, Sammlung Hahnloser und Rundgang durch die museumseigene Sammlung, danach Lektüre der «NZZ» in der Cafeteria.

Nach dem Kunstmuseum kommt mir ein schmuddeliger Obdachloser entgegen. Er fragt, ob ich ihm helfen könne und beginnt einen auswendiggelernter Spruch von einer Pizza, die Fr. 7.80 kostet und der Notschlafstelle aufzusagen. Ich zücke das Portemonnaie und möchte ihm mein Münz geben und realisiere, dass ich damit im Hauptbahnhof ein Sandwich gekauft hatte. Auch die Zehnernote ist bereits ausgegeben. Er sieht aus, als ob er es nötig hat, und so gebe ich ihm eine Zwanziger Note. Ungläubig schaut er die Note, dann fragt er, ob er mir etwas herausgeben soll. Ich verneine, worauf er mich umarmen möchte, dann aber realsieiert, dass dies als Einarmiger schwierig ist und von seinem Vorhaben ablässt. Er fragt, ob er mir helfen könne. Ich verneine. Worauf er sich nochmals bedankt und wie der Blitz die Genfergasse hoch verschwindet.

Sitzung mit der neuen Mitarbeiterin der NEBS, danach gemeinsame Fahrt zum Bundeshaus, Sektionstreffen der NEBS, bei dem ausser dem Aaragu (gleich zu viert) und Zürich die deutschschweizer Sektionen durch Abwesenheit auffallen. Besprechen des Jahresprogramms und der Strategie gegen die «Antimenschenrechtsinitiative» der SVP. Anschliessend ein letzter Blick über Bern by night und Heimfahrt.

Wie eine rötliche Sonne leuchtet die Lenzburg in die Nacht. Einen Moment nach dem Zimmerbergtunnel öffnet sich der Blick ins Gleisfeld des Rangierbahnhofs Limmattal, mehrere Dutzend Geleise verschwinden in der Nacht, das Licht tausender Laternen spiegelnd, die als leuchtende Punkte die Nacht zum Tag machen. Eine geometrische Sinfonie, die nach der gemählichen Hauptstadt die Rückkehr in die Metropole ankündigt.

bern bundeshaus nacht 2018

 

frühere Beiträge:
Zürich, Europabrücke – 14. März
Zürich, Kollerwiese – 13. Februar
in der Maschine – 22. Januar


folgende Beiträge:
Frühling – 24. März
Mittagsrast in Speyer – 3. April
Kalimandscharo: Eindrücke aus dem Reisebus – 3. April



zurück zu 2018
zurück zur Blogübersicht
VzfB-Home

 

© 2018 by VzfB | All Rights Reserverd