Steinzeitkunst
10. Mai 2013


Mein Lieblingskunde von meinem Vater waren in den 1980er-Jahren die Schweizerischen Jugendherbergen. Nicht, weil wir Ferien in den Jugendherbergen gemacht hätten, sondern wegen des Auftraggebers, der Joggi Kern hiess. Joggi von Jakob. Wenn ich als Knabe etwas Dummes tat, schimpften mich die Eltern einen Joggi. Wer am Sylvester am längsten schlief, war der Sylvesterjoggi. Weshalb ich den Namen immer lustig fand. Ich erinnere mich auch an ein Kinderbuch von Felix Hoffmann, das Mutter hat: «Joggeli wot go Birli schüttle», eine Adaption von Lisa Wenger-Ruutz’ «Joggeli söll ga Birli schüttle», das erstmals 1907 erschien. Das letzte Mal, als ich Joggi Kern sah, war zufällig: Von Trin Mulin aus sind wir mit dem Auto nach Sils im Domleschg gefahren, wir gingen an der Jugendherberge in der Burg Ehrenfels vorbei, um die Felsritzungen von Carschenna anzuschauen. Auf dem Weg zur Jugendherberge kreuzten wir damals Joggi Kern.

Heute wollen wir denselben Weg nehmen wie damals mit der Familie. Wir gehen zur Jugendherberge. In meiner Erinnerung ist nur der Wald, nicht aber die Steigung. Nach der Jugi folgt der Aufstieg zur Burg Hohen Rätien oberhalb des Eingangs zur Viamala. Immer wieder blitzt zwischen den Bäumen Thusis hervor. Hohen Rätien ist die grösste Burganlage in Graubünden. Wir schauen von hier südwärts zur Viamala, in ihr brodelt der Nebel. Am Maiensäss St. Albin vorbei wandern wir, erneut im Regen, über die Wiesen von Carschenna, wir nähern uns von hinten. Über die Anhöhe von Carschenna führte von der Bronzezeit bis in die frühe Neuzeit der Saumpfad zur Umgehung des «Verlorenen Loches», eines der beiden Klusen der Viamala unmittelbar vor Thusis. Die Felszeichnungen von Carschenna liegen auf einer Anhöhe oberhalb von Sils am Rande eines Abgrundes. Ich erinnere mich, dass die Zeichnungen bei Strommasten sind, in Sils betreibt das Elekrizitätswerk Zürich EWZ ein Werk, weshalb in den Hochspannungsleitungen in der Gegend Strom fliesst, der die Stadt Zürich antreibt. Vor allem haben wir damals die Felsplatten gleich gefunden, heute müssen wir sie suchen.

Die Felszeichnungen fand 1965 Forstingenieur Peter Brosi zufällig, als er beim Bau der Hochspannungsleitung einen Messpunkt im Gelände suchte. Schnell stellte sich heraus, dass es die bedeutendsten bronzezeitlichen Felszeichnungen der Schweiz sind. Wir sehen mehrheitlich Ringmuster. Es wären auch Tiere, ebenso ein Reiter und Saumtiere mit einer Last auf dem Rücken zu sehen, woraus sich schliessen lässt, das schon zur Zeit der Schaffung der Steinzeichnungen Handelsrouten über den Splügen- und San-Bernardino-Pass führte. Weitere Zeichen sind Sonnensymbole, der im Ortsnamen enthaltene romanische Begriff Carschen bedeutet aufgehender Mond, was auf eine kultische Deutung des Ortes hindeutet. Und die Zeichnungen damit eine ähnliche Funktion haben wie jene in La Mutta in Falera; dort sind aber auch Menhire erhalten geblieben. Zum Glück hat es aufgehört zu regnen, so können wir uns Zeit nehmen, um Steinzeichnungen zu suchen. Doch die Lichtverhältnisse sind schlecht, so dass es schwierig ist, sie zu erkennen.

Wir nehmen den Abstieg in Richtung Albula hinab. Zurück in Sils möchte Werner noch die Dorfkirche betrachten. Er macht darin einen Klangtest und stimmt «Vom Aufgang der Sonne» an, das wir dann zusammen im Kanon singen.

Link:
Blogbeitrag über La Mutta in Falera: La Mutta – 23. September 2010




frühere Beiträge
:
in der Viamala – 10. Mai
an der Klimazonen-Grenze – 9. Mai
50 Farben von Weiss – 9. Mai

folgende Beiträge:
Samstagmittag während der Zwischensaison – 11. Mai
alte Plakate und ebensolche Erinnerungen – 11. Mai
Vom Aufgang der Sonne in St. Johann – 11. Mai


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