Fast wie damals
2. November 2023
Mit «Now And Then» haben Paul McCartney und Ringo Starr den letzten Song aus den Beatles «Sessions» fertiggestellt. Die Veröffentlichung heizt die Debatte über künstliche Intelligenz an.
Bewertung: * * * * *


Links zu den einzelnen Kapiteln:
die Vorgeschichte
«Give and Take» oder die Fertigstellung 2023
das Video
die Versionen
Rezeption und Statistik



Es kommt selten vor, dass sich Paul McCartney in der Öffentlichkeit präzisieren muss. Am 13. Juni sagte er in einem Interview mit Radio 4 der BBC, dass die Beatles einen letzten Song fertig gestellt und dabei künstliche Intelligenz verwendet hatten. Er würde noch dieses Jahr veröffentlicht werden. Die Aufregung war riesig. «Es war ein Demo-Tape, das John hatte, und mit dem wir gearbeitet haben, und es ist gerade fertig geworden», so Paul. Am 22. Juni liess Paul auf seiner Webseite und seinen Social-Media-Kanälen verlautbaren: «Wir haben einige Verwirrung und Spekulationen darüber erlebt. Es scheinen viele Vermutungen im Umlauf zu sein. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch nicht viel sagen, aber um es klar zu sagen: Nichts wurde künstlich oder synthetisch erzeugt. Es ist alles echt und wir alle spielen darauf. Wir haben einige bestehende Aufnahmen bereinigt - ein Prozess, der schon seit Jahren andauert.»

die Vorgeschichte
Die Beatles waren neuer Technik gegenüber immer aufgeschlossen und haben ab Mitte der 1960er-Jahre die Aufnahmetechniken revolutioniert. So erstaunt es nicht wirklich, dass sie Anfang der 2020er-Jahren, in denen die künstliche Intelligenz sich durchzusetzen beginnt, diese auch nutzen.

Als sich 1994 die «Anthology» konkretisierte, gab John Lennons Witwe, Yoko Ono, Paul eine Kassette mit vier Songs. Drei bearbeiteten die Beatles weiter, «Free As A Bird» und «Real Love» wurden mit «Anthology 1» (1995) bzw. «Anthlogy 2» (1996) veröffentlicht. Der damalige Produzent, Jeff Lynne, wandte sein ganzes technisches Können an, um Johns Demos so gut wie möglich aufzubereiten. Bei «Now And Then» gelang es ihm nicht, weshalb George Harrison fand, dass die Arbeit am Song eingestellt wurde und «Anthology 3» 1996 ohne «neuen» Beates-Song erschien.


Paul McCaartney, George Harrison und Ringo Starr 1995 in Pauls Studio.


Paul bedauerte dies und erwähnte über die Jahre in Interviews immer wieder, dass er, wenn er die technische Möglichkeit hätte, den Song fertigzustellen. 2001 starb George Harrison, was das Projekt erst einmal beendet erscheinen liess. Für die Restauration der Filmaufnahmen aus den «Get Back»-Sessions (1969) und deren Tonspuren, entwickelte das Team des Regisseurs Peter Jackson eine Software, die lernte, die Stimmen und Instrumente zu separieren und korrigieren. Paul erklärt: «Man sagt der Maschine ‹Das ist die Stimme. Das ist eine Gitarre. Mach die Gitarre weg.›» 2021 erschien die Dokumentation und begeisterte mit ihrer Bild und Klangqualität.

Auch Paul war begeistert. Als er 2022 nach der Corona-Pandemie wieder Konzerte gab, verwendete er auf der «Got-Back-Tour» bei «I’ve Got A Feeling» die Aufnahmen aus der Dokumentation. Er bat Peter Jackson, ihm Johns Gesangspart, also nur die Stimme, zur Verfügung zu stellen. Und so spielte er wieder mit John Lennon im Duett. Die Technik war nun reif genug, dass Paul «Now And Then» fertigstellen konnte.

«Give And Take» oder die Fertigstellung 2023
John nahm die Demokassette zwischen 1977-1979 auf. Im Februar 1995, während den Aufnahmen zu «Free As A Bird», arbeiteten die George Harrison, Ringo Starr und Paul McCartney zusammen mit Jeff Lynne auch an «Now And Then». George spielte akustische und elektrische Gitarre, Paul das Klavier und sang gemeinsam mit John. Am Ende der zweiten Strophe hatte es noch eine Lücke, die Paul mit den Worten «will love you» ergänzte, dafür wurde Johns «lose you or abuse you» Reim nicht verwendet.

2022 gelang es Peter Jacksons Team dann, durch Machine Assisted Learning MAL, maschinell unterstütztes Lernen, Johns Stimme von seinem Klavier zu trennen. Mit Johns separierter Stimme konnte, so Paul, ganz normal gearbeitet werden. «Das ist er in seinem New Yorker Appartement, wie er auf seinem Klavier klimpert und ein kleines Demo aufnimmt, und heute ist es restauriert und wurde zu einem kristallklaren, wunderbaren Gesang. Wie sehr hätte John das gemocht? Er hätte es geliebt!», begeistert sich Paul.

Ringo spielte den Schlagzeugpart neu ein, Paul spielte in George Harrisons Art ein Slide-Gitarren-Solo ein und Paul und Ringo ergänzten den Refrain. Für den Hintergrundgesang wurden Elemente von «Here, There And Everywhere», «Eleanor Rigby» und «Because» verwendet.


Im Internet verbreitete sich das Foto von Caroline Buckmans Partitur, die ihr Paul signiert hatte.



Zusammen mit Giles Martin erarbeitete Paul ein Streicher-Arrangement, das im Sommer 2023 eingespielt wurde. Das Projekt wurde geheim gehalten, die Orchestermusiker wurden im Glauben gelassen, für Pauls neue Single «Give And Take» zu spielen. Bratschistin Caroline Buckman starb vor der Veröffentlichung von «Now And Then» und erfuhr nicht mehr, dass sie an einem Beatles-Song mitgewirkt hatte. Paul und Giles Martin sind die Produzenten, Mark Spike Stent mischte den Song.

Während der Text grösstenteils unverändert übernommen wurde, dauerte Lennons Demo fünf Minuten, änderte Paul den Mittelteil: «Es hatte einen grossen Mittelteil und ich dachte, dass er alles durcheinander bringen würde. Also dachte, wenn ich nun mit John arbeiten würde, sagte ich ihm ‹Wir sollten hier etwas tun und vielleicht etwas weg lassen. Ich denke, dadurch wird der Song stärker.› So machten wir es.» Und Paul ergänzt: «Ich denke, er (John) wäre damit einverstanden gewesen. Natürlich werde ich es nie wissen, aber weisst du, ich denke meine Annahme ist die beste, die wir haben.» Die veröffentlichte Version dauert nun 4 Minuten und 8 Sekunden.

Das Cover gestaltete Ed Rusca, der 2020 das Cover für «McCartney 3» entworfen hatte. Auf der Rückseite der Single ist eine hässliche Uhr in Hausform abgebildet, auf der «Now And Then» stand. George Harrison kaufte sie in den 90er-Jahren in den USA, wo sein Sohn Dahni studiert hatte.

das Video
Es war nach dem Erfolg von «Get Back» und den digitalen Restaurationsarbeiten naheliegend, dass Peter Jackson das Video zu «Now And Then» drehen würde. Es ist ein Schlüsselelement zum Song und rundet ihn ab. So beginnt es mit einem Schattenriss von John Lennon, der zurückschaut. Das Video ist eine liebevolle Hommage und erzählt die Entstehungsgeschichte des Songs. Dabei verwendete Jackson Originalaufnahmen von den Beatles, vor allem aus dem Videoclip von «Hello Goodbye» von 1967 sowie von den Aufnahmen am Song 1994/95 in Pauls Studio. Neue Aufnahmen wurden in Pauls und Ringos Studios gemacht, sowie im Rocabella West Studio in Los Angeles bei den Streicheraufnahmen.


Der doppelte Paul im Video, einmal 1967 und 2023 im Kontrollraum bei den Aufnahmen des Streicherarrangements, rechts im Bild George Harrison. Screenshot aus dem Video.


Man sieht es Paul McCartney an, wie sehr er es geniesst, wieder mit den Beatles Musik zu machen. Aber auch, wie ernst er die Sache nimmt. Der Gedanke des Zusammenspielens ist – anders als im Video von «Free As A Bird» von 1995, als darin die Geschichte der Beatles erzählt wurde – greifbar. Mittels filmischer Tricks werden vor allem George Harrison und John Lennon zu Paul und Ringo ins Studio kopiert, John von 1967 und George von 1967 und Mitte der 90er-Jahre.

Mit dem Video wird auch die Message des Songs, dass sich die Beatles trotz aller Streitigkeiten, die sie hatten, dann und wann vermissen, sichtbar und ist ein Ausdruck ihrer fast lebenslangen Freundschaft. Eine schöne Geste und eine kleine Sensation ist, dass Pete Best, der Schlagzeuger, der nach der ersten Aufnahme von «Love Me Do» 1962 die Kündigung erhalten hatte und durch Ringo Starr ersetzt wurde, Aufnahmen von der Frühphase der Beatles beigesteuert hat.

die Formate
Dem Zeitgeist gehorchend, erscheint «Now And Then» neben dem üblichen Formaten Video, Streaming, Download, CD und Vinyl auch als Kassette. Beim Vinyl gibt es verschiedene, teilweise limitierte Editionen, neben der 7" Singles gibt es auch eine 10"-Inch und Maxi Single. Die Single erscheint in schwarzem, hellblauem, durchsichtigem und gesprenkeltem Vinyl, die Maxi ist in schwarzem und rotem Vinyl.

Die Veröffentlichung von «Now And Then» nutzte Apple, um «1962-1966» und «1967-1970», das Rote und Blaue Album, die vor fünfzig Jahren ein erstes Mal erschienen, als erweiterte, mit weiteren Songs ergänzte Versionen digital remastered neu zu veröffentlichen. «Now And Then» beschliesst nun «1967-1970» und spielt passend nach «The Long And Winding Road».

Rezeption und Statistik
«Es ist ein würdevoller, ein erhabener Abgesang», schreibt Michael Pilz in der Welt. Jean-Martin Büttner vom Tages-Anzeiger hingegen befand, hätten sie es doch gelassen. Steven Thomas Erlewine nannte den Song in der LA Times eine hauchzarte, melancholische Ballade. Die Kritik en waren mehrheitlich positiv.


Die im Handel erhältliche Kassette, wohl ein Replikat von John Lennons Original.


Viele Zeitzeugen der Beatles oder Fans der zweiten Generation fanden den Song schwach. Doch «Now And Then» erreichte die Generation YouTube. Die Streaming-Zahlen gingen nach wenigen Tagen in die Millionen, nach einem Monat, Anfang Dezember, war der Song 34 Mio. Mal auf Spotify und 39 Mio. Mal auf YouTube gestreamt. Das globale Phänomen der Beatles lebt noch immer.

Der Erfolg spricht für sich: 54 Jahre nach «The Ballad Of John And Yoko» erreichte wieder eine Beatles-Single die Spitze der britischen Charts und wurde acht Tage nach Erscheinen als die am schnellsten verkaufte Vinyl-Single des Jahrhunderts ausgezeichnet. In den amerikanischen Billboard-Radio-Airplay Charts gab es die Spitzenposition 53 Jahre nach «Let It Be». Weitere Topplatzierungen gab es in Deutschland, Österreich und Japan, die Schweiz meldete Platz 2, ebenso Kroatien. In Irland (Rang 4), Holland (Single Top 100) (Rang 5), Australien (Rang 6), die Billboard Hot 100 Charts in den USA (Rang 7) Flandern und Schweden (Rang 8) und Kanada (Rang 10) vollenden die Top-Ten-Platzierungen.

Die Top 20 erreichte «Now And Then» in Frankreich (Platz 14), Norwegen und Wallonien (je Platz 15), in den litauischen Airplay-Charts (Platz 16), in Neuseeland (Rang 17) und Island (Platz 19). Südkorea und Norwegen vermeldeten Rang 32, Italien Rang 53 und Spanien Rang 54, nur um die wichtigsten Hitparadenplatzierungen zu nennen.



Screenshot aus dem Videoclip: Die 1967er George Harrison und John Lennon spielen in Paul McCarteys Studio mit den 2023er Ringo Starr und Paul McCartney.



Tracklist:
Now And Then

Love Me Do (2023 Remix)







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