im Grossmünster mit Margot Kässmann
11. Dezember 2016


Die Arbeit beim Grossmünster ist trotz aller Routinetätigkeiten eine, bei der man beim Betreten des Büros nicht weiss, was einen erwartet, so kletterte ich für Fotos durch den Dachstock, half eine Togggenburger Hausorgel zu demontieren und in einen Transporter zu verladen, suchte die vermissten Hasen im Garten des Pfarrhauses oder war Geldkurier. Das ist ein wenig wie beim literarischen Schreiben. Lässt man sich auf die Geschichte und die Figuren ein, weiss man selbst bei einem Storyboard nicht, wohin man geführt wird, eine unscheinbare Begebenheit wird zu einem Schlüsselmoment oder eine der Lieblingsszenen wird beim Redigieren herausgestrichen. Nach einem halben Jahr Urlaub hält Pfarrer Christoph Sigrist seine erste Predigt. Da ich es zuvor nicht geschafft habe, einen Gottesdienst mit ihm zu besuchen, habe ich mich für Lektion eingetragen. Seit einem Monat weiss ich, dass auch dieser Gottesdienst kein gewöhnlicher sein wird, sondern dass er die Kanzel als Schweizer Reformationsbotschafter mit Margot Kässmann, der deutschen Reformationsbotschafterin teilen wird.

Das Grossmünster ist gut besucht, die Bänke im Schiff vollbesetzt. Das sind die Momente, für die man lebt, wenn man es liebt auf einer Bühne zu stehen. Lesung vor rund 400 Personen. Sonst nicht an Lampenfieber leidend, heute etwas weiche Knie. Zum Glück mit Micha 5.1-4 ein guter Text zum rezitieren: «Und du, Bethlehem-Efrata, zu klein um zu den Tausendschaften von Juda zu zählen…» die Kommas sind zum Atmen und das beruhigt.

Margot Kässmann erzählt in ihrer Predigt von einem Besuch amerikanischer Freunde, die unbedingt Wittenberg besuchen wollten. Als sie in die Lutherstadt kamen, glaubten sie sich am falschen Ort zu befinden, weil die Stadt so klein ist. Sitze unterhalb der Kanzel und kann nur ab und zu ihre Hände sehen, während ich über die Koinzidenz zwischen Bethlehem und Wittenberg nachdenke und das amerikanische (Selbst-)Verständnis, dass Bedeutendes nur an grossen Orten geschehen könne.



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