Ciao Sepp
19. Februar 2010


Ich mag den Tod nicht. Zwar gibt es auf der Erde noch ein paar unangenehmere Gesellen als den Tod, der manchmal eine Erlösung sein kann, doch ein Zusammentreffen mit ihm hat endgültige Folgen. Noch weniger mag ich den Tod meiner literarischen Figuren, sie sind auf eine Art meine Kinder. Besonders berührte mich im Januar der Tod von Sepp, denn er war meine erste Figur, die ohne mein Skript starb; über den Nachruf im Tages-Anzeiger habe ich von seinem Tod erfahren. Seit Jahr und Tag hat Sepp, der im realen Leben Hans Mosimann hiess, vor der Klinik Lindenegg an der Nordstrasse gesessen und den vorbeifahrenden Bussen gewinkt. Viele Chauffeure des 46ers winkten zurück, manchmal hatten sie gehupt, einer begrüsste ihn jeweils über das Aussenmikro. Jedes Mal wenn der Bus an der Lindenegg vorbei fuhr, winkte ich Sepp. Die Nordstrasse ohne ihn war schlicht unvorstellbar. Im August 2008 schrieb ich den Song «Ciao Sepp» über ihn, worin ich mir seine Lebensgeschichte vorstellte. Aussteigen und mich danach zu erkundigen mochte ich nicht. Im August 2009 veröffentlichte der Tages-Anzeiger den Artikel «der freundlichste Grüezi-Sager der Stadt» über Sepp.

Hans Mosimann war 1928 als uneheliches Kind im Emmental, zwei Monate zu früh und mit einem Wasserkopf, auf die Welt gekommen. Seine Mutter hatte er nur zweimal gesehen: 1948 im Berner Inselspital auf dem Sterbebett und dann nochmals im Sarg. 1959 kam er nach Zürich, arbeitete sich zum Chef de Service im Frascati hoch, ehe er über die Schöchlischmiede zur Heilsarmee kam. Über dreissig Jahre plagte ihn das Bein, ehe er es amputieren liess. Damals schon hatte er den Leuten und Bussen gewunken, vor dem Farbgeschäft Konrad an der Langstrasse. Nach der Amputation kam er in die Lindenegg. Die Leute im Quartier blieben für einen Schwatz stehen oder schenkten ihm zum Geburtstag und Weihnachten etwas Kleines. Das gab ihm Mumm, weiter zu winken. Von der Lindenegg wurde er als der freundlichste Grüezi-Sager der Stadt und als freundlichster Emmentaler in Zürich ausgezeichnet. Angehörige hatte Mosimann keine, dafür winkte er jedem 46er. Er hatte gelesen, dass Winken glücklich mache und es hielte ihn jung.

Werner hatte den Tagi-Artikel gelesen. Seither winkte er auch jedes Mal, wenn er im Bus an der Lindenegg vorbeifuhr. «Ich bin heute zum Chauffeur gegangen und habe ihn gefragt, ob er Hans Mosimann gekannt hätte», erzählt mir Werner nach dem Nachtessen. «Der Chauffeur kannte ihn und vermisste ihn, den Winker von der Nordstrasse. Er wäre mit gut zwei Dutzend weiteren Chauffeuren an seiner Beerdigung gewesen.»




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Frühling?– 8. Februar
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